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Interview

Knut Elstermann über DDR und DEFA: „Die Verantwortung nimmt einem keiner“

Am 5. Oktober 2022 starb Wolfgang Kohlhaase. Der Filmkritiker Knut Elstermann hat aus diesem Anlass seine Gespräche mit dem großen Drehbuchautor gesammelt und als Buch herausgegeben. Für den tipBerlin ein Anlass, den geschätzten Kollegen zu befragen – wie sieht Knut Elstermann heute die DEFA? Verfolgt er die neue Ost-West-Debatte? Auch zu Dirk Oschmann hat er eine Meinung.

Knut Elstermann und Wolfgang Kohlhaase. Bild: privat

Knut Elstermann über Wolfgang Kohlhaase: „Meister des differenzierten Nachdenkens“

tipBerlin Lieber Knut, wir bleiben beim kollegialen Du, schlage ich vor. Vor einem Jahr starb Wolfgang Kohlhaase, der Drehbuchautor. Deine Gespräche mit ihm erscheinen gerade als Buch. Wer war er für dich?

Knut Elstermann Er war der bedeutendste DEFA-Drehbuchautor. Ich nenne nur ein paar wichtige Titel: „Ich war 19“, „Berlin – Ecke Schönhauser“, „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, „Solo Sunny“, nach der Wende „Sommer vorm Balkon“. Ich habe ihn persönlich gut gekannt, und kann seinen Tod immer noch nicht glauben. Er war ein Meister des Dialogschreibens, absolut reduziert, durchlässig für die Schauspieler und Schauspielerinnen, deswegen lieben die ihn auch so, weil er ihnen Raum ließ. Er war ein Meister des differenzierten Nachdenkens, man konnte ihn immer fragen.

tipBerlin Er hatte auch nach der Wende eine große Karriere.

Knut Elstermann Das ist ein großer Unterschied zu vielen anderen aus der DEFA, die teilweise in den 90er Jahren in ganz tiefe Löcher gefallen sind, auch schwere psychische Krisen hatten. Die neuen Herren in Babelsberg waren ja auch nicht neugierig auf diese Geschichte. Jemand wie Andreas Dresen, der ja DEFA-Regisseur werden sollte, und der sich gut zurechtgefunden hat auf dem neuen Markt, ging zu Kohlhaase zurück. Er wusste eben auch, wer das ist. Dresen improvisiert gern, aber ein Drehbuch von Kohlhaase war ihm heilig.

„Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ von Konrad Wolf. Bild: DEFA-Stiftung

Knut Elstermann: „Die DEFA war in ihren besten Augenblicken sehr geschichtsbewusst“

tipBerlin „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ ist einer meiner Lieblingsfilme aus der DEFA. Was macht den besonders?

Knut Elstermann Ich mag den auch. Der ist fast ein bisschen untergegangen, weil er so still ist. Zusammen mit Gerhard Wolf hat Kohlhaase das Drehbuch geschrieben, dem Mann von Christa Wolf. Da gibt es auch unterschiedliche Erfahrungen. Kohlhaase erlebte das Kriegsende als Aufbruch, der Regisseur Konrad Wolf kam aus der Emigration in der Sowjetunion. Ein großes Thema von Kohlhaase war übrigens die Verantwortung des Künstlers in der Gesellschaft. So auch hier. Ein Bildhauer, der eine Figur entwickelt, für einen Sportplatz, einen nackten Mann. Wie reagieren die Leute darauf? Das ist ja auch ein komödiantischer Film, er geht aber auch ein auf den Holocaust, auf die deutsche Verantwortung, und ist für mich, gerade durch Kurt Böwes Spielweise, auch ein schönes Künstlerporträt. Bei der DEFA wollte niemand leere Säle, man wollte mit der Kunst aber auch etwas bewegen, wollte gesellschaftlich eingreifen. 1965 hat ein ganzer Film-Jahrgang das ernst genommen, und wurde von der Partei abgestraft.

tipBerlin Was zeichnet DEFA-Filme aus, im Vergleich zum bundesdeutschen Kino?

Knut Elstermann Man muss ganz genau hinschauen. Nach der Wende wurde da vieles ungerecht und einseitig beurteilt. Die DEFA war in ihren besten Augenblicken sehr geschichtsbewusst. Das begann schon 1946 mit „Die Mörder sind unter uns“, da wird sich mit der faschistischen Vergangenheit auseinandergesetzt. Das lief auch nicht immer völlig konfliktfrei, aber es gab diesen Grundkonses. Wie wirkt Kunst? Das wissen wir ja nicht genau. Aber wenn man wie ich schon sehr früh Filme wie „Sterne“ sieht oder „Professor Mamlock“, das prägt eine Überzeugung, ein Weltbild. Dass ich mit Rechtsradikalismus nie nur das geringste zu tun haben will, hat sicher auch mit diesen filmischen Erfahrungen zu tun.

Die DEFA setzte auch auf Heldenverklärung. Aber es gab eben auch so wunderbare Filme, übrigens ganz ohne Helden, wie zum Beispiel „Jakob der Lügner“. Der Wandel des antifaschistischen Films im Laufe der Jahre spiegelt auch DDR-Geschichte wider. Im Gegenwartsfilm gab es Tabus und Auslassungen, die uns heute fast so viel über das Land sagen wie das Gezeigte, das oft sehr realistisch und glaubhaft war. Und bei der DEFA gab es grandiose Schauspieler, ich würde sagen, eines der besten „Ensembles“ der deutschen Filmgeschichte, wenn man es so sehen will. Die kamen alle vom Theater, Jutta Wachowiak, Dieter Mann, Jutta Hoffmann, du spürst immer, wie intensiv die sich mit Figuren auseinandersetzen. Man sieht in vielen Filmen ein reflektiertes, sicher auch analytisches Spiel.

tipBerlin Was wäre noch hervorzuheben?

Knut Elstermann Der Kinder- und Jugendfilm. Das ist einer der ganz großen Verluste nach 1989, dass dieser Zweig abgebrochen wurde. Man hat da ohne Zeitdruck gearbeitet, diese Filme sind oft ehrlicher und aufrichtiger, sie schildern viel vom schwierigen DDR-Alltag, manchmal auch im Gewand des Fantastischen. Heute suchen wir Kinderfilme, die mit Realität zu tun haben.

tipBerlin Wie hast du persönlich dieses Kino erlebt? Du warst ja auch Zeitgenosse.

„Solo Sunny“ von Konrad Wolf. Bild: DEFA-Stiftung

Knut Elstermann Ich bin 60 geboren, da wächst man mit dem Märchenfilm auf. Ich bin richtig reingewachsen in das DEFA-Kino, dann auch mit dem Indianerfilm. Ich benutze den Begriff ungern, aber es sind eben keine Western, es sind Filme über Native Americans, und da ist dieser Begriff nun einmal historisch etabliert. Das waren Filme mit einer humanistischen Botschaft.

Später kamen Konrad Wolf, „Solo Sunny“, oder Egon Günther, der wirklich Experimente gewagt hat. Die DDR hatte mit ihm auch eine Art Nouvelle Vague. Wir sahen natürlich auch Filme aus dem Westen, im regulären Verleih und in den Filmkunststudios, das war immer ein Ausschnitt aus der Weltfilmkunst, aber viele wichtige Filme waren schon präsent. Ich habe nach der Wende sehr viel mehr DEFA-Filme als davor gesehen, und mit sehr viel mehr Geduld. Mit dem Abstand der Jahre gibt es auch manchmal ein Unbehagen, man spürt durchaus auch das schwere Ringen mit der Wahrheit, den Atem der Ideologie. Und es gibt Filme einer kompletten Geschichtsklitterung wie die furchtbaren Thälmann-Filme, von denen sich der Regisseur  Kurt Maetzig nach der Wende distanziert hat.  Auch das ist DEFA. Diese Filme haben bei mir über lange Zeit ein völlig falsches Geschichtsbild hinterlassen, auch über die Rolle der KPD in der Weimarer Republik.

tipBerlin Im Westen wurde häufig vor allem über die Filme von 1965 gesprochen, die „Verbotsfilme“, bei denen das kommunistische Regime seine Macht gezeigt hat.

Knut Elstermann Die Verbote von 1965 brachten einen Verlust, der nie wieder ausgeglichen werden konnte. Die Führung hätte nie zugegeben, dass sie einen Fehler begangen hat, deshalb konnten wir diese Filme erst nach der Wende sehen. Es war traumatisch, diese Filme hätten etwas auslösen können, ehrliche Debatten über den realen Sozialismus. Auch das Publikum verlor durch das Verbot Vertrauen in die DEFA.

tipBerlin Nun haben wir wieder eine Debatte über Osten und Westen in Deutschland. Verfolgst du das, hast du die Bücher von Dirk Oschmann und Katja Hoyer gelesen?

Knut Elstermann: „Die Zustimmung für die AfD macht mich sprachlos und traurig“

Knut Elstermann Oschmann habe ich gelesen, das andere dicke Buch (von Katja Hoyer) nicht. Ich weiß nicht, ob ich es jemals lesen werde. Ich habe ja da gelebt. Ja, diese Debatte berührt und betrifft mich sehr. Ich nehme auch „Gittersee“ von Charlotte Gneuß und „Die Möglichkeit von Glück“ von Anna Rabe dazu, also zwei sehr gut geschriebene, sehr schmerzhafte Romane, oder die hervorragenden Bücher von Lukas Rietzschel und Matthias Jügler. Mich wundert aber manchmal die Heftigkeit der Debatte, als hätten dreißig Jahre seit der Wende gar nicht stattgefunden. Es wurde doch Rechenschaft eingefordert und gerade in den 90ern heftig diskutiert. Wie haben wir gelebt, was haben wir getan? Aber sicher muss jede neue Generation ihre Fragen stellen. Ich habe auch immer die Ossi-Fahne hochgehalten, übrigens als jemand, der nach der Wende so richtig durchgestartet und dafür sehr dankbar ist.

Was Oschmann schreibt, ist zwar sehr polemisch, aber es stimmt ja. Es geht um Besitzverhältnisse, um Machtverhältnisse. Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass die Leute im Osten nichts besitzen und auf Leitungsposten kaum vorkommen. Auch bei uns im RBB sind fast alle wichtigen Stellen, auch die neue Intendanz, mit Leuten aus dem Westen besetzt! Im Rundfunk Berlin-Brandenburg! Und trotz all dieser Fakten ist niemand im Osten berechtigt, eine rassistische, rechtsradikale Partei zu wählen. Bei allem Frust, dass es die Konsequenz für viele zu sein scheint, die AfD zu wählen, macht mich sprachlos und traurig. Ich fühle mich dadurch manchmal geradezu entfremdet von der Welt, aus der ich komme.

tipBerlin Hast du Vermutungen, woher die höhere Zustimmung zur AfD im Osten kommt?

Knut Elstermann Das gehört zu der kompletten Ratlosigkeit, die wir gerade erleben, bis hin zur Verzweiflung. Das Lebensgefühl bei vielen Menschen im Osten ist, abgehängt zu sein, nicht dazu zu gehören, das hat ja auch wirklich zu tun mit einer Undurchlässigkeit des Systems. Auf der anderen Seite ist man vielleicht daran gewöhnt, die Verantwortlichkeit des Staates, derer da oben, aus einer Tradition heraus zu überschätzen. Man war es gewohnt, dass die da oben nur Mist machen, und dass man keinen Einfluss hat. Die eigene Verantwortung nimmt einem aber keiner, für sein Gewissen, für das, was man tut, und auch wählt.

„Der Glutkern des Linksseins besteht für mich in der Solidarität mit den Geknechteten“

tipBerlin Auch in der Einschätzung des Kriegs in der Ukraine gibt es Ost-West-Aspekte.

Knut Elstermann Mir persönlich ist dieser russische Krieg unendlich bitter. Ich kann sogar noch etwas Russisch, ich liebe die Literatur und die Filme, Tarkowski, Klimow, Schepitko, Schukschin und viele andere. Wir haben das immer im sowjetischen Topf gesehen, heute schauen wir genauer auf die nationalen Filmproduktionen und wissen, dass der große Dowschenko Ukrainer war. Ich finde, man sollte weiter Tschaikowski spielen, auch Puschkin  und meinen geliebten Tschechow, aber nicht von russischen Staatskünstlern. Was die Menschen in der Ukraine erleben, ist so offensichtlich, der Krieg ist da, die Menschen werden beschossen. Das ist so eindeutig. Ich reagiere allergisch, wenn Leute da etwas gegenrechnen wollen. Putin war immer schon schrecklich, was der in Syrien oder Tschetschenien angerichtet hat, und dann die Homosexuellen-Gesetze, die Unterdrückung der Opposition.  Der Glutkern des Linksseins besteht für mich in der Solidarität mit den Geknechteten, Geschändeten, Überfallenen. Das ist heute die Ukraine, da gibt es doch gar keinen Zweifel, auch wenn ich leider nirgends eine Lösung für den furchtbaren Krieg sehe.

„Wittstock, Wittstock“ von Volker Koepp. Bild: DEFA-Stiftung

tipBerlin Wenn jemand mit zwei Filmen in die DEFA-Tradition einsteigen will, einmal Spielfilm, einmal Dokfilm, welche würdest du empfehlen?

Knut Elstermann „Solo Sunny“. Der Film ist einfach perfekt, fast dokumentarisch, das wunderbare Spiel von Renate Krössner. Eine junge Frau, unbegabt für Kompromisse, so sagte es Wolfgang Kohlhaase. Und wir sind doch alle umzingelt von Kompromissen. Da ist eine junge Frau, die nicht mitmachen kann, das finde ich großartig. Der Film ist alterslos. Beim Dokumentarfilm die großartigen Wittstock-Filme von Volker Koepp, das ist auch eine Langzeitbeobachtung wie bei den berühmten Kindern von Golzow. Acht Filme, und da vielleicht „Wittstock, Wittstock“ (1997). Das ist so eine Art Zwischenbilanz. Drei Frauen im Wittstocker Obertrikotagenwerk  – allein schon das Wort! Das sind selbstbewusste, arbeitende DDR-Frauen, wie ich sie  kennengelernt habe, die lassen sich nichts sagen. Und dann diese Klamotten, die sie herstellen. Wer soll denn das anziehen, fragen sie unverblümt in die Kamera. Koepps Kunst besteht in der stillen, teilnehmenden Beobachtung, bis hin zur tragischen Entwicklung nach der Wende. Das Werk wurde geschlossen, die Frauen wurden arbeitslos. Frauen, die teilweise Abteilungsleiterinnen waren, wurden nicht mehr gebraucht.

  • Knut Elstermann: Gespräche mit Wolfgang Kohlhaase, BeBra Verlag 2023
  • Knut Elstermann: Im Gespräch. Knut Elstermann befragt ostdeutsche Filmstars, BeBra Verlag 2021

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