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Filmindustrie

Filmstudio Babelsberg: Zwischen Kommerz, Krise und Investorenträumen

Früher drehten dort Spielberg und Tarantino, heute ist die Flaute groß am Filmstudio Babelsberg. 2022 ist ein amerikanischer Großinvestor eingestiegen – und manche munkeln über einen Ausverkauf dieser Wiege des Weltkinos. Eine Spurensuche.

Ansicht von einem bedeutsamen Ort der Filmgeschichte: der Haupteingang zu den Filmstudios in Potsdam-Babelsberg. Foto: Imago/Imagebroker

Studio Babelsberg: Von Fritz Lang zur Flaute

Das Studio, das einmal Arbeitsplatz für berühmte Regisseure war, ob Fritz Lang oder Hitchcock, ob Wolfgang Staudte, Polanski oder Spielberg, ist nun Kulisse für die Late-Night-Show eines öffentlich-rechtlichen Spartensenders.

Das neue Abendformat von Sarah Bosetti drehen sie dieses Jahr in Babelsberg. Bosetti ist eine politische Aufklärerin mit scharfer Zunge. Das Ganze soll auf 3Sat gezeigt werden. Fan-Material für die Generation Böhmermann, das möglicherweise eine redliche Angelegenheit wird. Jenseits der deutschen TV-Community dürfte dessen Strahlkraft auf die Bewegtbild-Branche jedoch so groß sein wie der Einfluss von Hansi Flick auf die taktische Weiterentwicklung des Männerfußballs.

So groß ist die Flaute in Babelsberg, dass offenbar rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem 1. September nur noch Kurzarbeit verrichten. Und das an einem Ort, den Quentin Tarantino, noch so ein Superstar, der dort mal gedreht hat, „aufregender als die Hollywood-Studios“ fand. „Ein Stillstand in einem Ausmaß wie lange nicht mehr“, beobachtet ein Filmprofi, der ungenannt bleiben will. Der brandenburgische Landeswirtschaftsminister Jörg Steinbach, SPD, unkte, dass „uns im Augenblick viele Sorgen um diesen Standort umtreiben“. Anlass war ein Besuch des Bundeskanzlers höchstpersönlich.

Ins triste Bild mischt sich weitere Bitternis: 2022 ist die Institution zum Fang einer „Heuschrecke“ geworden. Jedenfalls hat exakt jene Fondsgesellschaft, die Franz Müntefering im Jahr 2004 als damaliger SPD-Chef auf diese Weise etikettiert hatte, die Mehrheit am Unternehmen gekauft. TPG heißt dieser Konzern, der weltweit operiert. Die Tochterfirma, die das Studio Babelsberg betreibt, nennt sich Kino BidCo GmbH.

Nun ist von abgeblasenen Großprojekten die Rede, zum Beispiel einem neuen Wes-Anderson-Film. Und von ökonomischen Zwängen, die diese Stätte in die Bredouille gebracht haben.

Die Illusionswelt in Babelsberg war das Mesopotamien der Lichtspielgeschichte. In diesem Groß-Atelier vor der Berliner Stadtgrenze hat in den 1920er-Jahren das Weltkino seine Formensprache entwickelt, mit Marlene Dietrich als Galionsfigur. Ehe der US-Gründergeist das südkalifornische Hollywood zum Maß aller Kinodinge machte. 

Das Studio im Herzen Europas blieb populär bis ins 21. Jahrhundert, trotz der betriebsamen Traumfabrik jenseits des Atlantiks, auch nach der DEFA-Ära, über die wir kürzlich mit Knut Elstermann gesprochen haben. Das Auftragsbuch war in den Nuller- und Zehnerjahren zeitweise bestens gefüllt, mit Top-Filmen wie „Das Bourne Ultimatum“, „Inglourious Basterds“ „Bridge Of Spies“ und „Grand Hotel Budapest“. Für eine nationale Erfolgsgeschichte steht, natürlich, die Fertigung der „Babylon Berlin“-Saga.

Filmstudio Babelsberg: Anlagen, die hochmodern sind

21 Studios verteilen sich unter anderem auf das 173.000-Quadratmeter-Areal. Dort weitet sich ein großer Verschiebe-Bahnhof aus Kulissen und Suggestionen. 108 Menschen arbeiten fest auf diesem Gelände; wenn gedreht wird, rücken die Filmcrews an. Die Anlagen sind teils hochmodern.

Eine Kulissenstadt, die sich den Bedürfnissen der dort drehenden Regisseure anpasst: der „Metropolitan Backlot“ auf dem Gelände des Filmstudios Babelsberg. Foto: Studio Babelsberg AG

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Erst 2016 ist das „Metropolitan Backlot“ eingeweiht worden, auch als „Neue Berliner Straße“ bekannt. Ein Filmset, das die Architektur eines Großstadtviertels andeutet und je nach Wunsch die Fassade wechselt. 2021 ist zudem erstmals eine riesige LED-Installation zum Einsatz gekommen. Ein virtuelles Mirakel, vor dessen Hintergrund die Darsteller auf täuschend echte Weise eingeblendet werden. In diesem 3D-Universum hat die erste und einzige Staffel der Netflix-Mystery-Serie „1899“ ihren Gruselfaktor entwickelt.

Warum ist dieser Riese zum Krisenfall geworden?

In der Studio-Zentrale schiebt man die aktuelle Krise auf den Hollywood-Streik: Co-Vorstandschef Andy Weltman hat gegenüber der Lokalpresse die Kurzarbeit mit der Arbeitsniederlegung in L.A. begründet. Weltman, US-Amerikaner, seit 2022 auf der Kommandobrücke, atomisierte auch Untergangsszenarien. Es gebe derzeit keine Pläne, Studio Babelsberg zu verkaufen oder aufzulösen. Zur Erinnerung: In Los Angeles streiken seit Mai 2023 Drehbuchautorinnen und seit Juli sogar Schauspieler. Der Arbeitskampf für bessere Bezahlung erzeugt eine Personalnot, deren Effekte woanders spürbar sind. Noch ein Trübsal: die Inflation, die womöglich die Geberlaune von Investoren hemmt.

Die Erzählung von den äußeren Zwängen ist nur ein Aspekt im bigger picture. Wer das Bild komplettieren möchte, spricht mit einem einflussreichen Mann im Hintergrund. Björn Böhning, 45, ist Vorstandssprecher der Produzenten-Allianz, einem mächtigen Verband mit Sitz in Berlin-Mitte. Er vertritt die Interessen von 300 Mitgliedsfirmen aus Kino, Fernsehen, Dokumentation, Animation und anderen Genres. Böhning, ein SPD-Mann, kennt die Zusammenhänge zwischen Filmwirtschaft und Standortpolitik. Er beklagt die bisherige Strategie im Traditionshaus: „Babelsberg hat lange auf Klein-Hollywood gesetzt. Doch dieses Modell allein wird vermutlich nicht zukunftsträchtig sein.“ Weniger Glamour, mehr Brot-und-Butter-Jobs, das könnte demnach ein neues Skript sein.

Noch einmal Björn Böhning: „Dieses Studio hat eine hervorragende 360-Grad-Infrastruktur, und diese Eigenschaft sollte ausgeschöpft werden. Babelsberg kann hochklassige Filme, Dailys, Serien, auch Entertainment-Formate.“ Es geht also um eine Mixtur.

Notabene: Böhning, ehemaliger Chef der Berliner Senatskanzlei, später Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, ist Lobbyist. So erscheint es zunächst wenig überraschend, dass er sich für seine Schäfchen stark macht. Auch für die Macher einer, sagen wir, zuckrigen Doku-Soap.

Nicht ganz unrealistisch ist das Szenario einer „Diversifikation“ dennoch. So würde man wohl eine größere Palette von Dienstleistungen im CEO-Kauderwelsch nennen.

Filmstudio Babelsberg: Raubtierkapitalismus und Kreativ-Industrie

Dafür muss man das Portfolio des Investors betrachten. Zu den Geschäftsmodellen von TPG gehört zwar auch ganz gewöhnlicher Raubtierkapitalismus, inklusive Hedgefonds. Die „Heuschrecken“-Schwärme also. Doch der Investor ist über eine andere Subfirma eben auch ein Player in der Kreativ-Industrie – mit mehr als 80 Studiohallen, in nordamerikanischen Städten wie in Europa. Das Atelier in Babelsberg ist das Schmuckstück in diesem Imperium. Es geht um steile Profite im Film- und Fernseh-Business. Ob dabei irgendwann auch am Personal gespart wird? Die Gewerkschaft „verdi“ beobachtet die Entwicklungen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, hat im Sommer das kriselnde Filmstudio Babelsberg besucht. Das Bild zeigt den Regierungschef während einer Visite im „Art Department Studio“. Foto: Imago/photothek

Der Einstieg des Konsortiums ist eine Parabel über die unheimliche Allmacht von Finanzjongleuren. Ein Ausverkauf des Geländes, beispielsweise an Entwicklungsfirmen aus der Immobilienbranche, ist eine Tragödie, die Regie-Altmeister Volker Schlöndorff („Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Die Blechtrommel“) an die Wand gemalt hatte. In den 1990er-Jahren war dieses Urgestein zeitweise Geschäftsführer in Babelsberg. „Jetzt ist die Frage, ob dieses Kerngelände nun auch womöglich in Immobilien übergeht“, orakelte er in einem RBB-Interview vergangenen August. Ein solches Verscherbeln wäre womöglich der Anfang vom Ende. Ein Produktionsleiter, seit einem Vierteljahrhundert in der Filmbranche tätig, entgegnet im tip-Gespräch: „Diesen Pessimismus teile ich nicht.“ Der Tenor: Der Verlust dieses heiligen Ambientes wäre zu groß, als dass er für den politischen Betrieb in der Öffentlichkeit darstellbar wäre.

Für Immobilienprojekte müsste ein Baurecht erteilt werden. Ein Beschluss dieser Art wäre in der Film- und Medienstadt Potsdam gewissermaßen Harakiri. Die Losung könnte vielmehr sein: weniger Filmkunst, mehr Pragmatismus – unter dem Druck einer wachsenden Konkurrenz. Man wolle in Babelsberg „das Geschäft auch jenseits der Spielfilmproduktionen“ erweitern, verkündete neulich Ashley Rice, die Präsidentin der besagten Studiokette des Investoren TPG. Dazu passt die Action rund um ein weiteres TV-Projekt auf dem etwas verwaisten Areal: eine komödiantische ARD-Degeto-Serie über eine jüdische Großfamilie.

Weitere Werkstätten im audiovisuellen Gewerbe sind hierzulande die MMC-Studios in Köln-Ossendorf und die Bavaria-Studios in München. In Oberbayern geht ein neuer Rivale steil: Dort ist ein ehemaliger Fliegerhorst in der Gemeinde Penzing die Liegenschaft für ein aufstrebendes Studio. Die neueste Kundschaft, die sich dort ankündigt, ist prominent: Sylvester Stallone mit einem „Cliffhanger“-Remake. Studios in Österreich und osteuropäischen Staaten haben ebenso aufgeholt. Auch weil Politiker für steuerliche Vergünstigungen bei Drehprojekten gesorgt haben.

Filmstudio Babelsberg: Reform des Filmfördersystems

In Babelsberg blicken sie auf die policy im Kulturstaatsministerium, wo Claudia Roth amtiert. Dort wird eine Reform des deutschen Filmfördersystems diskutiert. Das heutige System ist Schrecknis für Finanziers und administratives Monster. In der Behörde müht man sich, so scheint es. Jüngst versprach Roth, Steueranreize und eine so genannte Investitionsverpflichtung zu fixieren. Mit einer „Investitionsverpflichtung“ ist gemeint, dass etwa Streaming-Plattformen dazu gezwungen sind, Gewinne aus hiesigen Produktionen in Deutschland zu reinvestieren. So ein Geldfluss könnte Booster für Aufträge sein. Auch der Bürokratie-Kropf soll behandelt werden.

Ein Film jüngeren Datums, der im Filmstudio Babelsberg verwirklicht worden ist: die Retrofuturismus-Komödie „Asteroid City“ von Wes Anderson. Foto: Courtesy of Roger Do Minh/Pop. 87 Productions/Focus Features

Inwiefern das Filmstudio Babelsberg bald wieder den Glanz von ehedem versprüht: Das ist eine andere Frage. Bis März 2024 grassiert an diesem Denkmal der Ausnahmezustand. So lange sollen Angestellte noch Kurzarbeit schieben. Ob das Filmstudio bald wieder prosperiert, hängt von der Konjunktur in Deutschland und der Welt ab – und der Verhandlungsbereitschaft von Hollywood-Tycoons gegenüber dem Bodenpersonal in punkto Tarif. Der neueste Stand im Lohnkampf: Zumindest die Drehbuchautoren haben ihren Streik beendet und sich mit Filmstudios, Streamingdiensten und TV-Sendern geeignet. Die künftigen Entwicklungen in Babelsberg hängt aber auch von der dortigen Management-Strategie ab. Eine denkbare Folge ist, dass Filmkunst und mittelprächtiger Kommerz eine friedliche Koexistenz eingehen müssen.

Für den neuen Realismus stehen auch die Statements einer Sprecherin des Studios gegenüber tipBerlin. Es gehe kurzfristig darum, „verstärkt lokale, deutsche Produktionen für Dreharbeiten in den Studios und auf dem Studiogelände zu gewinnen“. Der Grund: Filmprojekte aus der näheren Umgebung sind weniger lädiert durch die Lohnkonflikte am Sunset Boulevard. Zudem sollen Rabatte hiesige oder auch europäische Teams ködern. Es gebe „eine offensive Vermarktung“ mit „zeitlich befristeten, streikbedingten Ermäßigungen der Studio- und Servicepreise“, heißt es. Der Ausblick in die nächsten Jahre demonstriert, dass die Babelsberger die neue Medienwirklichkeit anerkennen: Für die Zukunft sei es wichtig, Streamingdienste verstärkt als Produktionspartner zu gewinnen.

Kino ist nicht mehr das Zentralgestirn, das alle anderen Planeten überstrahlt.


Mehr über das Filmstudio Babelsberg

Den Einstieg des amerikanischen Investors TPG am Filmstudio Babelsberg hat tip-Filmkritiker Bert Rebhandl bereits im Jahr 2022 kritisch analyisiert: Die Profite jener Investments, die die öffentliche Hand in Produktionen im Filmstudio Babelsberg gesteckt hat, würden in Zukunft privatisiert. Zu den größten Erfolgsgeschichten an diesem Standort zählt die „Babylon Berlin“-Serie. Die vierte Staffel ist 2022 auf den Markt gebracht worden. Die Kultserie ist dafür bekannt, dass viele Szenen im Berliner Stadtgebiet gefilmt worden sind: Wir zeigen die „Babylon Berlin“-Drehorte. Was läuft sonst? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik. Zum Beispiel über das Filmfestival DOKUARTS, das nach drei Jahren Pause zurück in Berlin ist. Euch fehlt der Überblick über die Berliner Filmfestivals? Die besten Festivals übers Jahr verteilt haben wir hier zusammengetragen. Und wenn die Filmfestspiele laufen, erfahrt ihr in unserer Berlinale-Rubrik alles darüber.

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