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„Perfect Days“: Wim Wenders erzählt vom Toilettenputzen in Tokio

Wim Wenders wollte eigentlich nur eine Fotoreihe von architektonisch reizvollen Toilettenanlagen in Tokio machen, jetzt ist daraus ein existentieller Spielfilm geworden. tipBerlin-Kritikerin Alexandra Seitz findet, „Perfect Days“ erzählt keine aufregende Geschichte, ist dafür aber umso profunder.

Der Protagonist in Wim Wenders‘ neuem Spielfilm „Perfect Days“ führt ein einfaches Leben. Foto: Master Mind Ltd

„Perfect Days“ fängt den kleinstädtischen Charakter der Metropole Tokio ein

Der neue Film vom Wim Wenders lässt sich beschreiben als altersweises Werk, in dem ein gut gereifter Meister der Schauspielkunst eine Lektion in Minimalismus erteilt. Man könnte auch behaupten, dass „Perfect Days“ eine außergewöhnliche Sightseeing-Tour zu den wohl ausgefallensten stillen Örtchen einer sehr geschäftigen Großstadt ist. Gleichfalls nicht Unrecht hätte, wer feststellt, dass in „Perfect Days“ der nachbarschaftlich kleinstädtische Charakter, der die Metropolregion Tokio unwahrscheinlicherweise grundiert, ausgerechnet von einem Ortsfremden mit sicherem Gespür eingefangen ist.

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Freilich kennt Wim Wenders sich in der weitläufigen Stadt einigermaßen aus, hat er sie doch bereits 1985 auf den Spuren seines erklärten Vorbilds, des großen japanischen Filmemachers Ozu Yasujiro (1903–1963), gründlich erforscht, den Dokumentarfilm „Tokyo-Ga“ gedreht und ist im Zuge seines Schaffens immer wieder dorthin zurückgekehrt. Und freilich hatte Wenders die Hilfe unter anderem seines Hauptdarstellers Yakusho Koji, der auch als Ausführender Produzent von „Perfect Days“ fungierte.

Tagsüber putzt Hirayama Toiletten in Tokio, abends beschäftigt er sich mit Literatur. Foto: Master Mind Ltd

Mit dessen Figur des Toilettenreinigers Hirayama streifen wir nun also durch die Stadt und zur Buchhändlerin ins Antiquariat, in den Schallplattenladen, in dem auch Originalkassetten aus den Siebzigern angekauft werden, zu einem Imbiss in einer stillen Ecke eines geschäftigen Bahnhof-Zwischengeschosses, durch schon etwas in die Jahre gekommene Passagen, ins quasi leere Badehaus, in dem ein plötzlich erscheinendes junges Mädchen von den älteren Herren, die das Bad noch besuchen, bestaunt wird wie ein Einhorn, und schließlich in ein winzig kleines Restaurant, dessen Inhaberin Mama genannt wird.

„Perfect Days“ zeigt, wie glücklich ein einfaches Leben machen kann

Die Mittagspausen verbringt Hirayama gemeinsam mit anderen Ruhesuchenden im Park eines Tempels, und abends vor dem Schlafengehen liest er gerne noch ein Weilchen. Und so könnte das ewig weitergehen … und auch wenn wir im Weiteren nichts weiteres über diesen Mann erführen, wir würden doch immer noch gerne weiter dabei zusehen, wie glücklich ein einfaches Leben einen bescheidenen Menschen machen kann. Doch natürlich gibt es eine Geschichte, simple Ereignisse, in denen die Vergangenheit aufblitzt und eine mögliche Zukunft sich andeutet. Nicht aufregend, dafür umso profunder.

Es will über die Maßen passend erscheinen, dass dieser vollkommen unaufdringlich vom Elementaren handelnde Film aus einer Anfang 2022 an Wenders gerichteten, etwas ungewöhnlichen Einladung entstanden ist. Ob er nicht vielleicht Lust habe, die anlässlich der Olympischen Spiele von namhaften Architekten errichteten Toilettenanlagen im Stadtbezirk Shibuya zu fotografieren? Oder vielleicht einen Kurzfilm über sie zu drehen? Nun ist es eben ein längerer Film geworden, und weit mehr als eine reine Auftragsarbeit. Denn Wenders nimmt die schicken Häuser als Ausgangspunkt für Abschweifungen: über einen Mann, der Klos putzt, und über die Bedeutsamkeit seiner Existenz. Oder vielmehr: der Existenz schlechthin. Man muss nur alles Überflüssige wegbrechen, man muss sich bloß mit dem Wesentlichen bescheiden; Wenders und Yaskusho zeigen, wie das geht.

  • Perfect Days Deutschland/Japan 2023; 123 Min.; R: Wim Wenders; D: Yakusho Koji, Aso Yumi, Emoto Tokio; Kinostart: 21.12.

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