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„Munch“: In diesem Biopic tanzt der Maler zu Techno

Während in Berlin und Potsdam gerade zwei Ausstellungen die Werke von Edvard Munch zeigen, kommt ein Biopic über den norwegischen Maler ins Kino. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber findet: Regisseur Henrik M. Dahlsbakken ist mit „Munch“ ein interessantes filmisches Porträt gelungen.

Der junge Edvard Munch löste mit seinen expressionistischen Gemälden in Berlin einen Skandal aus. Foto: Splendid Film

„Munch“ ist ein interessantes Biopic in vier Episoden

Das Biopic ist in den letzten Jahren zu einem omnipräsenten Genre geworden. Von Udo Lindenberg über Elton John und van Gogh bis Oppenheimer (hier die Filmkritik) wird auf dem Weg auf die Leinwand kein Künstler, Wissenschaftler oder Politiker ausgelassen. Künstler scheinen die Lieblingsinspiration für Biopics zu sein, eben erst spielte Ben Kingsley im Kino Salvador Dalí, davor liefen Biopics über Caravaggio und Alma Mahler und Oskar Kokoschka. Jetzt ist Edvard Munch dran.

Der Norweger Henrik M. Dahlsbakken hat sich an der Bebilderung des Lebens des prominentesten Malers Norwegens versucht. Herausgekommen ist dabei ein ziemlich interessantes Biopic, das in vier Episoden geteilt ist. Dahlsbakken zeichnet in seinem Film, der schlicht „Munch“ heißt, vier Lebensabschnitte des Künstlers nach, die er offensichtlich für besonders relevant hält. Diese vier Episoden fügt Dahlsbakken aber nicht einfach chronologisch hintereinander, sondern kombiniert immer dann Szenen aus verschiedenen Lebensabschnitten, wenn diese zusammenpassen, einen Bezug zueinander haben, oder sogar früheres oder späteres Verhalten des Malers verständlicher werden lassen. Dahlsbakken montiert also motivisch und nicht einfach chronologisch.

„Munch“ thematisiert auch die erste unglückliche Liebe des Malers. Foto: Splendid Film

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Der erste Lebensabschnitt stellt den jungen, gerade 20-jährigen Edvard Munch vor, der sich im Sommerhäuschen der Familie in der Naturidylle Norwegens eingesperrt und kreativ gehemmt fühlt und sich nach der lauten, dreckigen Stadt zurücksehnt, dort aber auch seine erste Liebe, die zu seinem Unglück verheiratete Milly Thaulow, kennenlernt. 

Edvard Munch läutete in der Berliner Kunstwelt die Moderne ein

Der zweite Lebensabschnitt, den Dahlsbakken zeigt, ist Munchs Berliner Zeit, beziehungsweise deren Beginn 1892. Munch stellte auf Einladung des Berliner Kunstvereins zum ersten Mal in Deutschland aus. Seine Bilder hatten aber wenig mit dem romantischen „Zauber des Nordens“ (Stefan Zweig) gemein, der für friedliche, impressionistisch gemalte skandinavische Landschaften stand, und dem die Berliner Kunstwelt zu dieser Zeit verfallen war. Munchs expressionistische Malerei stellte für den Berliner Kunstverein eine Provokation dar, der Vorwurf: Die Bilder seien skizzenhaft und noch nicht fertig. Die Ausstellung wurde nach wenigen Tagen geschlossen, in der Berliner Kunst fing aber ein neues, modernes Zeitalter an. 

Regisseur Dahlsbakken nutzt in „Munch“ verschiedene interessante Formate, so wie hier eine Episode im 4:3-Format und in Schwarzweiß. Foto: Splendid Film

Um diesen Umbruch und diese Aufbruchsstimmung einzufangen, entschied Dahlsbakken sich, die wegweisende Episode in Munchs Leben, die als „Die Affäre Munch“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist, im heutigen Berlin spielen zu lassen. Statt im Wein- und Stammlokal der damaligen Berliner Bohème „Zum schwarzen Ferkel“ diskutiert der junge, getriebene Edvard Munch mit August Strindberg und Gustav Vigeland im Techno-Club die großen Fragen der Gesellschaft. Dahlsbakkens Regie-Einfall funktioniert erstaunlich gut. Die Diskussionen über Monogamie passen genauso gut ins Berghain oder ins About Blank wie in den Berliner Bohème-Alltag um die Jahrhundertwende.

„Munch“ kommt passend zu zwei Munch-Ausstellungen in Berlin und Potsdam ins Kino

Für einen nicht ganz klassischen Ansatz entscheidet sich Dahlsbakken auch in der Darstellung der dritten Episode, in der der 45-jährige Munch nach einem Nervenzusammenbruch und mit einem Alkoholproblem in einer Kopenhagener Nervenklinik landet. Mit seinem ein wenig an Freud erinnernden Psychiater diskutiert er dort über Genie und Wahnsinn und reflektiert über sein Leben. Das Besondere an dieser Episode ist, dass sie in Schwarzweiß und im 4:3-Format gedreht ist. Das lässt an das damals gängige Fotografie-Format denken, und passt gar nicht mal so schlecht, da Edvard Munch auch gerne sich selbst und sein Lebensumfeld fotografierte.

Die letzte Episode ist dann, wie die erste, wieder klassisch gehalten und zeigt Munchs Lebensabend in seinem Haus bei Oslo, das zu dieser Zeit von den Nazis besetzt ist, weshalb der alte Maler um seine Bilder fürchten muss. Die Montage einzelner Szenen aus den vier unterschiedlichen Episoden verstärkt das Verständnis für die verschiedenen Lebensabschnitte Munchs, aber auch wie sich die Welt um ihn herum in 60 Jahren verändert hat.

Was den Film, besonders für Berliner, gerade jetzt sehenswert macht: Man muss nicht erst nach Oslo reisen, wo die meisten von Munchs zehntausenden Gemälden und Grafiken ausgestellt sind, sondern kann sich in zwei gut kuratierten, komplementären Ausstellungen in Berlin und Potsdam das Werk des großen Malers zu Gemüte führen. Die Berlinische Galerie beleuchtet in der Ausstellung „Edvard Munch. Zauber des Nordens“ vor allem Munchs prägende Berliner Zeit, während das Museum Barberini sich vor allem Munchs „Lebenslandschaften“ widmet. Über aktuelle Ausstellungen in Berlin lest ihr hier mehr. Henrik M. Dahlsbakkens „Munch“ ist somit eine wunderbare Ergänzung zu den beiden Munch-Ausstellungen, ist aber auch ohne sie ein schönes Biopic geworden.

  • Munch Norwegen 2023; 104 Min.; R: Henrik M. Dahlsbakken; D: Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth, Anne Krigsvoll; Kinostart: 14.12. 

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„Munch“ spielt teilweise in Berlin: Wir haben uns überlegt, welche Berlin-Kulissen Wes Anderson gefallen könnten. Die große Schauspielerin im Gespräch: Unser Interview mit Sandra Hüller über „Anatomie eines Falls“, Berlin und Regie-Stars. Ein Liebesfilm für die Generation Tinder: Aylin Tezel gibt mit „Falling into Place“ ihr Regiedebüt. Jean Dujardin verkörpert Sylvain Tesson in „Auf dem Weg“: Unser Autor hat den nachdenklichen Film gesehen. Wie gut ist der Film des Altmeisters? Ridley Scotts „Napoleon“ in der Kritik. Kein Historien-Drama, sondern ein Film über eine dystopische Zukunft: Unsere Autorin findet, das neue „Tribute von Panem“-Spinoff ist beste Kino-Unterhaltung. In „The Ballad of Songbirds and Snakes“ wurde viel in Berlin gedreht: Das sind die Drehorte des neuen „Tribute von Panem“-Spinoffs. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik. Euch fehlt der Überblick über die Berliner Filmfestivals? Die besten Festivals übers Jahr verteilt haben wir hier zusammengetragen. Und wenn die Filmfestspiele laufen, erfahrt ihr in unserer Berlinale-Rubrik alles darüber.

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