Filmkritik

„Falling into Place“: Ein Liebesfilm für die Generation Tinder

Aylin Tezel stand bisher nur vor der Kamera, jetzt hat sich die Wahlberlinerin von der schottischen Landschaft inspirieren lassen, ein Drehbuch geschrieben – und Regie geführt. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl findet: „Falling into Place“ ist eine sehr zeitgemäße Liebesgeschichte.

Die schottischen Highlands inspirierten Aylin Tezel zu ihrem ersten Drehbuch, und dienen in „Falling into Place“ auch als atmosphärische Kulisse. Foto: Julian Krubasik/Port au Prince Pictures

Aylin Tezel: „Das Drehbuch war das erste Mal überhaupt, dass ich etwas geschrieben habe“

Vor ein paar Jahren saß Aylin Tezel in einem Café in Edinburgh. Am Abend davor hatte sie Silvester gefeiert, nun begann ein neues Jahr. Und sie begann ein Drehbuch. „Eigentlich hatte ich ein Bed and Breakfast für zwei Nächte, aber das Schreiben war spannend, und so habe ich zwei Nächte verlängert, und dann noch zwei, und dann noch zwei.“ Sie blieb schließlich einen ganzen Monat, und danach hatte sie die Grundlage für ihren ersten Film als Regisseurin. Er heißt „Falling into Place“, und er spielt naheliegenderweise zum Teil in Schottland. Eine sehr heutige Liebesgeschichte, zwei Leute treffen sich, gehen wieder auseinander, für eine große Liebe ist die Begegnung zu kurz, für den Keim zu einer solchen aber reicht sie allemal.

___STEADY_PAYWALL___

Aylin Tezel ist eigentlich Schauspielerin. Sie kommt aus NRW, lebt aber schon sehr lange in Berlin, wo sie auch an der Ernst Busch studiert hat. Abgeschlossen hat sie nicht, war auch nicht wirklich notwendig, ihre Karriere läuft auch so. „Tatort“, „Bloch“, Kino. Und nun, nach bald zwanzig Jahren vor der Kamera, das erste Mal dahinter. „Das Drehbuch war das erste Mal überhaupt in meinem Leben, dass ich etwas geschrieben habe. Das hatte etwas sehr Unschuldiges an sich. Ich wollte zuerst einfach einmal nur, dass das auf das Papier kommt.“

Aylin Tezel hat für „Falling into Place“ nicht nur das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, sondern übernimmt auch die Hauptrolle. Foto: Julian Krubasik/Port au Prince Pictures

Sie kannte dann aber genügend Leute, um die richtigen Produzenten zu finden: Die Brüder Weydemann waren 2019 gerade mit „Systemsprenger“ auf der Berlinale das heiße Ding, als Aylin Tezel ihnen ihr Buch vorstellen konnte. „Die haben dieses Kamikaze-Gen, die stellen auch Filme auf die Beine, die eigentlich nicht zu finanzieren sind. Und so bin ich mit ihnen auf die Reise gegangen.“

Nach zehn Minuten könnte „Falling into Place“ zum Happy End blasen

Die Reise führte – nachdem sie eine Weile wegen der Pandemie aufgeschoben werden musste – weit nach Norden. „Als wir auf der Isle of Skye in Schottland landeten, haben mich das Licht, die dramatische Landschaft und die Melancholie, die dort in der Luft schwebt, gepackt.“ Und so beginnt die Geschichte von „Falling into Place“ dort: Ian (Chris Fulton, erster Eindruck: Parade-Hipster) und Kira (Aylin Tezel: erster Eindruck: zerbrechlich, aber sie passt schon auf sich auf) sind beide zur selben Zeit am selben Ort. Nach zehn Minuten ist eigentlich alles klar, der Film könnte zum Happy End blasen. Aber dann beginnt er erst richtig. „Ich wusste, dass sich zwei Menschen treffen werden an einem eher einsamen Ort, dass sie ein paar Stunden miteinander verbringen und dann auseinandergehen.“ So schildert Aylin Tezel, wie die Geschichte in ihr wuchs. „Beide leben danach in der gleichen Stadt und wissen voneinander nichts. Ich wusste selber nie, was passiert. Ich habe zugeschaut, wie sich zwei Seelen treffen auf sehr pure Art und Weise. Erst später können wir sie einordnen.“

„Falling into Place“ ist ein Porträt über die Generation der Mittdreißiger. Foto: Julian Krubasik/Port au Prince Pictures

Die Stadt ist London, das ist auch die zweite Heimat der Regisseurin. „Ich lebe in Berlin, aber die Wirklichkeit ist, dass ich ständig überall bin, besonders auch im United Kingdom. Eigentlich bin ich selten zu Hause. Wenn ich etwas entwickle, bin ich gern an anderen Orten unterwegs.“ Man könnte „Falling into Place“ als einen Liebesfilm für die Generation Tinder beschreiben. Zwei schöne Menschen suchen nach Verbindlichkeit in einer Welt mit vielen Möglichkeiten. Aylin Tezel hebt hervor, dass viele Menschen in ihren Dreißigern „eine große Verunsicherung mit sich selber“ mit sich herumtragen. Partnersuche ist also auch Suche nach sich selbst.

Liebe in Zeiten der Apps

Dass sich der Umgang mit der Suche nach Liebe und nach Partnern durch die vielen Apps stark verändert hat, ist für Aylin Tezel klar. „Das ist ja wie ein Spiel, das mit Sicherheit auch Spaß machen kann, aber auch eine gewisse Form des Konsumierens darstellt. Was eigentlich drunterliegt, die Sehnsucht nach einem Gegenüber, das uns erkennt, diese Sehnsucht hört aber nicht auf.“

Man könnte sagen, dass „Falling into Place“ dieser Sehnsucht eine sehr heutige Gestalt gibt, in einem Film, der inmitten der symbolischen Systeme (Popkultur, bildende Kunst) nach etwas Echtem sucht. Mit ihrem internationalen Film kehrt Aylin Tezel nun auch nach Berlin zurück. „Ich bin schon so unfassbar lange in der Stadt, dass ich hier mit fast jeder Ecke eine Erinnerung verbinde. Überall sind Flashes aus so vielen Lebensphasen.“ Mit „Falling into Place“ tritt Aylin Tezel wohl auch in eine neue Lebensphase ein. Von Kamikaze keine Spur.

  • Falling into Place Deutschland/Großbritannien 2023; 110 Min.; R: Aylin Tezel; D: Aylin Tezel, Chris Fulton, Rory Fleck Byrne; Kinostart: 7.12.

Mehr zum Thema

Jean Dujardin verkörpert Sylvain Tesson in „Auf dem Weg“: Unser Autor hat den nachdenklichen Film gesehen. Wie gut ist der Film des Altmeisters? Ridley Scotts „Napoleon“ in der Kritik. Kein Historien-Drama, sondern ein Film über eine dystopische Zukunft: Unsere Autorin findet, das neue „Tribute von Panem“-Spinoff ist beste Kino-Unterhaltung. In „The Ballad of Songbirds and Snakes“ wurde viel in Berlin gedreht: Das sind die Drehorte des neuen „Tribute von Panem“-Spinoffs. Alte und neue Film(plakat)-Kunst: Die Ausstellung „Großes Kino“ in der Kunstbibliothek führt durch über 100 Jahre Filmplakate. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik. Euch fehlt der Überblick über die Berliner Filmfestivals? Die besten Festivals übers Jahr verteilt haben wir hier zusammengetragen. Und wenn die Filmfestspiele laufen, erfahrt ihr in unserer Berlinale-Rubrik alles darüber.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad