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„The Holdovers“: Oscarreifer Lateinlehrer des Grauens

Alexander Payne hat einen neuen Film gedreht: In „The Holdovers“ muss ein unbeliebter Internatsschüler die Weihnachtsferien mit seinem noch unbeliebteren Lateinlehrer absitzen. Nicht nur für tipBerlin-Kritikerin Alexandra Seitz sind diese Schauspiel-Sternstunden großes Kino – Golden Globes gab es für „The Holdovers“ schon, und an Oscar-Nominierungen fehlt es auch nicht.

Zwei Unbeliebte (Dominic Sessa, Paul Giamatti) müssen in „The Holdovers“ zusammen Weihnachten im Internat verbringen. Foto: Focus Features

„The Holdovers“ sind zwei Zurückgelassene, die niemand mag

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Keiner mag ihn. Er riecht nicht gut. Er trinkt zu viel. Er schielt. Er ist der Lateinlehrer des Grauens, zumal er noch Altgriechisch und Geschichte der Antike in petto hat, um auch wirklich sicherzustellen, dass seine Schüler am Lehrstoff scheitern. Welchen heranwachsenden Jungmann aus begüterter Familie interessiert schon die graue Vorzeit, aus der der Lehrer stammt, wenn der Strand und die Bikini-Mädchen locken? Oder der Christbaum samt Geschenken. Denn Weihnachten steht vor der Tür, und die Schüler der Barton Academy, eines Internats nahe irgendeiner Kleinstadt in Massachusetts, kehren über die Feiertage nach Hause zurück. Naja, fast alle, bis auf einen armseligen Zurückgelassenen, den im Übrigen auch keiner mag und der nun beaufsichtigt werden muss. Von wem wohl?

Professor Hunham (Paul Giamatti) lässt seine Schüler gerne wissen, was er (nicht) von ihnen hält. Foto: Focus Features

Zur allgemeinen Freude hat Alexander Payne – der zuletzt mit „Downsizing“ (2017) nicht überall Jubel auslöste – endlich wieder einen Film gedreht. Und zu noch größerer allgemeiner Freude arbeitet er dabei endlich wieder mit Paul Giamatti zusammen. Giamatti machte in Paynes „Sideways“ (2004) aus einem etwas besserwisserischen Mauerblümchen mit Hang zum Zynismus einen nachvollziehbaren Menschen und verlieh dessen kontinuierlichem Beinahe-Scheitern eine beeindruckende Grandezza.

„The Holdovers“ glänzt mit drei großartigen Schauspielern

Selbstverständlich schenkt er sich auch in „The Holdovers“ nichts, in dem er die Rolle des ungeliebten Professor Hunham spielt. Giamatti wird dabei tatkräftig unterstützt von Dominic Sessa, der im Part des „verwaisten“ Barton-Schülers Angus Tully ein fulminantes Kino-Debüt hinlegt; entdeckt wurde er übrigens an der Schulbühne an einem der Drehorte. Komplettiert wird die Kleingruppe von Da’Vine Joy Randolph, die als Kantinen-Chefin Mary Lamb nicht nur für das Festtagsmahl zuständig ist, sondern mit ihrem ganz eigenen Kummer über den Tod ihres Sohnes im Vietnam-Krieg zur unvergleichlichen Stimmung dieses Jahreswechsels 1970/71 beiträgt.

Drei hell strahlende Kerzen fackeln satte zwei Schauspiel-Sternstunden ab, dazu brauchen sie keinen Adventskranz und verzichten herzlich gerne auf Besinnlichkeit. Ein echter Weihnachtsfilm also, der passenderweise zu Jahresbeginn in die Kinos kommt, um uns daran zu erinnern, dass die Gefühle und Werte, die an die hier glorios verkorksten Feiertage anknüpfen, den Rest der Zeit genauso relevant sind. Mit „The Holdovers“ dringt Payne, dessen gesamtes Werk um aufrichtige Begriffe von Wirklichkeit und Humanität ringt, zur eigentlichen Bedeutung des vielfach missbrauchten Festes der Liebe vor und fügt seiner Filmografie ein Glanzlicht hinzu.

  • The Holdovers USA 2023; 133 Min.; R: Alexander Payne; D: Paul Giamatti, Dominic Sessa, Da’Vine Joy Randolph; Kinostart: 25.1

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