Auf ihrem neuen Album kämpft sich die berlinisch-norwegische Songwriterin Tuvaband aus dem Einsiedlerdasein zurück ins Leben – und trifft somit nebenbei den (Post-)Pandemie-Zeitgeist. Unsere Autorin Nina Töllner stellt uns die Künstlerin vor.
Tuvaband: Dritte Album war fertig, als die Katastrophe begann
Besitzt Tuva Hellum Marschhäuser hellseherische Fähigkeiten? Auf „Post Isolation“, der Vorabsingle ihres dritten Albums, singt die Norwegerin, die sich Tuvaband nennt, über die Furcht vorm Tod und um ihre Liebsten und dass sie deshalb lieber auf Distanz gehe: „I feared for my close ones / I felt death was near / That’s why I keep my distance / To avoid my biggest fear.“ Ein Song für die Ära Corona, in der Ängste und Abstandhalten auf der Tagesordnung stehen? Sollte man meinen.
Tatsächlich aber hatte Tuva die Aufnahmen für „Growing Pains & Pleasures“, so der Titel der Platte, gerade abgeschlossen, als an ihrem Wohnort Berlin im März 2020 das öffentliche Leben heruntergefahren wurde. „Den letzten Monat vorm Lockdown habe ich viel drinnen gehockt und war echt bereit, mal wieder unter Menschen zu gehen“, erinnert sich die Songwriterin ein gutes Jahr später, während sie im frühlingshaften Sonnenschein auf einer Neuköllner Parkbank sitzt. Es sollte anders kommen.
Genau genommen lag damals bereits eine viel längere Phase der selbstgewählten On-Off-Isolation hinter Tuva. Zwei Jahre zuvor mit ihrem Freund von Oslo nach Berlin gezogen, hatte die vormalige Sozialpädagogin den Tapetenwechsel genutzt, um sich voll auf ihre Musik zu konzentrieren. In der Stadt, in der sich andere Neuankömmlinge ins Nachtleben stürzen, vergrub sie sich im Studio oder in ihrer Wohnung im unaufgeregten Alt-Tempelhof. Dabei entstand das 2019 erschienene Album „I Entered the Void“, auf dem Tuva, ihre Rückzugserfahrung thematisierte und dabei ihrem melancholischen Dream-Pop mit schroffen Gitarren Schärfe verpasste. Sie sagt:„Bevor ich nach Berlin zog, war ich sehr gesellig. Doch je mehr Zeit ich alleine verbrachte, umso mehr ließ das nach. Ich veränderte mich, hatte weniger Interessen. Es gab nur noch die Musik.“
„Growing Pains & Pleasures“ dreht sich nun um das Verlassen des Schneckenhauses, was Herausforderungen mit sich bringt. „Es geht vor allem darum, was die Isolation mit deiner Psyche macht. Wenn du keine Menschen siehst, gerät etwas in deinem chemischen Haushalt aus dem Gleichgewicht“, erläutert Tuva den Song „Post Isolation“ und erinnert sich: „Ging ich raus, fühlte ich mich ein bisschen ängstlich. Es fiel mir schwer, anderen in die Augen zu schauen. Bahnhöfe machten mich sehr nervös.“
Tuvaband macht nachdenklich: Wie lassen wir die Nähe wieder zu?
Emotionen, die mittlerweile vielen Leuten vertraut sind und der Platte etwas Prophetisches verleihen. Wie wird es sein, wenn große Menschenansammlungen wieder okay sind? Wenn wir uns wieder guten Gewissens aneinander drängen, umarmen, die Händeschütteln können, ohne Maske? Bei aller Erleichterung wird es Gewöhnung brauchen. Die Scheu vor physischer Nähe, vor Berührung, wird uns nicht so schnell loslassen.
Dazu passt auch die suchende, hadernde Stimmung der Musik von Tuvaband, die Tuva diesmal in weiten Teilen daheim aufnahm, inklusive Basslinien und Gitarre. Fast scheint sie mit ihrer glockenhellen, verletzlichen Stimme zu sich selbst zu sprechen, über zwanghafte Gedanken, innere Rastlosigkeit, persönliche Transformation – während E-Gitarren und Synthies mäandernd ihre Bahnen ziehen, verhallende Tupfer setzen und sich zu dräuenden Shoegaze-Flächen zusammenbrauen.
Doch kreist die Musikerin auf Album Nummer drei nicht nur um sich selbst: In „Irreversible“ flucht sie über unsere Passivität angesichts des Klimawandels, in „Blue“ bringt sie ihre Abscheu gegenüber Mauer-bauenden Rechtspopulisten zum Ausdruck und lässt fauchenden, heulenden Gitarren-Noise aufbranden. Überraschend wütende Worte, die man ihr, die auch im Gespräch zurückhaltend wirkt, nicht unbedingt zugetraut hätte.
Mit „Be Fine“, dem letzten Stück des Albums, blinzelt Tuva Hellum Marschhäuser allerdings hoffnungsvoll ins Tageslicht. „I’ll go out / I think I’ve been inside for too long“, singt sie, bereit für ein Wiedersehen mit der Welt da draußen („I need to see you“). Und wie in Tuvas Schlusssong sollten wir uns immer wieder sagen: „We’ll be fine once again.“
Tuvaband: „Growing Pains & Pleasures“ (Passion Flames)
Mehr Musik
Plattencover, auf denen man Berlin sieht, haben eine lange Tradition. Der Glanz der Stadt, bedeutende Sehenswürdigkeiten und die Tanzhallen und Ballhäuser gaben schon in der Frühzeit der Musikindustrie visuell genug her, um den Verkauf von Tonträgern anzuheizen. Die Berliner 80s-Charts-Überflieger Alphaville („Forever Young“, „Big In Japan“ packen aus über ihre wilde Zeit in West-Berlin und Drogen. Wer Trost braucht: Das Album „Hinüber“ der Berliner Pop-Hiphopperin Mine ist der Kick gegen Weltschmerz. Außerdem mehr Alben der Woche, mehr Platten im Test: Sophia Kennedy begeistert mit Geistern, Haiyti mit Berliner Kiez-Trap. Unser Berlin Danger Dan rettet die Kunstfreiheit – und Dawn Richard rettet gleich die ganze Zukunft.