Interview

25 Jahre 48 Stunden Neukölln: „Das Festival hat Impulse gesetzt“

„48 Stunden Neukölln“ ist das größte Festival der freien Kunstszene in Berlin. Die Veranstaltung sollte zu Beginn das Klischee vom sogenannten „Brennpunktviertel“ neutralisieren – und wurde zu einer Konstante im kulturellen Leben der Stadt. Im tipBerlin-Gespräch erinnert sich Ilka Normann an die Premiere und andere Meriten. Sie sitzt in der Geschäftsführung des Vereins „Kulturnetzwerk Neukölln“, der einst die Idee für die Veranstaltung entwickelte – und bis heute Ausrichter ist. Ilka Normann war auch zeitweise Leiterin des Festivals.

Straßenszene aus dem Sommer 2014: „48 Stunden Neukölln“ macht Beine. Foto: Imago/Ipon

„48 Stunden Neukölln“: Der Stadtteil ist teilweise Bohème-Kolonie

tipBerlin 1999 fand „48 Stunden Neukölln“ erstmals statt. Wie erinnern Sie sich an die Premiere?

Ilka Normann Das Festival war eine direkte Reaktion auf die damalige Negativ-Berichterstattung über den Stadtteil. Beispielhaft dafür war ein Artikel im „Spiegel“ aus dem Jahr 1997 mit der Überschrift „Endstation Neukölln“, der den Norden des Bezirks als hoffnungslose Hochburg der Kriminalität darstellte. Wegen dieser und ähnlicher Berichte gab es damals einen Aufschrei in der Kunst- und Kulturszene, die den Bezirk zu Unrecht in ein solches Licht gerückt sah. Die erste Ausgabe war noch sehr klein mit insgesamt 22 Orten, darunter zum Beispiel die Galerie im Körnerpark, die Neuköllner Oper oder auch die Jazzbar Atalante, die es heute nicht mehr gibt. Doch jedes Jahr wuchs es kontinuierlich.

tipBerlin Kein anderer Stadtteil im westlichen Berlin hat sich seit der Jahrtausendwende so radikal verändert wie Neukölln. Aus dem so genannten „Brennpunktviertel“, das Boulevardmedien als Symbol für gescheiterte Integration galt, ist teilweise eine internationale Künstler- und Bohème-Kolonie geworden. Inwiefern spiegelt die Geschichte von „48 Stunden Neukölln“ diese Entwicklung?

Ilka Normann Das Festival hat den Wandel nicht gespiegelt, es hat Impulse gesetzt. An der Kunst-Vielfalt, die heute im Stadtteil zu erleben ist, hatten die „48 Stunden Neukölln“ einen großen Anteil – mit einem langen Atem. Dank des Festivals und einiger anderer Kunstaktionen haben sich Netzwerke gebildet, die der soziokulturellen Weiterentwicklung vieler Nordneuköllner Kieze den Boden bereitet haben.

tipBerlin Haben Sie sich nie Sorgen um die Finanzierung gemacht?

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Ilka Normann In Finanzierungsfragen war jedes Jahr aufs Neue Kreativität gefordert. Das war von Anfang an so: „48 Stunden Neukölln“ war immer ein Low-Budget-Festival. Heute ist die Organisation dank verschiedener Förderungen einigermaßen gesichert. Die Mittel des Bezirks, die wir dankenswerterweise regelmäßig erhalten, entsprechen heute in etwa dem Werbeetat. Damit sind noch keine Künstler:innen oder Organisator:innen honoriert. Dazu kamen dann ab 2016 EU-Mittel über die Neuköllner Wirtschaftsförderung, die explizit zur Entwicklung des Kunststandorts Neukölln gedacht waren. Seit 2018 haben wir das Glück, über die Senatsverwaltung für Kultur und Europa (heute: Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt) Zuwendungen aus dem Festivalfonds zu bekommen. Das endet jedoch 2024. Dann schauen wir weiter.

Große Anerkennung im Jahr 2008: Ilka Normann, damals Festivalleiterin, nimmt den Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft entgegen, einem bundesweit agierenden Verein. Foto: Tanja Schnitzler

tipBerlin Welche Hindernisse haben sich Ihnen noch in den Weg gestellt?

Ilka Normann Vor 2010 war es schwierig, das Festival in der Öffentlichkeit zu bewerben. Die Berliner Medien hielten sich mit Vorberichten zurück, der Berliner Tourismusverband nahm das Festival nicht in sein Programm auf. Vor dem großen Neukölln-Boom der Zehner-Jahre war das Vorurteil verbreitet, dass der Stadtteil eine No-Go-Area sei, die auswärtige Besucher:innen niemals freiwillig betreten würden. Das stimmte natürlich nicht, es war eher spannend. Ab 2010 begann dann ein regelrechter Hype, das Festival wuchs auf über 350 Ort an. Das war kaum noch zu organisieren. Wir verknüpften eine Teilnahme mit der Arbeit an gemeinsam entwickelten Jahresthemen, die verbindlich waren. Zugunsten der Kunst und der inhaltlichen Auseinandersetzung. Eine Partymeile wollten wir nicht sein. Wichtig war und ist es, in Abständen in sich zu gehen und die Frage, was ist ein zeitgemäßes Kunstfestival in Neukölln, im Blick zu behalten.

tipBerlin Worin liegt der Reiz für Künstlerinnen und Künstler?

Ilka Normann Zum einen bietet „48 Stunden Neukölln“ ihnen eine riesige Plattform. Und es setzt Impulse mittels der Jahresthemen und des vernetzenden Charakters. Ich liebe die gute Stimmung, die offene Neugier, die verbindende Kommunikation und den kooperativen Geist während des Wochenendes. Das genau schätzen auch Künstler:innen wie Besucher:innen gleichermaßen. Jährlich nehmen ungefähr 1.000 Künstler:innen teil, natürlich viele auch mehrfach: Seit 1999 haben sicherlich 15.000 Beteiligte ihre Werke bei den „48 Stunden Neukölln präsentiert. Sie treffen auf ein großes Publikum, fernab von elitären Kreisen. Ein holländischer Künstler sagte mir gerade: Wenn ich in einer Galerie eine Ausstellung habe, kommen vielleicht 60 bis 80 Besucher:innen. Bei „48 Stunden Neukölln“ interessieren sich an einem Wochenende 1.500 Leute für meine Werke, und man kommt ins Gespräch.

tipBerlin Warum lautet das Motto in diesem Jahr „Play(ground)“?

Ilka Normann In den Herbstmonaten vor dem Festival treffen immer mehrere Vertreter:innen des Kulturnetzwerks mit Kurator:innen, Künstler:innen, Veranstalter:innen zusammen, um das Thema fürs kommende Jahr zu entwickeln. Manchmal sind drei Sitzungen notwendig. Im vergangenen Herbst ist in dieser Runde das „Motto „Play(ground)“ entwickelt worden. Das wird durchaus kontrovers diskutiert. Und soll es ja auch! Meine Interpretation: Über spielerisches Experimentieren ausloten, wie die Kulturszene nach Corona sich neu ausrichten kann. Der Begriff „ground“ holt uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es wird spannend, zu erleben, wie die beteiligten Künstler:innen dazu gearbeitet haben werden.


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