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Internationales Literaturfestival Berlin: Rushdie, Melandri, Sensationen

Das Internationale Literaturfestival Berlin (ilb) bringt vom 6. bis 16. September 2023 wieder die Weltliteratur auf die Bühnen der Stadt: Francesca Melandri, Jeffrey Eugenides, Maxim Biller, Werner Herzog. Der große Salman Rushdie wird per Video zugeschaltet. Und das Festival geht mit neuer Leitung in die 23. Auflage. Das müsst ihr wissen über das größte und internationalste Literaturfestival der Stadt.

Internationales Literaturfestival Berlin: Viel FOMO für Literaturfans. Foto: Schirin Moaiyeri

ilb 2023: Elf Tage, 133 Veranstaltungen, 148 Autor:innen aus 41 Ländern.

Das 23. Internationale Literturfestival Berlin bringt elf Tage lange jede Menge vor allem Bücher schreibende Weltstars in die Stadt, dürfte aber auch für einige Entdeckungen garantieren. Auch unter neuer Leitung der Kulturmanagerin, Bühnenregisseurin und Dramaturgin Lavinia Frey, die seit Anfang Mai die Nachfolge des Festivalgründers Ulrich Schreiber übernahm, bleibt die Eigenschreibweise des Festivals in Kleinbuchstaben bestehen. Dagegen ist das Programm wieder: verdammt groß. Elf Tage, 133 Veranstaltungen, 148 Autor:innen aus 41 Ländern.

Wer sich sowieso schon mit kulturellen FOMO-vibes herumschlägt – FOMO steht für „Fear of Missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen“, dem wünschen wir viel Spaß vom 6. bis 16. September in Berlin. Schriftsteller:innen, Bücher, Sensationen.

Stars und Entdeckungen auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin

Werner Herzog spricht mit dem Schriftsteller Jan Brandt über „Landschaft in Trance“. Foto: Lena Herzog

Zu den Stars der Literaturbranche, die beim 23. Ilb zu Gast sein werden, gehören der letztjährige Booker-Preisträgers Shehan Karunatilaka aus Sri Lanka (19.9., 19.30 Uhr, 13.9., 18 Uhr, jeweils Haus der Berliner Festspiele), Maxim Biller aus Deutschland (8.9., Staatsbibliothek Unter den Linden), Navid Kermani aus Deutschland (unter anderem 6.9., 20.30 Uhr, Staatsbibliothek, Otto-Braun-Saal), die bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić (14.9., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele), der italienische Autor Paolo Giordano (11.9., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele) und der legendäre deutsche Filmemacher Werner Herzog (14.9., 19 Uhr, Haus der Berliner Festspiele).

Salman Rushdie wird beim ilb zugeschaltet

Per Video zum Gespräch mit dem deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann und dem Übersetzer Bernard Robben zugeschaltet wird der große Salman Rushdie, diesjähriger Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, zu Gast auf dem ilb. Im August vergangenen Jahres hatte er ein Messerattentat bei einem Auftritt in Chautauqua im US-Bundesstaat New York schwer verletzt überlebt und dabei ein Auge verloren. Und der US-amerikanische Schriftsteller Jeffrey Eugenides liest aus seinem noch nicht veröffentlichten neuen Roman (13.9., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele).

Auf nichtliterarischem Terrain überaus bekannt ist die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, die gleichwohl auch Bücher schreibt, zuletzt gemeinsam mit ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma. Beim ilb diskutiert sie mit Armin Nassehi und Lora Anne Viola über „Demokratien in Gefahr“ (10.9., 12 Uhr, Silent Green).

Und auch das ilb macht noch einmal die durchaus wilde Debatte „Zentrum Einheit“ um die innerdeutschen Perspektiven auf, die in diesem Jahr vor allem aus ostdeutscher Sicht mit den viel debattierten Büchern von Katja Hoyer („Diesseits der Mauer“) und Dirk Oschmann („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“) geführt wurde. Beide treffen im Gespräch beim ilb auf den Soziologen Steffen Mau („Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“), und wobei die Meinungsverschiedenheiten etwa mit der aktuelle für den Deutschen Buchpreis nominierten, hier nicht eingeladenen Autorin Anne Rabe womöglich größer ausgefallen wären, aber wir werden sehen (11.9., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele).

Es gibt aber auch viele Literaten zu entdecken, von denen der deutsche Durchschnittsleser bislang noch nicht so viel gehört hat. Zum Beispiel der argentinische Autor Ricardo Romero, dessen Erzählstil der „New Weird Literatur“ zugerechnet wird (14.9., 19.30 Uhr, Instituto Cervantes Berlin). Oder die lateinamerikanische Schriftstellerin Mónica Ojeda, deren Werke als Mixtur aus Intellektualismus und Horror beschrieben werden (13.9., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele).

Internationales Literaturfestival Berlin an acht Veranstaltungsorten

In der ersten Woche finden die Veranstaltungen des ilb an zwölf Veranstaltungsorten statt von der Staatsbibliothek Unter den Linden und in der Potsdamer Straße über das Berliner Ensemble und das Instituto Cervantes Berlin bis zum Silent Green Kulturquartier und der JVA des Offenen Vollzugs Berlin in Tegel statt. In der zweiten Hälfte ist das Haus der Berliner Festspiele das Zentrum.

Internationales Literaturfestival Berlin: Francesca Melandri hält die Eröffnungsrede. Foto: Carlo Traina

Berlins größtes Literaturfestival startet am Mittwoch, 6. September, 18 Uhr, im Otto-Braun-Saal der mit der Eröffnungsrede der italienischen Bestseller-Schriftstellerin Francesca Melandri, die unter dem Motto „The Ultrasound of Silence“ steht. Melandri ist vor allem durch ihren Welterfolg „Alle, außer mir“ (2018 auf Deutsch erschienen) hierzulande bekannt. Ihr Werk durchzieht die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur und vergessener. Eher ungewöhnlich für das dieses Jahr vor allem auf Lesungen und Debatten ausgerichtete Festival, wird sie dabei musikalisch vom Trickster Orchestra unter Leitung von Cymin Samawatie. Im Anschluss an die Rede diskutiert die italienische Schriftstellerin mit Navid Kermani und Manjeet Mann.

Neue Festivalleitung: Auf Gründer Ulrich Schreiber folgt Lavinia Frey

In diesem Jahr geht das Festival mit neuer Leitung an den Start. Im März hatte der Gründer des Festivals, Ulrich Schreiber, der das Festival zuletzt auch durch die Corona-Pandemie gesteuert hatte, seinen Rücktritt erklärt. Vorher waren Vorwürfe aus dem Team gegen seinen Führungsstil an die Öffentlichkeit gelangt. Von „Aggressivität“, von „Respektlosigkeit“ gegenüber Mitarbeiter:innen war da die Rede gewesen. Dennoch sind Schreibers Verdienste um das Festival groß und unbestritten. Der Abschiedsabend „Rückblick und Ehrung Ulrich Schreibers“ (9.9., 19.30 Uhr, Staatsbibliothek Unter den Linden) ist hochkarätig besetzt mit Weggefährt:innen: unter anderem Pamela und Wolf Biermann (unser großes Wolf-Biermann-Interview findet ihr hier), Dieter Bachmann, Christine Eichel, Monika Grütters, Joachim Helfer, Franziska Herrmann, Ulli Janetzki, Liao Yiwu, Francesca Melandri, Moritz Rinke, Samuel Shimon, Ece Temelkuran,Jörg Thadeusz. Es dürfte überaus emotional werden.

Lavinia Frey, die neue Leiterin des internationalen literaturfestivals berlin. Foto: Thomas Hedrich

Als Lavinia Frey, die zuvor in der Stiftung Humboldt Forum als Geschäftsführerin die Abteilung Programme und Projekte verantwortet hatte, zum 1. Mai von der Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e.V. (PWS) zur neuen Festivalleiterin berufen wurde, waren viele wichtige Programmentscheidungen für das 23. ilb bereits getroffen wurden. „Als ich im Mai gekommen bin, war der Großteil des Programms kuratiert, ein Teil davon natürlich von und mit Uli Schreiber“, sagt Lavinia Frey im Gespräch mit dem tipBerlin. „Gemeinsam im Team haben wir uns ab dem 1. Mai angesehen: Wo können wir verdichten und fokussieren? Das haben wir gemacht.  Programmatisch, inhaltlich, strukturell.“

Lavinia Frey hat, nicht zufällig, seit ihrem Amtsantritt immer wieder den Team-Charakter betont, unter anderem mit Programmleiterin Simone Schröder und Christoph Rieger, der seit mehr als zehn Jahren die wichtige Sektion Kinder- und Jugendliteratur beim ilb leitet. Demonstrativ erschien auf den Social-Media-Kanälen ein Gruppenbild, das das 20-köpfige Kollektiv von der Chefin bis zur Praktikantin in trauter Eintracht zeigte.

Unter Lavinia Freys Leitung hat dieses Team für das Festival fünf zentrale Fragestellungen formuliert, die sich wie rote Fäden durch das Programm ziehen werden: über die Zukunft des Planten mit seinen endlichen Ressourcen, Erzählungen von Flucht und Vertreibung, die Formulierung sozialer Utopien durch Literatinnen, die Veränderung der Geschlechterrollen und natürlich den ganzen Themenkomplex um den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine. Auch wenn das Programm der neuen Leiterin zufolge gestrafft und fokussiert wurde, ist die Bandbreite des ilb immer noch gewaltig. Allein die Liste der Sektionen und Specials reicht von den Literaturen der Welt über den Graphic Novel Day und die New German Voices bis zu den Specials zum Iran und zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten.

So ist das 23. Internationale Literaturfestival Berlin ein Mischung aus Kontinuität und Neubeginn, im Grunde gleichzeitig das letzte ilb des Literatur-Berserkers Ulrich Schreiber und das erste Jahr der Teamplayerin Lavinia Frey (ein Interview mit der neuen ilb-Chefin liest ihr im tipBerlin 9/2023, den ihr in unserem Webshop erwerben könnt).

Frau Frey, wie besessen sind Sie von der Literatur? „Was heißt besessen?“, fragt Lavina Frey zurück. „Ich arbeite seit vielen Jahren sehr eng mit zahlreichen Autorinnen und Autoren zusammen.  Es geht nicht nur darum, mit wem ich schon mal einen Wein getrunken habe, sondern herauszufinden: Welche werden die kommenden literarischen Stimmen sein?”

  • 23. Internationales Literaturfestival Berlin acht Veranstaltungsorte in Berlin, u.a. Haus der Berliner Festspiele (Zentrum der zweiten Woche), Staatsbibliothek zu Berlin, Berliner Ensemble, Silent Green u.a., Mi 6.9.–Sa 16.9.
  • Beim ilb 2023 nehmen unter anderem teil: Booker-Preisträger 2022 Shehan Karunatilaka, Nino Haratischwili, Moshtari Hilal, Werner Herzog (im Gespräch mit Jan Brandt), Maxim Biller, Ilija Trojanow, Dinçer Güçyeter, Salman Rushdie (zugeschaltet im Gespräch mit Daniel Kehlmann), Paolo Giordano, Adam Thirlwell und viele andere
  • Programm hier

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