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Kritik

Von Schirachs Gott am Berliner Ensemble: Außer Thesen nichts gewesen

Ferdinand von Schirach sucht Gott in der Ethikkommission. Oliver Reeses Inszenierung hat mit Theater nicht viel zu tun, findet tipBerlin-Theaterkritiker Peter Laudenbach. Der Vorlage attestiert er die sprachliche Raffinesse einer Verwaltungsvorschrift. Und meint, redegewandte Juristen hätten die Schauspieler problemlos ersetzen können. Sein Fazit: Ferdinand von Schirachs „Gott“ am Berliner Ensemble ist aktive Sterbehilfe.


"Gott" von Ferdinand von Schirach. V.l.n.r.: v.l.n.r. Bettina Hoppe, Martin Rentzsch, Judith Engel, Josefin Platt, Veit Schubert, Ingo Hülsmann, Gerrit Jansen. Foto: Matthias Horn
„Gott“ von Ferdinand von Schirach. V.l.n.r.: Bettina Hoppe, Martin Rentzsch, Judith Engel, Josefin Platt, Veit Schubert, Ingo Hülsmann, Gerrit Jansen. Foto: Matthias Horn

Darf man die Uraufführung eines recht leblosen Dramentextes, eines literarischen Werkes von der sprachlichen Raffinesse einer Verwaltungsvorschrift benutzen, um selbigen final zu entsorgen, die erste Inszenierung sozusagen als Akt aktiver Sterbehilfe? Oliver Reese beantwortet die Frage am Berliner Ensemble bei seiner Uraufführung von Ferdinand von Schirachs Nicht-Drama „Gott“ mit einem entschlossenen Unbedingt!

Fehlende Werktreue kann man seiner Inszenierung zumindest nicht vorwerfen. Den Dialogen mit dem Duft von lange liegen gebliebenem Papier und der Nüchternheit eines Bundesverfassungsgerichtsurteils, wenn auch ohne dessen begrifflicher Präzision, entspricht das bemühte Standbein-Spielbein-Textaufsage-Theater vollumfänglich.

Ferdinand von Schirach macht aus Dilemmata Denksportaufgaben

Als Dramatiker, oder besser: als Bühnentextlieferant, versucht sich der Jurist und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach an Thesenstücken, die moralische Dilemmata in Denksportaufgaben übersetzen. In diesem Fall lautet die Rätselaufgabe, ob Ärzte Sterbewillige bei ihrem Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, unterstützen dürfen. Praktischerweise kann es darauf keine einfachen Antworten geben, womit für die nötige Ambivalenz gesorgt wäre.

Weil es dem Autor erkennbar nicht um Figuren geht, weil er Figuren eigentlich nur als Thesenträger und Sprechblasen-Produzenten benötigt, hat er sein Stück in einer Ethikkommission angesiedelt. Dort dürfen eine kluge Verfassungsjuristin (Judith Engel) und ein geschniegelter Vertreter der Ärzteschaft (Ingo Hülsmann), ein berufsbedingt etwas verkniffener Bischof (Veit Schubert), eine vom Sterbewunsch Betroffene (Josefin Platt) und andere Ethikexperten dann ihre Redebeiträge aneinanderreihen.

Ferdinand von Schirachs "Gott" ist ödes Thesenrittertum, findet Peter Laudenbach. Aber die Foto: Matthias Horn
Ferdinand von Schirachs „Gott“ ist ödes Thesenrittertum, findet Peter Laudenbach. Aber die Foto: Matthias Horn

Die Anzüge sitzen so akkurat wie die Argumentationsketten. Heroisch mühen sich die bedauernswerten Darsteller den Figuren mit den Charakterzügen von Fußnoten in juristischen Aufsätzen und der Komplexität von leeren Aktenordnern irgendwie Bühnenleben einzuhauchen. Es bleibt ein so mühsames wie vergebliches Unterfangen.

Ferdinand von Schirachs „Gott“ ist öde, zäh, vorhersehbar

Nicht, dass man nichts erfahren würde. Wie der leibhaftige Hochhuth hat von Schirach Fakten zur Aktenlage zusammengetragen, beziehungsweise -gegoogelt. Nicht nur über die Selbstmordrate im US-Bundesstaat Oregon, den Anteil der Suizidversuche mittels Erhängen (über 50 Prozent), die Anzahl der jährlich in Deutschland auf Zuggleisen unter Missbrauch des Zugverkehrs verübten Suizidversuche (etwa 800) sowie die Quote der dabei misslingenden Versuche (10 Prozent) wird man Dank von Schirachs Detailfreude bestens informiert.

Auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts, Grundgesetzinterpretationen oder Länder mit liberaler Sterbehilfegesetzgebung kann man, wenn man gut aufgepasst hat, nach absolvierter Bühnenbelehrung hoffentlich fehlerfrei aufsagen. Mit Theater hat das nicht viel zu tun, redegewandte Juristen hätten die Schauspieler problemlos ersetzen können (aber vermutlich sprengen deren Stundensätze das Budget einer Theatervorstellung). Das alles wäre nicht weiter schlimm, wäre das Thesenrittertum nicht so quälend öde, zäh und vorhersehbar.

  • Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, 25.–27.,9 ,13.–15.10., 19.30 Uhr, 26–42 €, ausverkauft, ggf. Restkarten, www.berliner-ensemble.de

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