Ausstellungen

„Studio Berlin“: So gut ist die Ausstellung von Berghain und Boros

„Studio Berlin“ ist zur Berlin Art Week 2020 verheißungsvoll gestartet – nach einigen Wochen Betrieb war Schluss. Nun im Juni 2021 das Comeback der Ausstellung an einem besonderen Ort. Zum Glück. Denn Studio Berlin ist absolut sehenswert. Weil sie fast alle Regeln des Kunstbetriebs bricht und ihre Besucher:innen mit ihren vielen Narrativen gleich vielfach überfordert.

„Studio Berlin“ im Berghain beginnt an der Fassade: Mit Rirkrit Tiravanijas "Morgen ist die Frage", Foto: Rirkrit Tiravanija für Studio Berlin 2020
„Studio Berlin“ beginnt an der Fassade des Berghain: Mit Rirkrit Tiravanijas „Morgen ist die Frage“. Foto: Rirkrit Tiravanija für Studio Berlin 2020

Die 90er lassen Berlin nicht los. Und irgendwie beginnt auch diese Geschichte vom „Studio Berlin“ in diesen rauen Jahre. Aber erst mal beginnt sie mit einem Telefonat. „Der Norbert hat angerufen und gefragt, ob wir etwas mit ihm zusammen machen wolle.“, erzählt Christian Boros. Der Norbert ist Norbert Thormann, Mitgründer des Berghain, das schon Anfang März 2020, vor weit mehr als einem Jahr, seine Türen dicht machen musste. Plötzlich war dort statt Techno nur noch Stille.

Arbeiten von Norbert Bisky und Wolfgang Tillmans schon lang im Berghain

Das Berghain und die Kunst, die Geschichte ist auch schon etwas älter. An den Betonwänden hängen schon lange Arbeiten von Norbert Bisky und Wolfgang Tillmans, weil den Berghain-Machern die Kunst gefällt und sie mit den Künstlern eine Freundschaft verbindet. Und auch Ausstellungen hatten in der Kohlenhalle des ehemaligen Heizkraftwerks, die nicht für den Clubbetrieb genutzt wird, schon stattgefunden. Also so ganz aus dem Nichts kam die Idee mit der Kunstausstellung nicht.

„Studio Berlin“ im Berghain: Das Sammlerpaar Boros (links)
Karen Boros (Mitte) und Christian Boros mit der Kuratorin und Organisatorin Juliet Kothe vor dem Berghain. Foto: Max von Gumppenberg

Und weil das Sammlerpaar Karen und Christian Boros die Berghain-Gründer schon von der Geburtstagsparty kannten, der zum zehnjährigen Bestehen des Technoclubs nämlich. Und diese Geburtstagsparty fand aus nostalgischen Gründer nicht im Berghain, sondern in dessen Vor-Vorgänger Bunker stattfand – heute der Boros-Bunker in der Reinhardtstraße, unten die mit Führungen begehbare Boros-Kunstsammlung und oben der Wohnbungalow des Sammlerpaars. Und von 1992-96 Sitz des Technoclubs Bunker. Da kann man dann auch mal durchklingeln und fragen, ob man eine Kunstausstellung zusammen machen will.

Christian Boros war damals, ls der Anruf kam, mit der Rettung seiner Firma beschäftigt, aber Karen Boros aktivierte ihre Künstler:innenkontakte. Und da ja niemand reisen konnte, waren von denen auch alle da und nicht bei irgendeiner Biennale in irgendwo. Und wo sie normalerweise ein halbes Jahr auf ein Treffen hätte warten müssen, konnte Karen Boros plötzlich innerhalb weniger Tage einen Studiobesuch machen.

117 Künstler*innen bei „Studio Berlin“ im Berghain dabei

Rund 30 Künstler:innen hat sie so gefunden. Die alle mitmachen wollten, ohne dass sie wussten, in welcher legendären Location sie ausstellen würden. Und die sagten, sie wollen befreundete Künstler:innen mit dabei haben. Den und auch noch die. 117 Künstler:innen waren zum Start der Ausstellung „Studio Berlin“ gelistet. In der Pandemie war die Freundschaft und der Austausch unter Kollegen viel wichtiger als die mögliche Konkurrenz. Zwar haben zum Re-Opening im Juni einige Künstler:innen ihre Arbeiten wieder abgeräumt – nicht nur in Berlin läuft der Kulturbetrieb wieder an, sondern überall, verschobene Ausstellungen werden nachgeholt, neue angesetzt. Das Meiste blieb aber, und auf der Homepage des Berghains heißt es zur Künstler:innenliste vielsagend „To be continued“. Lücken dürften gefüllt werden.

„Love“ von Dirk Bell ist eine von zwei Arbeiten bei „Studio Berlin“ im Berghain, die fotografiert werden darf. Foto: Dirk Bell

Wenn man nun das Gebäude betritt (mit einem Online-Ticket ins Berghain, wer hätte das für möglich gehalten) und vorbeigeht an der vielteiligen, schon lange fest installierten Arbeit von Norbert Bisky, dann kommt man zu einer riesigen, von Rost angefressenen rot-weißen Boje, die im Treppehaus auf und ab schwebt. Mit jeder Welle steigt sie hoch und runter, denn sie ist per Sender mit einem Pendant im Atlantik verbunden – und die Schwesterboje wird vor der französischen Küste von der rauen See durchgerüttelt. Julius von Bismarck hat zwei Nächte durchgearbeitet, um alles ins Laufen zu bringen. Jetzt schwankt die Boje sechs Meter auf und ab. Und fügt sich wunderbar in diese massive Industriearchitektur. Wobei, so viel sei verraten, die Installation schon geplant war, bevor vom Lockdown die Rede war. Ein großartiger Zufall.

Im ersten Stock, auf dem Dancefloor, steht eine Soundinstallation von Emeka Ogboh mit Aufnahmen, die der Künstler in der Zeit des Lockdowns in Lagos gemacht hat. Willem de Rooij hat eine Vase mit einem riesigen weißen Blumenstrauß auf den Tresen gestellt, die immer wieder neu befüllt wird. Cyprien Gaillard hat eine kleine Gravierung, wie ein Stich, in die Stahlwand einer Toilette geritzt: „The Land of Cockaigne“.

Die Syphilis kam mit Kolumbus‘ Schiffen nach Europa

Und Simon Fujiwara hat eine grandiose Installation zum Thema Syphilis in eine Barnische gesetzt. Ein weißes Geisterschiff sieht man da, an Bord antike Skulpturen, ein riesiger Krake scheint das Boot in die Tiefe zu ziehen. An Bord ist Christopher Kolumbus, auf seinen Schiffen soll die Syphilis nach Europa gefahren sein. Dazu beschäftigt Fujiwara sich in weiteren Installationen aus gefundenen Objekten, Skelettteilen und Papier mit berühmten Künstlern, die an Syphilis litten, wie Vincent van Gogh und Paul Gaugin. Und an einem Kettenhemd hängen in Plexiglas gelaserte Apothekenrechnungen und Prep-Pillen, die vor einer HIV-Infektionen schützen und somit vielen als Freifahrtschein für ungeschützten Sex dienen, aber eben nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten schützen.

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Das verbindende Element der Ausstellung ist ganz klar das Berghain mit alle seinen Versprechen von Musik und Entgrenzung, von Sex und Freiheit. Kuratiert im klassischen Sinne wurde „Studio Berlin“ nicht, sondern irgendwann wurde bei der Liste der Ausstellenden einfach Schluss gemacht. Denn auch wenn das Gebäude riesig ist, die Aufnahmefähigkeit der Besuchenden ist es nicht. Und die Arbeiten haben es auch nicht ganz einfach, neben der Wucht des Gebäudes und all den Narrativen, aus denen sich das Berghain auch noch zusammensetzt, zu bestehen.

Die Künstlerinnen haben die Arbeiten, die sie präsentieren, wie auch den genauen Ort, an dem sie installiert sind, selber ausgesucht. Ohne Kurator*innen. Und das funktioniert super.

„Studio Berlin“ auch in der Panoramabar des Berghain

Weiter zur Panoramabar. Petrit Halilaj und Alvaro Urbano haben dort eine zwei Meter hohe, rosafarbene Blume aus Draht und Stoff hinein gelegt. In der Panoramabar haben sie sich kennengelernt. Ihre Hochzeit mussten sie pandemiebedingt absagen. Die taube Künstlerin Christine Sun Kin, die oft im Berghain war und Musik über die Schwingungen des Floors erlebt, hat auf den Boden mit schwarzer Lackfarbe eine Art Geflecht aus Noten mit ganz langen Hälsen gemalt. Anna Uddenberg lässt an eine Ecke der Bar eine Frauenfigur („CLIMBER (Angel Kiss)“, 2020) über den Tresen schauen, in der Pose wie in der Kleidung eindeutig sexuell aufgeladen. Und Wolfgang Tillmans, von dem drei große Fotoarbeiten fest installiert dort hängen, hat seine Freundin Isa Genzken gefragt, eine Arbeit beizutragen. Es ist ein Metallrechteck mit vielen Absperrungs- und Warnhinweis-Klebebänden. Das Gegenteil von dem, für das das Berghain steht.

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Es dürfte eine dieser Ausstellungen sein, über die man noch in Jahren sprechen wird. Gerade weil man sie nicht mit White-Cube-Maßstäben messen kann. Dazu ist das Gebäude viel zu sehr aufgeladen mit Geschichten, Emotionen und Mythen. Dazu sind die Umstände, unter denen „Studio Berlin“ zustande kam, viel zu singulär. Und es kommt hinzu, dass die Kunstwerke so extrem mit dem Gebäude interagieren, dass man kaum sagen kann, wie sie auf neutralerem Grund wirken würden. Ganz unterschwellig kann man auch den Faden der Freundschaften spüren, der diese Ausstellung ebenfalls zusammenhält.

Berghain bleibt Berghain: Es gilt striktes Fotoverbot!

Und, auch nicht ganz unwichtig: Die Ausstellung holt die festangestellten Mitarbeiter des Berghain aus der Kurzarbeit, denn sie schauen nach der Technik, machen den Einlass und auch einen Teil der Führungen. Drinnen herrscht übrigens striktes Fotografierverbot!

Bleibt nur ein Problem: Wie kann man den Arbeiten der Künstler:innen, von denen einige mehrere Werke zeigen, manche auch zeitintensive Videos wie Sven Marquardt, als Besucher:in gerecht werden? Aber vielleicht ist „Studio Berlin“ einfach so besonders, dass es in diesem Fall genau richtig ist, die Ausstellung mit dem beduselten Gefühl zu verlassen, als man wäre eben von all den Eindrücken fast erschlagen worden.

Mehr zum Thema Clubs

Auch die Halle des Berghains ist Teil der Ausstellung – dort, wo kürzlich noch tamtam stattfand. In Berlin öffnen derzeit immer mehr Clubs und Bars ihre Gärten und Außenbereiche, warten aber eben auch darauf, dass getanzt werden darf. Im Club-Update erfahrt ihr, welche Optionen es derzeit gibt. Die Berliner Clubcommission hatte kürzlich einen Lagebericht zu Clubs aufgelegt: Wie es um sie steht – und was jetzt nötig ist. Generell gab es zuletzt etwas Bewegung in der Wahrnehmung der Clubs. Der Senat hat Clubs als Kulturstätten anerkannt – Bund zieht nach.

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