Grenzgänge

Mauerweg-Tour vom Spandauer Forst bis Waldkrankenhaus Spandau: Exklaven

Unser Spaziergang auf dem Berliner Mauerweg führt durch den Spandauer Forst. Unser Autor hat auf seiner Route den Blick Richtung Konradshöhe genossen, die Geschichte von ehemaligen Exklaven zur Zeit der Teilung erforscht, zum Beispiel in Eiskeller, wo der Grenzverlauf besonders verwirrend war – und auf dem Weg Richtung Waldkrankenhaus Spandau gemerkt, dass er den Kalten Krieg auch heute noch manchmal ein bisschen vermisst.

Die Mauerweg-Tour durch den Spandauer Forst führt vorbei an Eiskeller, einst die berühmteste West-Exklave auf DDR-Gebiet. Foto: F. Anthea Schaap
Die Mauerweg-Tour durch den Spandauer Forst führt vorbei an Eiskeller, einst die berühmteste West-Exklave auf DDR-Gebiet. Foto: F. Anthea Schaap

Oberhavelsteg: Wunderbarer Blick auf Konradshöhe

Berlins Gesicht hat keine Sommersprossen, sondern Narben. Besonders deutlich wird dies, wenn man auf eines der ehemaligen industriellen Herzen der Stadt blickt, das Gelände, auf dem mal das Kraftwerk Oberhavel stand. 1914 gebaut, wurde die Anlage in der Zeit während der Teilung zu einem der wichtigsten Energie­versorger der Halbstadt und im Jahr 2009 komplett abgerissen. Tiefe Gewölbelöcher, ein Transformatorhaus aus roten Backsteinen und die ehemaligen Versorgungslinien durch Teufelsseekanal und Bötzowbahn zeugen noch vom Standpunkt.

Weg durch den Wald nördlich von Spandau. Foto: F. Anthea Schaap

Einst galt der knapp 500 Meter lange Kanal als Mekka der Waller- und Karpfenfischer. Dank der nährstoffreichen und warmen Abwässer des Kraftwerks konnte man hier rund 20 Kilo schwere Fische angeln.

Immerhin: Vom Oberhavelsteg, einer wunderbaren Zügelgurtbrücke südlich vom Kanal, hat man einen schönen Blick über den Fluss auf Konradshöhe. Und wer den zugewachsenen Gleisen durch den Wald folgt, der merkt, welche Faszination Industrieruinen immer noch ausstrahlen.

Fichtewiese und Erlengrund sind ehemalige Exklaven

Nördlich davon liegen weitere Zeugnisse der Stadtgeschichte: Die Kontrollstelle des Berliner Zolls, die langsam verfällt, und die ehemaligen Exklaven Fichtewiese und Erlengrund. Auch sie sind eng mit der Industrialisierung Berlins verbunden, entstanden sie doch aus der Arbeitersportbewegung des 19. Jahrhunderts, der die bürgerlichen Sportvereine zu nationalistisch ausgerichtet waren.

In den 1920er-Jahren pachteten die Wochenendgemeinschaften zwei Grundstücke außerhalb der Weichbildgrenze von Berlin, wenig später kauften sie die Parzellen den Pächtern ab. Und damit wurden die beiden Kolonien laut preußischem Steuerrecht Berliner Grund und Boden, auch wenn sie nicht mehr in Berlin lagen.

Erst durch die Teilung der Stadt und des Landes kamen die Kolonisten in Schwierigkeiten. 1952 wurden sie schließlich von sowjetischen Soldaten vom Grundstück geworfen: „Ihr West-Berliner. Ihr RIAS hören. Ihr weg!“ Doch die Russen hatten nicht mit der renitenten britischen Schutzmacht gerechnet. Die riegelte kurzerhand das Funkhaus in der Masurenallee ab, in dem damals noch die kommunistischen Propagandabehörden saßen.

„Nehmen Sie die Füße aus dem sozialistischen Gewässer!“

Schließlich einigten sich Behörden und Besitzer auf einen Kompromiss: Der Zugang zu den dreieinhalb Hektar Fichtewiese und Erlengrund wurde streng limitiert, nur wer sich ausweisen konnte und angemeldet war, durfte die beiden Exklaven besuchen. Nach dem Mauerbau von 1961 wurde die Situation noch absurder: Es gab weder Strom noch Leitungswasser, der Weg führte – zeitlich streng reglementiert – durch einen Gang, der an ein Löwengitter im Zirkus erinnerte.

Rasten im Spandauer Forst. Foto: F. Anthea Schaap

Rund um die Kolonien wurde der Wald kahl geschlagen, ein Todesstreifen entstand und wer einen der Stege betrat, wurde von der Besatzung der Patrouillenboote angeherrscht: „Nehmen Sie die Füße aus dem sozialistischen Gewässer!“

Von der spektakulären Flucht eines Grepos mal abgesehen – er nahm einen der Kolonisten als vermeintliche „Geisel“ – ging es so bis zum Gebietsaustausch 1988, mit dem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen erklärte: „Das Exklavenproblem ist gelöst.“ Zwar verabschiedeten die Kolonisten den letzten Grenzer mit Applaus, doch nur wenige Wochen später wurden etliche der 35 Lauben aufgebrochen. Ein Ritual, das sich seitdem mehrfach im Jahr wiederholt.

Westwärts durch den Spandauer Forst

Vom Havelufer aus führt der Mauerweg westwärts durch den Spandauer Forst, ein Mischwald mit Erlen, Eichen, Eschen und Buchen, der zunächst noch seine Herkunft als eiszeitliche Moränenlandschaft erkennen lässt. Mitten im Wald dann der bereits 1888 angelegte Oberjägerweg, eine schnurgerade, mit blauen Basaltsteinen gepflasterte Gestellstraße. Hier wollte der Senat 1976 einen Erweiterungsbau des Kraftwerk Oberhavel hinholzen. Nur der Widerstand von Bürgern und Verwaltungsgerichten verhinderte den Bau.

Kein Fluchtversuch, sondern eine kaltblütige Exekution: Mahnmal am Oberjägerweg. Foto: F. Anthea Schaap

Kurz vor dem Laßzinssee kreuzt in einem Birkenwäldchen eine riesige Herde Damwild den Mauerweg und der Terrier muss sich schwer beherrschen; Impulskontrolle ist alles bei einem Hund. Rechts von uns liegen die Laßzinswiesen, auch eine Exklave, wenn auch eine unbebaute. Jenseits der Schönwalder Allee geht es nun hinein nach Eiskeller, neben Steinstücken die wohl berühmteste Berliner Exklave auf dem Gebiet der DDR, die es 1964 sogar in die Berichte weltweiter Wochenschauen schaffte.

In Eiskeller, einer weiten Heidefläche in einem flachen Tal gelegen (deshalb ist es dort immer etwas kälter als in der Stadt), war der Grenzverlauf besonders verwirrend und erinnerte an eine russische Matroschka-Puppen: West-Berliner Gebiet, das auf der Fläche der DDR lag, mitten in Eiskeller aber wiederum mehrere Parzellen, die de jure zur DDR-Gemeinde Falkensee gehörten. 20 Personen lebten hier auf drei Höfen, der einzige Zugang war ein vier Meter breiter und 800 Meter langer Korridor mitten durch den Todesstreifen.

Von Eiskeller durch ein Moor bis zum Waldkrankenhaus

Hier traf der junge Erwin auf seinem Weg zur Schule in Spandau eines morgens angeblich auf zwei Grenzsoldaten, die ihm den Durchgang verweigerten. Erwin wurde zum Politikum, denn fortan wurde sein Schulweg von einem alliierten Schützenpanzer gesichert. Erst 30 Jahre später gestand der inzwischen in Spandau lebende Erwin, dass die Grenzer reine Erfindung gewesen waren und er einfach nur die Schule schwänzen wollte.

Ruine in Eiskeller. Foto: F. Anthea Schaap

1972 und 1988 tauschten die DDR und West-Berlin mehrere Gebiete an der Grenze, so dass der Zugang nach Eiskeller erleichtert wurde. Aber manchmal vermisse in den Kalten Krieg auch heute noch. Von Eiskeller aus führt der alte Mauerweg durch ein Moor, das gerade renaturiert wird, hin zu einem der unheimlichsten Orte auf dem Gebiet des alten West-Berlin: der Jugendpsychiatrie neben dem Spandauer Waldkrankenhaus.

Dieser Text stammt aus unserem Buch „Grenzgänge – 25 Wanderungen auf dem Berliner Mauerweg“, das ihr im Shop von tipBerlin kaufen könnt.


Schönholz bis Rosenthal: Empfehlungen an der Tour

Jagdhaus Spandau In dem Lokal mit dem Flair einer Scheune werden Wildspezialitäten und saisonale deutsche Gerichte gereicht. Im Sommer sitzt man im Garten direkt an der Havel.


Bürgerablage Bereits vor 100 Jahren erfreute sich die Badestelle an der Havel großer Beliebtheit. Auch die Nähe zur Berliner Mauer tat dem Badevergnügen keinen Abbruch. Im Biergarten des Jagdhauses nebenan lässt es sich heute herrlich unter der Sonne schlemmen.

  • Niederneuendorfer Allee 84, 13587 Berlin

Ehemaliges Kraftwerk Oberhavel Nachdem das Kraftwerk Spandau im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde, weihte Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Willy Brandt 1961 den Nachfolgebau an gleicher Stelle ein. Bis zur Stilllegung 2002 wurden hier Un­mengen Kohle verheizt, durch die entstandene Wärme galt der Teufelsseekanal zwischenzeitlich als Anglerparadies.

  • Papenberger Weg 10, 13587 Berlin

Oberhavelsteg Etwa einen Kilometer westlich der Niederneuen­dorfer Allee, an der Abzweigung nördlich des Papenberger Wegs, überspannt die rund 125 Meter lange Zügelgurtbrücke den Teufelsseekanal. Dabei ist sie Teil des Havelradwegs, des Radfernwegs Berlin-Kopenhagen und beliebter Wanderrouten. Für die DDR-Grenzer un­einsehbar im Wald gelegen, befand sich hier ein Kontrollpunkt des West-Berliner Zolls.

  • Zugang über Rustweg, 13587 Berlin

Mehr Spaziergänge

Weitere Mauerweg-Wanderungen aus unserem Buch „Grenzgänge“ findet ihr hier. Unbedingt besuchen: die Gedenkstätte Berliner Mauer. Am Wasser entlang, durch Wälder und wunderbare Weiten: 12 schöne Spaziergänge im Osten Berlins. Frische Luft im Grünen: Unsere Tipps für schöne Waldspaziergänge in Berlin findet ihr hier. Wenn die richtige Strecke nicht dabei ist, haben wir noch mehr schöne Spaziergänge in der Natur und in der Stadt für euch. Am schönsten, wenn die Sonne scheint: 12 tolle Spaziergänge durch Berlin im Sommer. Immer neue Ideen findet ihr in unserer Rubrik „Ausflüge“.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin