Berlin verstehen

Protest in den 1980er-Jahren in Berlin: Demos, Besetzungen, Aufstände

Die 1980er-Jahre waren ein Jahrzehnt des Protests, gerade in Berlin. Natürlich waren die 1980er-Jahre auch die Dekade von New Wave und kastenförmigen Autos wie dem Renault Espace oder Fiat Panda, von Schulterpolstern und Big Hair, von Depeche Mode und Prince. Doch dieses schillernde Leben spielte sich vor dem Hintergrund von atomarer Aufrüstung, Waldsterben und dem Kalten Krieg ab, der nirgends so greifbar war wie in der geteilten Stadt Berlin.

Gleichzeitig ging das Leben in den 1980er-Jahren einen gemächlicheren Gang als heute. Die Wirtschaft brummte, die Klimakatastrophe war noch nicht so nah, in Europa gab es keinen Krieg und junge Menschen hatten gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und doch waren sie, zumindest ein beachtlicher Teil, politisch höchst aktiv. In den 1980er-Jahren war Berlin von Protesten geprägt: Wir zeigen euch die Stadt der Straßenschlachten, Hausbesetzungen und Blockaden.


Demo gegen Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß, 1980

„Fahr zur Hölle“: die Aussicht auf FSJ als Kanzler grauste vielen Menschen in Berlin, in den 1980er-Jahren regte sich Protest. Foto: Imago/Sven Simon

Kaum ein Politiker der alten BRD hat die Menschen so wütend gemacht, für so viele Kontroversen gesorgt, wie er: Franz Josef Strauß – und das lange bevor er 1980 als Kanzlerkandidat gegen Helmut Schmidt antrat. FSJ, wie er oft genannt wurde, war über Jahrzehnte hinweg bis zu seinem Tod 1988 das Gesicht der CSU und hatte außerdem verschiedene Bundesministerposten inne: Er war Minister für besondere Aufgaben und für Atomfragen, Verteidigungsminister und Finanzminister.

Er galt als unflätiger Wüterich, einer der tobte, schrie und zeterte, seine Sätze immer eher schrie als sprach. Manche sahen in ihm einen genialen Rhetoriker, ein Sprachtalent. Strauß war stramm rechtskonservativ. Kein Wunder also, dass die Menschen überall in der BRD, aber gerade auch im alternativen Berlin, um jeden Preis einen Kanzler Strauß verhindern wollten. Am 22. Juni 1980 brachten die Berliner:innen ihren Protest sehr deutlich auf die Straße. „Freiheit statt Strauß“, „Stoppt Strauß“ und „Fahr zur Hölle“ stand zum Beispiel auf den Transparenten der Demo-Teilnehmenden.


Mieterprotest gegen Abriss, 1980

Protest in den 1980er-Jahren in Berlin: Verdrängung ist kein neues Problem. Foto: Imago/Serienlicht
Protest in den 1980er-Jahren in Berlin: Verdrängung ist kein neues Problem. Foto: Imago/Serienlicht

Nicht erst seit gestern gibt es Mieterproteste in Berlin. Natürlich ist Widerstand gegen Verdrängung angesichts der explodierenden Mieten, dem Ausverkauf der Stadt und der immer schneller voranschreitenden Gentrifizierung derzeit drängender denn je. Aber die Mechanismen des Kapitalismus machten den Berlinerinnen und Berlinern, die sich kein Eigenheim leisten konnten, schon früher zu schaffen. Hier wollten die Mieter:innen der Wohnungen in einem Vorderhaus nicht hinnehmen, dass sie ihre Wohnungen verlieren, nur weil die Eigentümer ihre Häuser jahrelang hatten verfallen lassen. Verfallende Häuser gab es in beiden Teilen der Stadt, im Osten allerdings noch mehr. Einen Blick auf Prenzlauer Berg in den 1980er-Jahren könnt ihr hier werfen.


Straßenschlacht im Juni 1981

Protest in den 1980er Jahren: Straßenschlachten waren in Kreuzberg keine Seltenheit. Foto: Imago/Sven Simon

Die meisten Straßenschlachten in den Jahren 1980 und 1981 entbrannten wegen Hausbesetzungen. Die Wohnungen waren in Berlin Anfang der 1980er-Jahre ähnlich knapp wie heute. Nach Willen der Stadt sollten deswegen viele Altbauten weichen und an ihrer Stelle Neubauten mit mehr Wohnungen entstehen. Einfach abreißen konnte man die alten Häuser meistens aber nicht, schließlich wohnten Menschen dort. Also ließ man die einzelnen Wohnungen leer stehen, wenn Menschen auszogen, zur Not über Jahre und Jahrzehnte, um schließlich das gesamte Haus abzureißen, wenn die letzten Mieter:innen ausgezogen waren. Um das zu verhindern, besetzten junge Menschen hunderte Wohnungen und Häuser und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, die immer wieder Häuser räumte. Die „Berliner Linie der Vernunft“ machte das Besetzen ab Mitte 1981 schwieriger: Besetzte Häuser sollten nun höchstens 24 Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung geräumt werden. Lust auf linke Stadtgeschichte? Wir blicken zurück auf berühmte Hausbesetzungen in Berlin.


Proteste anlässlich des Besuchs von US-Außenminister Alexander Haig, 1981

Brennende Barrikaden wurden oft genutzt, um der Polizei den Weg abzuschneiden. Foto: Imago/Sven Simon

„Es gibt wichtigere Dinge, als im Frieden zu leben“, hat der ehemalige US-Außenminister, frühere NATO-Oberbefehlshaber und Aufrüstungs-Hardliner Alexander Haig einst gesagt. Sein Deutschland-Besuch, zusammen mit dem NATO-Doppelbeschluss zur neuerlichen Aufrüstung Ende der 1970er-Jahre, schaffte, was unzählige Diskussionen und Demonstrationen zuvor nicht geschafft hatten: Anti-Imperialisten und Autonome, Pazifisten und K-Gruppen zu vereinen in ihrem Protest. Angesichts von Haigs Besuch sahen auch viele derjenigen, die Gewalt nie hatten anwenden wollen, in militantem Widerstand die einzige Möglichkeit, der Rüstungsspirale etwas entgegen zu setzen. Am 13. September reisten Autonome und Anti-Imps aus ganz Deutschland an, um rund um das Schöneberger Rathaus, wo der Staatsempfang stattfand, Randale zu machen.


Proteste anlässlich des Besuchs von US-Präsident Ronald Reagan, 1982

Protest in den 80ern: Der Besuch Reagans mobilisierte weite Teile der westdeutschen Linken.
Protest in den 1980er-Jahren: Der Besuch Reagans mobilisierte weite Teile der westdeutschen Linken. Foto: Imago/Sommer

Am 11. Juni 1982 legten sich bürgerkriegsähnliche Zustände über den Nollendorfplatz und die umliegenden Straßen. Wenn der Besuch des damaligen US-Außenministers Haig ein Dreivierteljahr zuvor einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte, so wartete auf Berlin mit Ronald Reagans Besuch im Juni ’82 ein Orkan. Schon am Vortag von Reagans Rede versammelten sich Gewerkschaften, Parteien und Friedensgruppen, um gegen die atomare Aufrüstung zu protestieren, zehntausende Menschen kamen.

Einen Tag später wurde der Protest gewaltsam und Schöneberg ging unter in Rauch und Tränengasdämpfen. Die Polizei kesselte die Demonstrant:innen auf dem Nollendorfplatz ein und diese griffen die Beamten mit Pflastersteinen von innerhalb und außerhalb des Kessels an. Irgendwann begannen Autonome, „Möbel-Roland“ zu plündern, um Barrikaden zu bauen und sie anzuzünden. Auf dem Winterfeldtplatz stürzten die Demonstrant:innen einen Bauwagen um, um die Zufahrt zum Platz zu blockieren. Nicht jeder Berlin-Besuch von US-Präsidenten verlief so turbulent – unser Rückblick.


Fahrraddemo gegen Umweltzerstörung in Ost-Berlin, 1985

Auch in Ost-Berlin gab es Umwelt-Proteste: Die Fahrrad-Demo macht halt an der Bornholmer Straße/Ecke Schönhauser Allee. Foto: Imago/Frank Sorge

Politischer Protest war in der DDR gefährlich. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht mutige Menschen gab, die – auch vor 1989 – ihren Unmut auf die Straße trugen. Die ersten oppositionellen Gruppen entstanden in der DDR ab Ende der 1970er-Jahre. Sie protestierten nicht nur gegen Umweltzerstörung, sondern auch gegen das Wettrüsten im Kalten Krieg und die Militarisierung der Gesellschaft. Die Umweltbewegung aber tat sich besonders hervor. Offiziell waren saurer Regen, Smog und Waldsterben, verschmutzte Seen und Flüsse ein West-Problem. Die Mondlandschaften im Chemiedreieck Halle-Leipzig-Bitterfeld aber sprachen eine andere Sprache, die Luft in Berlin ebenfalls. Fahrrad-Demos gehörten zu den häufigsten Aktionsformen der Umweltaktivist:innen in der DDR, neben Ökologie-Seminaren, Demos, Info-Veranstaltungen und Baumpflanzaktionen. Mehr Dinge, die jeder kennt der im Ost-Berlin der 1980er gelebt hat, haben wir hier zusammengestellt.


Christopher Street Day 1986: „Aids ist keine schwule Sauerei“

Out and proud, aber auch gezeichnet von Stigmatisierung: Demonstranten beim CSD 1986. Foto: Imago/Jürgen Ritter

1986 erreichte die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland ihren Höhepunkt. Parallel dazu nahm auch die Stigmatisierung schwuler Männer immer schrecklichere Ausmaße an. Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen wussten nicht viel über das HI-Virus und die Folgeerkrankung Aids und tappten im Dunkeln hinsichtlich einer Therapie, während das Virus immer mehr Menschen dahinraffte. In Bayern diskutierte die Politik ernsthaft darüber, schwule Clubs zu schließen, Erkrankte in Heimen zu internieren und „Ansteckungsverdächtige“ mit Gewalt zu testen. Das alles passierte, obwohl von Anfang an bekannt war, dass die Krankheit Heterosexuelle ebenso treffen kann. Kein Wunder also, dass die Stigmatisierung Homosexueller bei der CSD-Demo 1986 eines der vorherrschenden Themen war – neben dem Feiern der eigenen sexuellen Identität, versteht sich. Einen detaillierten Rückblick auf die Geschichte des CSD in Berlin haben wir hier zusammengestellt.


Protest gegen die Volkszählung 1987

Die Gegner:innen der Volkszählung pflasterten die Mauer mit leeren Erhebungsbögen. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Volkszählungen hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik schon einige gegeben, gegen die im Jahr 1987 aber formierte sich massiver Protest. Nicht nur die Zahl der Bundesbürger:innen sollte bei der Zählung erhoben werden, sondern auch die Antworten auf Fragen wie: „Besitzen Sie die deutsche Staatsangehörigkeit?“, „Welchen Beruf üben Sie aus?“ oder „Welche Verkehrsmittel nutzen Sie?“.

Angesichts von Cookies und AGB, die die meisten Menschen heute wohl allzu unbedarft mehrfach am Tag einfach akzeptieren, scheint es fast lachhaft, aber: Das Schreckensbild war das des gläsernen Bürgers, besonders bemängelt wurde unter anderem auch, dass die Daten mit Computern ausgewertet werden sollten. Mit den Daten wollte die Politik herausfinden, wo Handlungsbedarf besteht und wie die Gesellschaft aufgestellt ist. Um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, beklebten im Mai 1987 etwa 200 Volkszählungs-Boykotteur:innen die Mauer zwischen Potsdamer Platz und Alter Jakobsstraße mit leeren Erhebungsbögen.


Protest gegen Atomwaffen, 1987

Protest in den 80ern: die atomare Aufrüstung war in den 80ern das dominanteste Thema.
Eines der größten Themen für Protest in den 1980er-Jahren war die atomare Aufrüstung. In Berlin wurde dagegen demonstriert. Foto: Imago/Bonn-Sequenz

Anti-Atom-Protest hat in Deutschland Tradition, sowohl gegen Atomwaffen als auch gegen Kernkraft. 1987 war Ronald Reagan noch immer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und fuhr weiterhin sein Programm der atomaren Aufrüstung. Entsprechend hartnäckig blieb der Protest gegen das Wettrüsten in der BRD. Friedensgruppen wurden nicht müde, für eine Welt ohne Atomwaffen zu demonstrieren. Zweifellos hatte der Protest gegen die Militarisierung über den gesamten Globus Wirkung. 1987 unterzeichneten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) in Washington. Der Vertrag regelte die Vernichtung aller landgestützten nuklearen Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite.


1-.Mai-Demo 1989

Protest in den 80ern: Der 1. Mai 1989 war ebenso wild wie der im Jahr 1987.
Darf nicht fehlen, wenn man an Proteste in den 1980er-Jahren denkt: die Mai-Randale. Der 1. Mai 1989 war ebenso wild wie der im Jahr 1987. Foto: Imago/Peter Homann

Die Proteste und Randale zum 1. Mai in heutiger Zeit sind nichts im Gegensatz zu dem, was in den 1980er-Jahren, vor allem gegen Ende des Jahrzehnts, am Tag der Arbeit in Kreuzberg passierte. Brennende Autos, Barrikaden und Straßenschlachten waren keine Ausnahme, sondern gehörten zum üblichen Bild. Bereits der 1. Mai 1987 ging als besonders gewalttätig in die Annalen ein. Trotz weiträumigen Straßensperrungen um Kreuzberg 36 herum und eingestelltem BVG-Verkehr sammelten sich tausende Demonstrant:innen im linken Zentrum Berlins.

Damals plünderten die Demonstrant:innen mehr als 40 Geschäfte und zündeten den Supermarkt Bolle an. Am 1. Mai 1989 probierte sich die Polizei erstmals in Zurückhaltung, am Ende wurde der Lausitzer Platz nach anhaltendem Pflastersteine-Hagel trotzdem mit Wasserwerfern und Tränengas geräumt. Die folgende Randale war wieder extrem. Dieses Mal richtete sie sich allerdings weniger gegen Geschäfte und mehr gegen die Polizei. Der Feiertag hat eine bewegte Geschichte: Den 1. Mai in Berlin im Wandel der Zeit zeigen wir euch hier.


Die friedliche Revolution in vollen Zügen am 4. November 1989 auf dem Alex

Protest in den 80ern: Die größte deutsche Demo fand am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz statt.
Die größte deutsche Demo fand am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz statt. Foto: Imago/Sven Simon

Die Bilder vom Abend des 9. November 1989, als die Mauer fiel, gehören wohl zu den beeindruckendsten der Geschichte Berlins und lösen zu Recht Gänsehaut bei vielen Menschen aus. Die Mauer war offen, die Revolution, die friedliche Revolution, hatte erreicht, dass eine schrecklichsten und erbarmungslosesten Grenzen der Geschichte nicht nur durchlässig geworden, sonder auf einmal offen war. Das alles aber war nur möglich, weil DDR-Bürger:innen in den Monaten vorm Mauerfall immer wieder friedlich protestierten. Am 4. November 1989 organisierten Theaterleute auf dem Alexanderplatz eine Demonstration, die nicht nur einer der größten Proteste in den 1980er-Jahren werden sollte, sondern die größte in der Geschichte Deutschlands überhaupt. Es war die erste vom DDR-Machtapparat genehmigte Demo, die nicht von der DDR-Regierung organisiert worden war. Rund eine Million Menschen nahmen teil. Wie es in Ost-Berlin vor dem Mauerfall aussah, hat, neben vielen anderen, der Fotograf Gerd Danigel dokumentiert.


DDR-Bürger:innen protestieren gegen die Wiedervereinigung, 1989

Freiheit ja, aber gleich Wiedervereinigung? Das wollten viele DDR-Bürger:innen Ende der 1980er-Jahre nicht. Foto: Imago/Peter Homann

Die DDR-Bürger:innen waren unzufrieden mit ihrem Regime, mit dem Leben hinter dem eisernen Vorhang, mit der Diktatur, in der sie lebten. Ihren sozialistischen Staat abschaffen, das wollten aber lange nicht alle. Viele Menschen waren überrumpelt von der Geschwindigkeit, mit der die Wiedervereinigung vonstatten ging, waren gegen das Vorgehen der Treuhandanstalt und wütend über die Arroganz, mit der Kanzler Helmut Kohl und andere West-Politiker über den kleineren der zwei deutschen Staaten sprachen. Diesem Unmut machten tausende DDR-Bürger:innen im Dezember 1989 am Alexanderplatz Luft. 1990 kam die Wiedervereinigung trotzdem. Wie sich Berlin in den gut 30 Jahren seit 1990 verändert hat, zeigen wir hier.


Mehr Berlin-Geschichte

Die Mauer schloss die Stadt ein, an der Spree drehte sich die Welt etwas langsamer: Diese Dinge kennt ihr, wenn ihr im West-Berlin der 1980er gelebt habt. Eine Straße, die von Protest und Widerstand geprägt ist, ist die Oranienstraße in Kreuzberg, die wir euch hier im Wandel der Zeit zeigen. Die 1980er-Jahre waren wild, das vorherige Jahrzehnt bunt: Wir machen eine Zeitreise ins Berlin der 1970er-Jahre. Und wir gehen noch ein Jahrzehnt zurück. Diese historischen Farbfotos zeigen Kreuzberg in den 1960er-Jahren. Noch mehr aus der Vergangenheit findet ihr in unserer Rubrik zur Berliner Geschichte.

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