Sibylle Bergemann war die vermutlich bedeutendste Fotografin in der DDR und hat mit ihren Bildern ein international bedeutendes Werk hinterlassen. „Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte“, sagte sie einmal. Mit diesem Credo prägte sie den Blick auf die Mode in Ostdeutschland für Generationen. Bergemanns Aufnahmen wurden ab 1973 in der Modezeitschrift „Sibylle“ gedruckt. 2010 starb Sibylle Bergemann im Alter von 69 Jahren. 2022 widmete sich die Berlinische Galerie mit der Ausstellung „Stadt Land Hund – Fotografien 1966–2010“ ihrem fotografischen Werk. Daraus zeigen wir 12 Motive.
Bernauer Straße, Berlin 1990
Eine Stadtfotografin, die durch die Straßen streunt und nach zufälligen Motiven fahndet, war Sibylle Bergemann eher nicht. Ihre Arbeiten galten der Mode und den Models, doch suchte sie nicht selten die Alltäglichkeit als visuellen Rahmen für die Motive, und verzichtete bewusst auf die Künstlichkeit des Studios. So wie hier in der Bernauer Straße. Dazu passt unsere historische Fotoliste: Berliner Mauer in Bildern: So sah’s damals aus – und so jetzt.
Birgit, Berlin 1984
Die neuen Kollektionen waren mal elegant und kühl, mal bunt und fröhlich – aber meist auch schwer zu bekommen. Außerdem fehlte es der Modeindustrie an hochwertigen Stoffen, weshalb oftmals auf Chemiefaser ausgewichen wurde. Die Modebranche in der DDR bestand aus volkseigenen Modebetrieben, Gestaltern, Mannequins und Magazinen, allen voran der „Sibylle“, in der Sibylle Bergemann über Jahrzehnte ihre Fotos veröffentlichte.
Caravan-Ausstellung, Berlin 1980
Die Bilder von Sibylle Bergemann dokumentieren immer wieder den Alltag in der DDR und seine Besonderheiten. Diese Aufnahme entstand 1980 und zeigt eine Campinganhänger-Ausstellung unter freiem Himmel. Die „Caravans“ waren, ebenso wie der Trabant, ein rares Gut im Arbeiter- und Bauernstaat.
Das Denkmal, Berlin 1986
Friedrich Engels schwebt am Alexanderplatz durch die Lüfte, der Vordenker des Kommunismus wird in seiner gußeisernen Schwere im Herzen der Hauptstadt der DDR aufgebaut, neben ihm thront ein anderer bärtiger Philosoph: Karl Marx. Die Dokumentation der Aufbauarbeiten auf dem Marx-Engels-Forum war Bergemanns fotografisches Langzeitprojekt. Wenige Jahre später verschwanden viele politisch fragwürdige Denkmäler aus Berlin, Lenin etwa. Marx und Engels durften bleiben.
Frieda, Berlin 1982
Eine Aufnahme aus dem Jahr 1982, ohne Stadt im Hintergrund. Doch gerade die Porträts zeichnen das Werk von Sibylle Bergemann aus, ihr Blick für die Situation und das Gespür, zum richtigen Zeitpunkt abzudrücken.
Moskau, 1974
Reisen gehörten zu ihrer Arbeit dazu. Auch wenn die meisten Fotos in Berlin entstanden, wo Sibylle Bergemann lebte und viele Freundschaften zu Künstlern und Intellektuellen pflegte, nahm sie die Kamera immer mit. 1974 entstand dieses Bild von russischen Jungs mit Tauben.
Niederlande, 1986
1986 reiste Sibylle Bergemann in die Niederlande, zu jener Zeit war sie längst eine der anerkanntesten Fotografinnen der DDR. Die Reisen in den Westen verdankte sie ihren Netzwerk und guten Kontakten, etwa zum damaligen Leiter des Ost-Berliner Institut Français.
Nina und Eva Maria Hagen, Berlin 1976
Ost-Berlin kurz vor der Ausbürgerung von Wolf Biermann: In jener Zeit entstanden zahlreiche Porträts von Kulturschaffenden, so auch die einfühlsame Aufnahme von Nina und Eva Maria Hagen aus dem Jahr 1976. Nina Hagen verließ im Dezember jenes Jahres die DDR und legte in West-Berlin den Grundstein für ihre Karriere als Musikerin. Zuletzt sprachen wir 2022 mit Nina Hagen über ihr Album „Unity“.
P2, 1981
Dieses Bild zeigt die Einrichtung eines klassischen DDR-Wohnzimmers vom Typ P2. Die Abkürzung bezieht sich auf die in Plattenbauweise errichteten Wohnungen, die ab 1961 bis zum Mauerfall gebaut wurden. Wo man bis heute Spuren der DDR in Berlin finden kann, verraten wir hier.
Marisa und Liane, Sellin 1981
Ein Traumurlaub in der DDR war an der Ostsee. 1981 reiste Sibylle Bergemann nach Rügen, wo sie die beiden Strandschönheiten ablichtete. Wer nach Rügen will, der will Strand, Strand und nochmals Strand, davon gibt es auf Deutschlands größter Insel zum Glück mehr als genug. Unsere Tipps für Rügen zeigen die Ostseeinsel von ihrer schönsten Seite.
Dakar, Senegal 2001
Nach der Wende begann für Sibylle Bergemann ein neuer Lebensabschnitt. Die alten Zusammenhänge lösten sich quasi über Nacht auf, die Zeitschrift „Sibylle“ wurde 1995 eingestellt, Bergemann ging ihren eigenen Weg. Gemeinsam mit sechs weiteren Fotografen, darunter dem legendären DDR-Chronisten Harald Hauswald, gründete sie die Agentur Ostkreuz. In der neuen Zeit führten sie ihre Fotoreisen an Orte, die für sie einst unerreichbar waren, so etwa 2001 nach Senegal.
Selbstporträt, 1986
In ihrer letzten Lebensphase erfuhr Sibylle Bergemann zahlreiche Würdigungen. So wurde sie 1994 Mitglied der Akademie der Künste und wurde 2006 mit einer großen Ausstellung im Braunschweiger Museum für Photografie geehrt. Doch es gab auch Tiefpunkte, so etwa 2004 die Kündigung ihrer Wohnung am Schiffbauerdamm, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Fotografen Arno Fischer, 28 Jahre lang lebte. 2010 starb Sibylle Bergemann in ihrem Haus in Grannsee nach einer langen Krebserkrankung.
Die Fotos von Sibylle Bergemann waren vom 24.6. bis 10.10.2022 in der Berlinischen Galerie zu sehen.
Mehr Berlin verstehen
Mehr und immer neue Geschichten über die Geschichte von Berlin lest ihr hier. Die andere Seite der Geschichte: Dinge, die jeder kennt, der in Ost-Berlin der 1980er gelebt hat. Auch in unserer Geschichte gibt es Orte, die legendär sind und nicht mehr existieren. Eine Auswahl findet ihr hier. Ungewohnte Stadtbilder: Martin U Waltz zeigt „Berlin Unseen“. Mehr Fotos: K. Krause zeigt Ost-Berlin von 1971 bis 1990.