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Polizei twittert Notrufe: Witzig, absurd, aber auch problematisch

Am 1. Oktober 2021 twittert die Polizei alle eingehenden Notrufe. Bis 21 Uhr kann man das unter dem Hashtag „#Polizei110″ verfolgen. Hierbei soll vor allem auf einen verantwortungsvolleren Umgang mit der Nummer 110 hingewiesen werden. Gleichzeitig liefert die Aktion spannende Einblicke in den Polizeialltag und witzige, absurde und erschreckende Unterhaltung. Eine humoristische, unkommentierte Veröffentlichung persönlicher Hilferufe kann jedoch auch problematisch gesehen werden, besonders weil sich die Polizei im Internet insgesamt nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Rund 3700 Notrufe gehen täglich bei der Berliner Polizei ein. Nur die Hälfte erfordert tatsächlich einen Einsatz. Unter dem Hashtag „#Polizei110″ twittert die Polizei, um zu einem sensibleren Umgang aufzurufen. Foto: Imago/Seeliger

Polizei twittert Notrufe und gewährt spannende Einblicke

Nicht hinter allen Notrufen, die bei der Polizei eingehen, stecken schockierende oder tragische Geschichten. Oft wird die Nummer 110 auch überstürzt verwendet oder für fahrlässige Telefonstreiche missbraucht. Unter dem Hashtag „#Polizei110″ werden am 1. Oktober bis voraussichtlich 21 Uhr alle Notrufe auf Twitter veröffentlicht. An der Aktion beteiligen sich Polizeibehörden aus fast allen Bundesländern.

Im Minutentakt vermehren sich die Tweets, die Polizei hat viel zu tun. Größtenteils geht es um Verkehrsunfälle: „In Spandau benötigt der Fahrer eines 40-Tonners Hilfe beim Rückwärtsfahren.“ Hinzu kommen Diebstahl, Drogendelikte, Streitigkeiten und leichte Körperverletzungen. Die Polizei gibt sich entspannt, freundlich und hilfsbereit. Wortspiele sollen die Einsatzmeldungen auflockern. Nach einer Massenschlägerei vor einer Schule schreiben sie: „Da bleibt’s nicht beim Eintrag ins Klassenbuch.“ Es gibt sicherlich Leute, die so etwas lustig finden.

Über den Humor lässt sich streiten, trotzdem ist es spannend, den Polizei-Alltag live mitzuerleben. Häufig werden die Tweets aktualisiert, sodass man die Entwicklungen der Einsätze verfolgen kann. Kinder werden vermisst und wiedergefunden, Rucksäcke werden geklaut und zurückgegeben. Das ist schon ganz nett zu lesen. Auch vor tragischen Geschichten macht die Polizei nicht halt: Ein verletzter Waschbär, der in einem Kleingarten gefunden wurde, hat es leider nicht geschafft.

Tiere scheinen ein beliebtes Thema zu sein: So wird ein Reh am Waldstraßenrand gemeldet. Die Polizei kommentiert frech: „Mal gucken, ob wir es noch finden.“ Wenig später machen sich Nachbar:innen Sorgen, da die Tür eines Wohnhauses nicht abgeschlossen ist. Vor Ort findet die Polizei einen tief schlafenden Rentner. Beim Durchschauen der etlichen Tweets wird schnell deutlich, dass ein großer Anteil der Notrufe nicht notwendig gewesen wäre.

Die Polizei versucht, mit lockerer Sprache und Augenzwinker-Ironie zu punkten. Teilweise geht es hierbei jedoch zu weit. „Zwei mit Fußpils beladende Obdachlose“, die einen Kinderwagen voll Alkohol schieben, wirkt dann doch schnell wie eine respektlose Beleidigung. Da hilft auch das geschmacklose Wortspiel nicht.

Die Notrufnummer ist keine Info-Hotline

Immer wieder wird die 110 auch als Informations-Hotline missverstanden. So fragen Anrufer:innen nach Führungszeugnissen, Bewerbungsfristen oder Ermittlungsfortschritten. Die Twitter-Aktion ist sicherlich eine gute Möglichkeit, Leute über die Polizeiarbeit aufzuklären und gleichzeitig auf humorvolle Art auf einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Notruf hinzuweisen. Bei „Nacken“ die Polizei zu rufen, ist wohl echt etwas übertrieben.

Der Twitter-Marathon der Polizei kommt insgesamt ziemlich gut an. Viele Nutzer:innen kommentieren die Beiträge mit Danksagungen an die Behörden und loben die spannenden, witzigen und teilweise absurden Meldungen. Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle schreibt: „Die Aktion zeigt, was für einen großartigen Job Polizistinnen und Polizisten jeden Tag für unser Land machen. Danke!!“

Polizei twittert Notrufe: Es bleibt ein fader Beigeschmack

Immer wieder reihen sich allerdings auch kritische Kommentare zu dem Thread hinzu. So erinnern antifaschistische Kanäle an Menschen, „die durch die Polizei ihr Leben verloren haben.“ Andere kritisieren die Tweets als unsensible Bürger:innen-Parodien oder aggressives Image-Marketing. Auf sozialen Medien würde sich die Polizei als „Freund und Helfer“ aufspielen und somit von Problemen in den eigenen Reihen ablenken.

Der Auftritt der Polizei auf Social-Media-Kanälen ist nicht immer unproblematisch. Im Winter 2020 postete die Berliner Polizei auf Facebook ironisch gespickt von der Aushebung eines illegalen Clubs – nur nahm sie es dabei mit der Wahrheit nicht so genau. Überhaupt gibt es immer wieder Kontroversen um fragwürdige Kommentare und rechtsradikale Chatgruppen. Um Fehlverhalten der Polizei zu dokumentieren, wurde die Plattform Copservation ins Leben gerufen, die die Arbeit übernimmt, die eigentlich in der Verantwortung der Polizei selbst liegen sollte. Dass das nicht so richtig funktionieren will, zeigten die Debatten um die Rassismusstudie innerhalb der Polizei.

Die Berliner Polizei hat nicht nur ein Imageproblem. Ob Ironie und witzige Anekdoten die Lösung sind, ist zu bezweifeln. Foto: Imago/U. J. Alexander

Unterhaltsame Anekdoten und humoristische Wortspiele, die teilweise an der Grenze des guten Geschmacks kratzen, mögen eine gute Methode sein, auf verspielte Art über den Berufsalltag und sinnlose Notrufe aufzuklären. Im Endeffekt handelt es sich bei der Polizei jedoch nicht um einen Comedy-Kanal. Es stellt sich daher die Frage, ob Ironie und absurde Anekdoten der richtige Weg sind, das Image der Polizei aufzubessern. Bei all den eigenen Problemen wären klare, durchdachte Statements und reflektierte Problemlösung sicherlich angebrachter als vorgespieltes „Friede, Freude, Eierkuchen.“


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