Die Polizei hat am Wochenende die „Pornceptual“-Party in der Alten Münze beendet. 600 Menschen feierten dort – und das auch genehmigt vom Senat. Nun machen die Verantwortlichen der Polizei Vorwürfe: Feiernde seien als “ekelhaft und pervers” beschimpft worden, die öffentliche Darstellung seitens der Behörde ein Angriff auf Kultur und Minderheiten gewesen. Das ist richtig. Gleichzeitig offenbart sich ein viel größeres Problem. Ein Kommentar von Sebastian Scherer.
Um zu begreifen, was die Pornceptual-Party eigentlich ist, hilft es, sie im Vorfeld zumindest einmal selbst besucht zu haben. Es ist eine sexpositive Partyreihe – eine Einordnung, die in Berlin gern genutzt wird, wenn ein sexuell freizügiges Verhalten nicht nur toleriert, sondern gefeiert wird.
Pornceptual: Sonst wird im Keller ausschweifend gefeiert
In der Alten Münze, vor allem in deren Keller, gibt es Darkrooms, es gibt Shows, es gibt kaum etwas, was es nicht gibt. Das Schöne: Niemand wird für das Ausleben seiner Fantasien, so sie denn im Einverständnis der Teilhabenden geschehen, verurteilt. Einige kommen nur zum Tanzen, andere kommen, um zu kommen. Mit sich, mit anderen, in der Gruppe, im Dunklen, unter Schmerzen, in der Toilette, als Toilette, was auch immer. Wenn einem was nicht gefällt, schaut man weg. Leben und leben lassen.
Gerade das fällt vielen Menschen schwer, leider. Sonst würden Sexarbeiter*innen nicht konstant herabgewürdigt. Es würde keine Homophobie geben. Und Geschlecht wäre wirklich nur ein Konstrukt. Diese Utopie wird bei „Pornceptual“ gelebt. Es ist wunderbar. Oder war, denn seit März findet die Party nur abgespeckt statt. Zuerst digital, dann draußen.
In einem Statement zum Polizeieinsatz erklärt das Team: „Pornceptual ist in seinem Wesen immer ein politisches/queeres Projekt gewesen – der Kampf für sexuelle Freiheit und die Infragestellung gesellschaftlicher Normen. Wir nutzen unsere Plattformen als ein Instrument des Widerstands gegen nicht-konforme Minderheiten, die oft zensiert werden.“
Alte Münze: „Gastgeber einer legalen Open-Air-Veranstaltung“
Nun ist wichtig zu sagen, dass das Event, das am vergangenen Wochenende stattfand, keineswegs so ablief wie sonst. Zuerst einmal war alles draußen – keine schweißfeuchten Kellerräume, zum Beispiel. „Wir waren Gastgeber einer legalen Open-Air-Veranstaltung mit strengen Regeln“, heißt es entsprechend.
„Die Pandemie hat unsere Arbeit und unsere Gemeinschaft seit März massiv und kontinuierlich beeinträchtigt.“ Bei der Entscheidung, eine legale Open-Air-Veranstaltung auszurichten, habe das Pornceptual-Team „alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen in Betracht gezogen und alle aktuellen Regeln gemäß der neuesten Berliner Infektionsschutzverordnung befolgt.“
Was das Team aber vor allem stört, ist, dass die Polizei als eine „extrem konservative Institution“ die Räume betrat, die eigentlich ein Safe Space sein sollen – und die Gäste „als Freaks und Gesetzlose“ behandelte. Tatsächlich betonte die Polizei auf Twitter umgehend, eine „Fetischparty“ beendet zu haben. Und sparte sich den Kontext, dass es sich um ein legales Event gehandelt habe. Andere aufgelöste Veranstaltungen seien nicht derart öffentlich angeprangert worden.
Besucherin: „In anderen Clubs Schlimmeres gesehen“ als bei Pornceptual
Tatsächlich, das berichten uns Besucher*innen, sei durchaus eng getanzt worden, teilweise habe es sicher Regelverstöße gegeben. „Aber eine krasse Eskalation war das jetzt nicht – ich hab da in anderen Clubs schon Schlimmeres gesehen“, sagt eine 31-Jährige. „Dass es in einem solchen Kontext – Party, nicht Fetisch – zu riskanten Begegnungen kommt, dürfte weder die Bullen noch die Macher überraschen. Wenn der Senat sowas zulässt und dann ein Exempel statuiert wird, ist das bigott und schlicht Arschlochtum“, schreibt uns ein anderer Besucher. Zumal andernorts öffentlich über illegale Kellerpartys getwittert wird.
Nicht so hart, aber im Kern nicht ganz anders, äußert sich die Alte Münze als Veranstaltungsort in einem Statement. Darin werden nicht nur die Maßnahmen erwähnt – von Awareness-Team bis Fiebermessen, von Desinfektionsspender bis Maskenpflicht –, sondern auch, was derzeit erlaubt ist: „Die aktuelle Genehmigungslage erlaubt Veranstaltungen im Freien mit bis zu 5.000 Personen.“ Das ist auch bei Veröffentlichung dieses Textes weiterhin Stand der Dinge.
Anders als das Pornceptual-Team, das den Kulturkampf ausruft, hinterfragt die Alte Münze das große Ganze: „Abschließend möchten wir mitteilen, dass es gesamtgesellschaftlich moralisch zu diskutieren ist ob Veranstaltungen in dieser Form aktuell stattfinden sollten.“ In der Münze sei vorerst nicht weiteres geplant.
Wichtiger Denkanstoß – das Problem liegt aber woanders
Der Denkanstoß ist aber richtig – und auf einer anderen Ebene wichtig als die Freiheitswünsche der Porn-Fans. Denn so selbstverständlich Safe Spaces bewahrt werden müssen, so wenig entbinden sie die darin Agierenden, sich an die Vorgaben zu halten, die für alle gelten. Umso notwendiger ist also, dass die Rahmenbedingungen für alle so eindeutig abgesteckt sind, dass es am Ende keine Rolle spielt, wer was feiert. Ohne jede Frage ist die Kommunikation der Polizei diskutabel und wirkt sensationsheischend – auch die Alte Münze betont, dass „Fetischparty“ Dinge impliziere, die schlicht nicht stattgefunden hätten.
Gleichzeitig fanden an dem Wochenende einige vergleichbare Events statt, die nur in ihrer Vermarktung weniger sexualisiert wirkten. Und tatsächlich wurden auch dort bei einigen nicht immer alle Regeln befolgt. Generell, das muss man leider sagen, ist das Partygeschehen in Berlin schlicht schwer zu rechtfertigen, wenn gleichzeitig an allen Ecken und Enden Kontaktbeschränkungen ausgesprochen werden.
Polizei erklärt, wieso der Einsatz auf Twitter dokumentiert wurde
Die Polizei verweist in dem Zusammenhang auf Mitteilungen von anderen aufgelösten Partys, die Pornceptual sei nicht explizit kontrolliert worden. Dass es gerade von der Party in der alten Münze nun Bilder auf Twitter gab, lag daran, dass das Social-Media-Team das Einsatzgeschehen der Nacht abgebildet hat, sagt Behördensprecher Michael Gassen tipBerlin.
Dies geschehe auch, weil man keine aktive Medienbegleitung mehr zulasse – aus Infektionsgründen. Auf Nachfrage erklärte Gassen auch, das RBB-Team, das gefilmt habe, sei nicht vorher informiert worden, sondern ohnehin in Mitte unterwegs gewesen. „Der Einsatz fand statt, weil wir informiert wurden, dass sich zu viele Menschen auf zu engem Raum befanden.
Es braucht Entscheidungen – wer feiert, kann bis dahin einfach egal sein
In einer Zeit, in der immer mehr Menschen um Weihnachten bangen, immer mehr Menschen tatsächlich an Corona erkranken, sind die Bilder aus Clubs, mögen sie auch Open air sein, schlicht ein Schlag ins Gesicht vieler, vieler Menschen. Dafür brauchte es nicht die Pornceptual-Auflösung, um das zu begreifen. Und erst Recht nicht die unnötige Stigmatisierung. Inwiefern die Vorwürfe stimmen, die Partygäste seien herabgewürdigt worden, soll in der Behörde geklärt werden. Hoffentlich: Wer worauf steht, kann den Polizisten Berlins weitestgehend genauso egal sein wie dem Virus egal ist, auf wen es überspringt.
Und übrigens: dass hier Hunderte tanzen und überwiegend Maske tragen, dafür aber öffentlich vorgeführt werden, während anderswo in Berlin Tausende absichtlich und in großen Teilen ungestört ohne Maske die Fantasie-Diktatur beschreien, macht das Ganze am Ende dann noch etwas bitterer.
Die Club Commission hatte zuletzt Tests an der Clubtour vorgeschlagen. Das Berghain hat derweil auf Ausstellungs-Betrieb umgestellt. Und wer Zuhause bleibt, trifft wenigstens nicht diese nervigen Tanz-Typen auf dem Dancefloor.