Nach einem halben Jahr iberischem Charme in Lissabon verlässt unsere Autorin die schöne Hauptstadt Portugals und begibt sich in den kalten Berliner Winter. Welche Stadt mehr stinkt, wo sich die deutsche Wandermentalität mehr offenbart und welche Kontraste sich in beiden Städten sonst noch offenbaren, erzählt sie in diesem Umzugs-Artikel.
Umzug von Lissabon nach Berlin: „Olá kalte Jahreszeit!“
Lissabon – Berlin. Meine Reise von „Ende Januar bei 15 Grad in leichter Jacke durch die Gassen flanieren“ zu „im dickem Daunenmantel im Eilschritt von A nach B, um schnellstmöglich zurück ins Warme zu kommen“. Gestartet bei blauem Himmel und der schönen Sonne Portugals, gelandet unter der grauen deutschen Wolkendecke. Berliner Winter: herzlich willkommen!
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„Im Februar nach Berlin? Na viel Spaß!“, musste ich mir von vielen Seiten anhören. Weiß ich ja auch, dass das nicht die beste Zeit ist, um die deutsche Hauptstadt in ihrem Glanze zu erleben. Und ehrlich, den Glanz habe ich bis dato noch nicht gesehen.
Trotzdem: die Freude war groß, als klar wurde: Berlin wird für die nächsten Monate mein Zuhause werden. Denn nach rund 22 Jahren meines Lebens in kleineren Städten, erst in Paderborn und dann zum Studieren im niederbayerischen Passau, wollte ich noch nicht zurück in die Provinz. Großstadttrubel, Freund:innen in Berlin und 24/7 Abenteuer waren mir vorerst lieber, bevor später noch ein Jahr Studium in der Kleinstadt drangehangen wird. Im letzten Sommer hatte mich Berlin schon verzaubert. Späti-Action durch die ganze Stadt an warmen Sommerabenden, leckeres Essen in tollen Restaurants und gutes Wetter. Das will ich nochmal, dachte ich. Aber jetzt halt im Winter. Mal sehen, wer zuerst einfriert: mein Späti-Bier in der Hand oder ich.
Hermannplatz aka Berliner Arroios
Mit einer Berliner Freundin habe ich noch gewitzelt, dass es in Lissabon deutlich öfter nach Urin stinkt als in ihrer Stadt. Dann kam ich in meinen Hausflur. „Ja, ich bin in Berlin angekommen“, dachte ich „hier stinkt’s“. Auf die Frage eines Lissabonner Freundes, wo ich wohne, beschrieb ich mein Viertel ungefähr so: „bisschen schmuddelig, aber geht fit“. „Das Arroios Berlins also“ war seine Antwort. Mein alter Stadtteil Arroios ist dem Hermannplatz in der Tat ziemlich ähnlich: an jeder Ecke Müll, und der Barbershop folgt auf Mini-Mercado (hier: Späti) und Bäckerei. Alles beim Alten.
Umzug von Berlin nach Lissabon: BVG(eh das Stück doch zu Fuß)
Lissabon ist zwar auch Hauptstadt aber flächenmäßig nur ein Zehntel von Berlin groß. Mit ein bisschen Zeit im Gepäck, und die hatte ich oft reichlich, konnte ich Lissabon auch fußläufig erkunden. Bus und Metro waren in der Stadt der sieben Hügel, aber trotzdem oft die bevorzugten Fortbewegungsmittel. Da kann Berlin als Flachland schon eher punkten.
Zweiter Tag in Berlin: die BVG streikt. Wie komme ich zur Arbeit? Fußweg: zwei Stunden. Kurz denke ich, es könnte doch ein schöner Morgenspaziergang werden, den Gedanken verwerfe ich aber, als ich zurück rechne, wann ich dafür aufstehen müsste: 7 Uhr? Nein danke. Das wäre mir auch in Lissabon nicht eingefallen. Als Erasmus-Studierende bin ich zu der Zeit allerhöchstens gerade aus dem Club gestolpert.
Drei Tage später fällt die U-Bahn zwei Stationen vor meiner Station aus. „Ist ja nicht mehr so weit, das kann ich ja laufen.“ 35 Minuten Fußweg. Die Erkenntnis setzt ein: zu Fuß kommt man in Berlin nicht weit, wenn man nicht gerade einen ausgiebigen Sonntagsspaziergang machen möchte. Wo es in Lissabon gefühlt endlos bergauf geht, geht es in Berlin geradeaus. Die Größe der Stadt habe ich echt unterschätzt.
Landwehrkanal statt Atlantik
Was an Wochenenden meine Go-to-Destination war, vermisse ich in Berlin schmerzlich: das Meer. Tagsüber am Strand liegen, Surfer:innen im Wasser beobachten und am Abend mit dem Sechser-Träger „Super Bock“-Bier den Sonnenuntergang anschauen. Der Name des Biers ist Programm, denn dieses Leben zwischen Großstadt und Atlantik macht wirklich „Super Bock“.
Sich ans Maybachufer zu setzen hat bei knackigen fünf Grad und Regen zwar sicher auch seinen Charme, würde ich mir aber lieber bis zum Sommer aufheben. Surfer:innen könnte ich hier höchstens im Wellenwerk beobachten und einen schönen Sonnenuntergang hat das graue Berlin mir leider auch noch nicht geboten, obwohl Berlin wirklich schöne Orte hat, an denen man den Sonnenuntergang bewundern könnte.
Umzug von Berlin nach Lissabon: Aus “bom día” wird “Tach”
Auch wenn Portugiesisch, besonders im Vergleich zur Berliner Schnauze, deutlich charmanter klingt, ist mir das lose Mundwerk dann doch lieber, von dem man manche Berliner Sprüche auch als Neuling kennen sollte. Denn auch wenn sich Berlinerisch immer erst sehr schroff anhört: Wenn mir jemand sagt, dass ich doch mal richtig “kieken” soll, gefällt mir diese direkte Art deutlich besser, als überhaupt nicht zu verstehen, was mir mein Gegenüber sagen will. Trotz diverser Anstrengungen und einer mittlerweile beachtenswerten Duolingo-Streak, habe ich es leider nie weiter als „com cartão, por favor“ („Mit Karte, bitte“) an der Supermarktkasse geschafft. Und auch diese vier Wörter haben mir das Leben nicht erleichtert. Als mir die portugiesische Supermarkt-Mitarbeiterin eine Rückfrage stellte, musste ich peinlich berührt zugeben, dass mein Wortschatz nicht über das Gesagte hinausgeht. Hätte sie mal lieber berlinert.
Von Billigbier und der deutschen Dönerpreisinflation
Na klar, im Auslandssemester ist der Alkohol immer nur ein „Leute, was geht heut Abend?“ entfernt. Lissabon war dafür die beste Anlaufstelle: Ein-Euro-Bier im hässlichsten Laden der Stadt „Kikas“ und der Abend gehört dir. Aber auch in schöneren Locations war von Bier bis Long Island Iced Tea alles erschwinglich. Das Kneipenviertel Bairro Alto steht quasi für Billig-Alkohol. Auf jeden Meter der von Menschen überfüllten Gassen des Viertels kommen mindestens drei Promoter:innen, die feierwütige Tourist:innen mit Happy Hour und Free Shots in die kleinen stickigen Bars ziehen wollen, deren schäbige Laser-Lichteffekte und die laute Latin Music mich aber eher dazu veranlassten, das Weite zu suchen.
4,50€ für einen 0,2 Chardonnay dagegen in einer urigen Kneipe am Boxhagener Platz, der Heimat vieler charmanter Bars ist. Für das Geld hätte ich in Lissabon zwei halbe Liter Sangria bekommen. Der portugiesische Heimweg-Döner für drei Euro hat regelmäßig den Heißhunger gestillt und den nächsten Morgen als Kater-Prophylaxe etwas erträglicher gemacht. Die Dönerpreisinflation hat Lissabon bisher nicht heimgesucht. Wenn ich durch die Straßen von Neukölln laufe, kostet der in Berlin geschichtsträchtige Döner überall mindestens sechs Euro. Eigentlich sollte mich das nicht so abschrecken, denn die Drei-Euro-Marke hat der Dönerpreis in Deutschland schon lange überschritten, aber ein halbes Jahr Portugal hat meine Preisvorstellungen ziemlich verzerrt.
Zwischenfazit: Berlin ist schmutzig, zu Fuß kommt man nicht weit und Bier und Döner sind deutlich teurer als in der Stadt am Tejo.
Trotzdem sind sich die beiden Städte doch in vielen Dingen ähnlich. Verglichen mit den Kleinstädten, die vorher mein Zuhause waren, ist in Lissabon und Berlin immer Action angesagt. Großstadt eben. Avocado-Brot und Flat White im hippen Café am Morgen, danach in die Kunstausstellung und nachmittags auf dem Flohmarkt durch Vintage-Blazer und alte Schallplatten stöbern. Nach dem Vortrinken am Späti oder in der Bar weiter auf die Techno-Party. In beiden Städten täglich möglich.
Kann man das Berliner Nachtleben mit Lissabon vergleichen? Wahrscheinlich nicht. Die Clubauswahl ist bei Weitem nicht so groß wie in der deutschen Hauptstadt. Trotzdem geht immer irgendwo was ab. Ich habe das Berliner Nachtleben noch nicht ansatzweise erlebt, aber ich kann mir vorstellen, dass Lissabon, zumindest in der Techno-Szene, als kleine Schwester von Berlin durchgehen könnte.
In Lissabon war es eher ein Lebensstil geprägt von dem Gedanken „mal schauen, was der Tag heute so bringt“. Jetzt kann es höchstens noch „mal schauen, was das Wochenende so bringt“ heißen. Die viele Freizeit aus dem Auslandssemester tauschte ich gegen Arbeitsalltag ein. Wie viel ich von der Stadt also in der nächsten Zeit wirklich kennenlerne, wird sich noch herausstellen.
Berlin – eine Stadt zum Bleiben?
Also, der Umzug von der iberischen Halbinsel in die Spreemetropole war nicht nur klimatisch ein großer Unterschied. Das deutsche „Ach, das Stück geh ich zu Fuß“-Gen kommt in Lissabon besser zum Tragen als in der Bundeshauptstadt. Und das Wasser, das Berlin bietet, kann mit dem portugiesischen Atlantik nicht mithalten. Aus Pastéis de Natas wurde Baklava und die Club Mate, die in Portugal so vermisst wurde, gibt es jetzt wieder an jeder Ecke.
“Läuft lachend durch die Straßen, während andere Gesichter nur verzieh’n” heißt es im Song “Sie passt nicht nach Berlin” von den Berliner Musikern Zartmann und *maliiik. Bisher ist es noch das Lachen, das mich durch Berlin begleitet. Aber heißt das, dass ich erst in Berlin angekommen bin, wenn mir das Lachen vergeht? Fühl ich nicht.
Die Entscheidung, ob ich hier jemals ankommen will, muss ich zum Glück weder jetzt, noch in der nächsten Zeit treffen. Und zum Glück kann ich meine Entscheidung zurückziehen, um am Ende dann vielleicht doch wieder in Lissabon zu landen.
Umzüge sind spannend – und nervig. Hier gibt es eine weitere Umzugsgeschichte rund um Kreuzberg und einen Umzug von Wedding nach Prenzlauer Berg. Auch typisch: ein Umzug vom Schwabenland nach Berlin. Neu hier? 12 Dinge, an die sich Zugezogene in Berlin gewöhnen müssen. Ansonsten überzeugt die Stadt mit diesen Dingen, die Zugezogene an Berlin sofort lieben lernen, im Handumdrehen. Was Berlin noch bewegt, erfahrt ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.