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Kommentar

Die taz, Polizisten und der Müll: Warum Innenminister Seehofer sich zum Horst macht

Vor einer guten Woche ist in der „taz“ eine Kolumne der*s freien Autor*in Hengameh Yaghoobifarah erschienen. In dieser sinniert er/sie über die Anschlussverwendung von Polizist*innen im Falle der Abschaffung der Polizei, bei Beibehaltung des Kapitalismus. Und am Ende fiel ihm/ihr „spontan“ nur eine Option für die Beamt*innen auf der Müllhalde ein. Im Abfall, „unter ihresgleichen“.

Seitdem geht es drunter und drüber: bei der „taz“ selbst, in den Sozialen Netzwerken – und im Bundesinnenministerium. Horst Seehofer hat angekündigt, gegen den/die Kolumnisten/in Strafanzeige zu erstatten. Und damit geht es nicht mehr um den Text, sondern um die Pressefreiheit. Hat der Mann eigentlich nichts Besseres zu tun? Ein Kommentar von Erik Heier.

Polizisten bei der Kontrolle der Corona-Abstandsregeln am Ostersonntag im Mauerpark. Foto: imago images/Seeliger
Next Exit Mülldeponie? Wer sorgt dann im Mauerpark für Ordnung? Foto: imago images/Seeliger

Es ist wieder richtig Kirmes, Leute. Nein, nicht auf dem Zentralen Festplatz. Die Corona-Pandemie ist nämlich nicht vorbei, liebe Hasenheide-Radau-Raver oder Mundnasen-Schutz-unters-Kinn-Schieber (Funfact: Sieht übrigens auch doof aus), trotz der gerade wieder gelockerten Kontaktbeschränkungsregelungen. Sondern bei der „taz“, in den Sozialen Medien – und im Bundesinnenministerium. Kirmes, bis es kracht.

Texte, die auf die Nerven gehen

Hengameh Yaghoobifarahs Text ist mit „All cops are berufsunfähig“ überschrieben. Wer immer die Überschrift getextet hat, sie selbst, zuständige Redakteur*innen, die Ressortleitung, die oder der wusste vermutlich sehr genau um das in linken, vor allem linksradikalen Kreisen sehr geläufige Polizisten-Verdikt, das diese Überschrift hier, ja nun: variiert.

Die/der Autor*in selbst gehört jetzt nicht direkt zu den abwägenden, ausgleichenden, sich argumentativ umsichtig vorantastenden Kolumnist*innen dieses Landes. Man kann auch sagen: Diese Texte kommen oft mit eingebauter Shitstorm-Garantie daher – und einer unbedingten Solidarisierungs-Begeisterung ihrer Peer-Group. Hengameh Yaghoobifarah nervt, er/sie kann einem richtig auf dem Zeiger gehen.

Nerven, auf den Zeiger gehen, unangenehm sein: Das ist allerdings nicht das Schlechteste in diesen Zeiten, wo es so viel Gründe gibt, sich aufzuregen. Über Hass auf anders-markierte Menschengruppen, strukturellen Rassismus, offenen Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft. You name it. Polizeigewalt und Rassismus ist nicht erst seit dem Tod von George Floyd in den USA auch hierzulande ein wichtiges Thema.

Aber aufregen sollte man sich auch über auch Gewalt gegen staatliche Akteur*innen. Nicht nur gegen die Polizei. Auch zum Beispiel die Feuerwehr. Darüber hat sich erst gestern wieder die Berliner Feuerwehr beklagt.

Yaghoobifarah: Machete mit Schmackes statt feiner Klinge

Klar, Yaghoobifarah schreibwütet oft ziemlich erwartbar: Machete mit Schmackes statt feine Klinge. Gegen die Polizei, die FDP, Lars Eidinger, die „Almans“. Die Google-Suche „Yaghoobifarah Kartoffel“ ergibt allein 6.700 Treffer. Nicht nur von ihr/ihm geschrieben, natürlich.

Da sind aber auch Rezepte dabei.

Deswegen ist es schon erstaunlich, dass bei der „taz“ jetzt so ein Bohei um diesen Text gemacht wird. Seit einer Woche tragen die streitheiteren Journlist*innen ihren redaktionellen Redaktionskonferenz-Beef vorzugsweise im eigenen Blatt aus, mit Pro und Contras und Pro-Contras und Contra-Pros. Die Thematisierung der vergleichsweise kleinen Kolumne hat mittlerweile ein exponentielles Ausmaß angenommen, wie man es zuletzt sonst nur von Viren kennt.

Lustig auch, dass ausgerechnet ein „FAZ“-Redakteur, Patrick Bahners, auf Twitter den Text threadstark verteidigte. Gegen die „taz“-Chefredaktion. (Wobei ein anderer „FAZ“-Autor, Constantin van Lijnden, auch fragte: „Warum bringt die ,taz‘, die sonst gerne gegen ,Hass im Netz‘ anschreibt, Texte, die – mit vertauschten Feindbildern, ansonsten wortgleich – in rechten Hetzblättern stehen könnten?“)

Zu jedem Quatsch gibt es eine Steigerung. Die heißt: Seehofer

Wir haben ja beim tipBerlin auch gerade einen Meinungsartikel gemacht, der ziemlich weite Kreise zog. Unser Redakteur Jacek Slaski hatte sich mit seinem zehnjährigen Sohn „Otto – Der Film“ angesehen und dabei Szenen entdeckt, die er als rassistisch empfand. Wir haben aber in der Redaktion darauf verzichtet, die nächste Woche über ständig weitere Meinungsbekundungen über Otto Waalkes hinterherzuschicken. Falls jemand eine braucht: Ich mochte früher den Sketch mit dem menschlichen Körper: „Großhirn an Auge, wer hat da eben ‚Saufkopf‘ gesagt?“ Auch wenn er ziemlich Milz-verachtend ist.

Aber zu jedem Quatsch gibt es noch eine Steigerung. Und damit sind wir bei Horst Seehofer, dem CSU-Experten für Steigerungen, wenn Andy Scheuer gerade was anderes vorhat. Weil sich nämlich irgendann auch der Bundesinnenminister einschaltete und ankündigte, die/den Kolumnist/in zu verklagen. Und ihr eine Verantwortung für die jugendlichen Ausschreitungen neulich in Stuttgart zuzuschanzen. Als wenn es dort alles „taz“-Leser gewesen wären, die Geschäfte geplündert und Polizist*innen attackiert hätten.

Seehofers Drohung: Ein Skandal

Man kann Yaghoobifarahs Polizei-Text gut und schlecht oder krawallschachtelig oder egal finden. Man kann ihn für ein „satirisches Gedankenspiel“ halten oder aber eine bitterernste Polemik. Und es ist auch verständlich, dass sich Polizist*innen von der nicht komplett gaga-haften Interpretation beleidigt fühlen können, unisono mit Müll gleichgesetzt zu werden (Hallo, der Text heißt nicht „Some Cops are berufsunfähig“ oder „A lot of Cops are berufsunfähig“, sondern „All Cops are berufsunfähig“). Die Strafanzeige wegen Volksverhetzung, die die Deutsche Polizeigewerkschaft gegen die taz gestellt hat, wird diese Vorwürfe klären. Dazu sind solche Anzeigen da. Seehofers angedrohte Anzeige gegen die „taz“ – noch hat er sie offenbar nicht gestellt – ist dagegen ein Skandal. Dagegen verdient jede*r Journalist*in zu allererst: Feuerschutz.

Der Mann ist schließlich Verfassungsminister. Er muss wissen, dass ein Bundesinnen- oder sonstiger Minister wirklich nie nie nie gegen ein*e freie*n Journalistin mit der juristischen Bazooka vorzurücken hat, weil Meinungs- und Pressefreiheit auch gute oder schlechte oder krawallschachtelige oder egale Artikel einschließt, die ein Wofür-auch-immer-Minister verdammt noch mal zu respektieren hat.

Es macht den Text von Hengameh Yaghoobifarah nicht besser, nicht unumstrittener, nicht handwerklich weniger diskutabel und womöglich auch nicht weniger ärgerlich: Aber dass hier ein*e Journalist*in wegen ihrer/seiner Arbeit vom Staat verklagt werden könnte, wiegt schwerer als jede Textkritik.

Und jetzt kommen wir bitte mal alle wieder ein bisschen runter, okay? Alle zusammen. Um mit Christian Drosten zu sprechen: Wir haben schließlich alle Besseres zu tun.

Unsere Vorschläge für alle, die auch Besseres zu tun haben:

Lieber raus aufs Wasser? Hier sind die Wassersport-Arten, die ihr in Berlin machen könnt. Mehr Drama gibt es auch in den Freiluftkinos der Stadt: von Hollywood bis Arthouse. Oder wie wäre es mit unserem Guide für die Ausflugstipps für Berlin? Bitte sehr.

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