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Das Nobelhart & Schmutzig definiert den Geschmack der Stadt

Mit einer brutal lokalen Produktküche steht das Nobelhart & Schmutzig seit 2015 für den neuen Geschmack dieser Stadt. Jetzt erfindet sich das Restaurant neu: mit rustikaleren Tellern, günstigeren Preisen und der gleichen Liebe zum Produkt.

Huhn und Lauch im Nobelhart & Schmutzig. Foto: Marko Seifert

Nobelhart & Schmutzig: Berlins stilprägendstes Restaurant

Wer verstehen möchte, wofür das Restaurant Nobelhart & Schmutzig steht, muss nur die Friedrichstraße hinunterflanieren. Den Kreuzberger Teil, dort, wo sich  dieser vergebliche Boulevard nicht daran verschluckt hat, eine Hauptstadtmagistrale zu sein. Zwischen Grillimbissen, einem Gebrauchtwarenkaufhaus und einem Polizeirevier steht man vor der Hausnummer 218, ein betonbrutalistischer Siebzigerjahrebau. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Kunstraum oder eine Galerie, ist, seit dem Frühjahr 2015, Berlins stilprägendstes Restaurant.

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Um also zu verstehen, wofür das Nobelhart & Schmutzig steht, könnte man die Aufkleber an der Tür studieren. Jenen etwa, mit dem sich das Restaurant schon Jahre vor den gegenwärtigen  Protestbewegungen gegen die AfD positioniert. Oder jene, die listig-lustig Tripadvisor oder den Guide Michelin persiflieren. Aufschlussreicher aber ist eine Videoinstallation in der  ansonsten von einem lichtgrauen Vorhang verhüllten Fensterfront. Man sieht Kühe mit Hörnern, die ruhigen Schrittes durch einen Wald laufen, die hier und da an den Ästen kauen. Ein Schwein wird geschlachtet, Hühner picken im Unterholz.

Auch das Nobelhart & Schmutzig ist von der Fine-Dining-Krise betroffen

Die Videoinstallation dokumentiert die Arbeit auf dem Erdhof Seewalde ziemlich exakt an der Grenze von Branden- und Mecklenburg. Bedeutsam ist hier gleich zweierlei:  Einerseits die interdisziplinäre Kulinarik des Nobelhart & Schmutzig, die auch eine Videoinstallation als selbstverständlichen Teil der Genusserzählung versteht. Und mehr noch die Aufmerksamkeit und Achtung, mit der dieses Restaurant seinen Produzent:innen begegnet. 

So ein Schweineleben: Betriebe wie der Erdhof Seewalde (oben) sind für das Nobelhart & Schmutzig weit mehr als bloß ein Lieferant. Foto: Carla Ulrich

Als in den vergangenen Monaten offensichtlich wurde, dass die Zahlen nicht mehr stimmen, erzählt Billy Wagner bei einer Tasse Filterkaffee, „war allen genauso offensichtlich, dass wir an den Produkten und Produzent:innen zu allerletzt sparen werden.“ 

Fine Dining mit Fettfingern

Sparen aber muss auch das Nobelhart & Schmutzig. Sparen müssen wir alle. Und weil das Nobelhart & Schmutzig eines der Berliner Sternerestaurants ist, in das die Menschen aus tatsächlichem Entdeckungshunger kommen, hat Wirt Billy Wagner die Krise noch einmal deutlicher gespürt: „Die Leute gehen auf den Wochenmarkt und zahlen plötzlich 80 statt 50 Euro, sie gehen in den Drogeriemarkt  und zahlen 20, 30 Prozent mehr. Letztlich will ich auch gar nicht in der Position sein, einzig ein Publikum zu bewirten, dem solche Fragen total egal sein können.“

Die oft auf zwei Zutaten reduzierten Teller von Küchenchef Micha Schäfer, die beherzte Aufforderung, den ein oder andern Gang doch mit den Händen zu essen, das Augenmerk auf vermeintlich alltägliche oder gar verpönte Lebensmittel, die Zwiebel, die Butter, das Fett: Orte wie das Nobelhart & Schmutzig haben der so genannten Hochküche nicht nur ein neues, junges Publikum eröffnet, sie haben auch ganz neu verhandelt, was ein zeitgemäßes Fine Dining überhaupt ist.

Unserer Idee einer wertezentrierten Gastronomie tut eine neue Bodenständigkeit vermutlich sogar gut

Billy Wagner, Nobelhart & Schmutzig

Ein Schnitzel von besagtem Erdhof Seewalde hatte ich in diesem Sinne bei meinem letzten Besuch im Nobelhart & Schmutzig auf dem Teller, gerade erst im vergangenen Februar. Als Fettschnitzel stand es auf der Karte, und tatsächlich bestand das traumhaft fluffig panierte Stück Schweinefleisch, besser gesagt Freilandschweinfleisch, zu gut dreißig Prozent aus nussig-aromatischem Fett. Es war nicht nur unfassbar lecker, vermutlich war es das beste Schnitzel meines Lebens. Weiß man zudem, dass jeder zusätzliche Millimeter Fett, Schweinen ein buchstäblich dickeres Fell und ein relaxteres Sozialverhalten beschert, ist so ein Teller explizit politisch. 

„Mit Blick auf das, was wir versuchen zu transportieren, eine wertezentrierte Gastronomie“, sagt Billy Wagner mit Blick auf das im April startende neue Menü, „tut uns eine neue Bodenständigkeit sogar gut.“

Der Geschmack liegt im Alltäglichen

Was aber wird nun alles anders im Nobelhart & Schmutzig? Anstelle des bisherigen Tasting-Menüs mit zehn oft auf zwei oder drei Zutaten reduzierten Gängen serviert die Küche künftig vier etwas größere, rustikalere Speisen als Menü. Bleiben wird die Brotzeit zum Start und eine Wegzehrung für den Nachhauseweg. Probiert wurden Gerichte wie Gelbe Bete mit Safran und Paprika, ein Bressehuhn vom wunderbaren Lars Odefey mit Kartoffeln und Spinat oder Kalb vom Angler Rotvieh (wieder mal vom Erdhof Seewalde) mit Rahmwirsing und Kartoffelgratin.

Bereit, der gegenwärtigen Krise des Kulinarischen entdeckungshungrig zu begegnen: Wirt Billy Wagner. Foto: Marko Seifert

Genau diese Teller wird es in den kommenden Wochen aber nicht geben. Das Nobelhart & Schmutzig arbeitet weiterhin mikrosaisonal, Rahmgemüse und Schmorgerichte müssen also wieder bis zum Winter warten. Das neue Menü wird dienstags bis donnerstags zum Preis von 115 Euro pro Person sowie freitags und Samstags zum Preis von 130 Euro pro Person angeboten. Immer besteht die Möglichkeit, die Speisefolge um einen weiteren Gang upzugraden. Die Getränkebegleitung wird zu jedem Teller künftig zwei Optionen bereithalten. Natürlich kann man sich auch weiterhin flaschenweise aus einer der besten und sowieso abwechslungsreichsten Getränkekarten der Stadt bedienen.

Zum Vergleich: Bis dato kostete das Zehn-Gang-Menü 195, und an den Wochenenden 225 Euro. Um diese Differenz aufzufangen, werden einige, nicht aber alle Plätze künftig doppelt belegt. Auch das passt vermutlich sehr gut in diese Zeit: Nicht jeder und jede möchte den Besuch eines wenn auch sehr guten Restaurants auf viereinhalb bis fünf Stunden ausdehnen. 

Neue Konzepte im Nobelhart & Schmutzig: Was wohl der Guide Michelin dazu sagt?

Die Neuausrichtung des Nobelhart & Schmutig kommt zu einem strategisch klug gewählten Zeitpunkt. Der nächste Guide Michelin ist bereits gedruckt,  aber sternewürdig dürfte auch das neue Menü eh unbedingt sein.

Und dennoch: Mit dieser Neuausrichtung hat das um Diskurse und Debatten ohnehin nie verlegene Nobelhart & Schmutzig diese Debatte mindestens befeuert: die Frage nämlich, wie es um die Zukunft des Fine Dining steht, in Berlin und auch darüber hinaus.

Sellerie, Eigelb, Majoran. Foto: Marko Seifert

„Diese typische Sterneküche, kleinteilig, viel Vorbereitung, viel Schnicki-Schnack, diese ganzen Tellerkonstruktionen“, sagt Billy Wagner, „wird es weiterhin geben, aber es ist halt sehr weit weg von zeitgemäß.“

Gegenfrage: Was also ist zeitgemäß? „Zeitgemäß ist es, der Handwerklichkeit einer guten Küche mehr Sichtbarkeit zu geben. Zeitgemäß ist es, als Gastronom:in offen zu kommunizieren, dass die gute Zeit, die Du als Gast da gerade hast, eben seinen Preis hat.“

Das Nobelhart & Schmutzig ist ein entschlossen politisches Restaurant

Das also bleibt beim Alten: Das Nobelhart & Schmutzig bleibt auch mit neuer Preisgestaltung und (moderat) neuem Konzept ein entschlossen politisches Restaurant. Ein Ort mit Haltung. Und eines der atmosphärisch präzisesten Restaurants dieser Stadt. Was eben auch an der Qualität der Mitarbeiter:innen und ihrer Wertschätzung liegt.

  • Nobelhart & Schmutzig Friedrichstr. 218, Kreuzberg, Di–Sa ab 18 Uhr, Seatings zwischen 18 und 21.30 Uhr, vier Gänge plus Brotzeit und Wegzehrung 115 Euro freitags und samstags 130 Euro, online

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