Kulinarisches Berlin

Krise des Fine Dining: Wer kann sich das noch leisten?

Lode & Stijn, Cordo und The NOname: Gleich drei ausgezeichnete Restaurants schließen Ende Dezember. Und auch die Zukunft des Ernst ist endlich. Andernorts reagiert man mit nahbareren, auch günstigeren Konzepten auf die aktuelle Krise des Fine Dining. Wie geht es weiter mit dem kulinarischen Berlin? 

Notieren weniger Food-Touristen in ihren Restaurants: Lode van Zuylen und Stijn Remi sind von der Krise des Fine Dining betroffen. Foto: Sam A Harris

Krise des Fine Dining in Berlin: Institutionen schließen

Lode van Zuylen, Koch und Gastronom, hat eine 16-Stunden-Woche. Besser gesagt: Es sind 16 Stunden in der Woche, in denen sein Restaurant Lode & Stijn Umsatz und mithin Gewinn machen kann.  Mittwochs bis samstags, jeweils von 19 bis 23 Uhr. „Damit fängt es doch schon mal an, wir zahlen Miete für 24 Stunden, jeden Tag und erlauben uns den Luxus, nur an vier Abenden geöffnet zu sein. In Paris oder London wäre das undenkbar.“ In Berlin zunehmend auch.

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Lode von Zuylen wird das Lode & Stijn, gemeinsam mit dem Nobelhart & Schmutzig und dem Industry Standard, auf der Sonnenallee vor rund zehn Jahren eines der ersten Restaurants einer New Berlin Cuisine, deshalb zum 31. Dezember schließen. Und führt dafür noch eine weitere Beispielrechnung an: „Wir haben eine Bio-Tonne, die wird einmal in der Woche abgeholt und eine neue saubere Tonne hingestellt. Toll für uns, wir haben keine stinkende Tonne. Aber dieser Service hat vor drei Jahren 110 Euro im Monat gekostet, heute sind es 240.“ 

Das fragile Fine-Dining-Konzept wackelt

129 Euro kostet das saisonale Menü im kleinen Gastraum in der Lausitzer Straße in Kreuzberg. Es gibt etwa Kalb vom Erdhof Seewalde in Mecklenburg, ein Pfirsich-Granité und Sorbets von Joghurt und Sauerampfer und Lode van Zuylens selbstgebackenes Sauerteigbrot, vielleicht das beste der Stadt. 129 Euro sind viel Geld, zumal in diesen Zeiten. Wenn sich also zwei Menschen im Lode & Stijn zum Dinner treffen, kann das Restaurant, den Getränkeumsatz einmal ignoriert, immerhin die Bio-Tonne bezahlen.

Bleiben hingegen zwei oder vier Tische am Abend leer, wackelt das fragile Konzept einer derart kleinteiligen, auf den persönlichen Beziehungen zu regionalen Produzent:innen basierenden Küche bedenklich. Zumal zumindest in einer achtsam geführten Gastronomie die Zeiten vorbei sind, in denen das Team für das coole Kapital, in einem angesagten Laden zu arbeiten, unbezahlte Überstunden schrubbt.

Das Lode & Stijn wird dem kulinarischen Berlin fehlen

Das Lode & Stijn wird dem kulinarischen Berlin fehlen. Lode van Zuylen nicht. Er wird sich im Remi engagieren, dem anderen Restaurant von ihm und seinem langjährigen Freund und Geschäftspartner Remi Stijn. Dort wollen sie die Öffnungstage erweitern, den Lunch etablieren, neue Angebote schaffen. Da sein für die kulinarische Stadt. Zumal an einem Ort, der, mitten in Mitte und im Erdgeschoss des Suhrkamp-Verlags geradezu danach ruft, ein rauschendes Hauptstadtrestaurant zu beherbergen. Ein Restaurant für viele Situationen und alle Tageszeiten. Auch das war nämlich eine Kehrseite des Menü-only-Trends gerade in der feinen Berliner Gastronomie: Dem Essen kam ein wenig die Spontanität abhanden.

Krise des Fine Dining: Dylan Watson-Brawn sucht nach neuen Formaten – und schließt das Ernst Ende 2024. Foto: Luka Godec

Ein Restaurant für viele Situationen war Dylan Watson-Brawns Ernst am Weddinger Nettelbeckplatz nie. Es ist diese weltweit umhergeraunte, fast klösterliche Produktküche, auf die man sich einlassen muss. Vor allem aber einlassen will. Je nach Mikrosaison werden an der offenen Küche bis zu 30 oft nur aus einer Zutat bestehende Gänge serviert. Und es heißt, dass man von der globalen Food-Bourgeoisie etwa in New York verlässlich „How is Ernst doing?“ gefragt werde. Das Ernst ist das internationalste Restaurant der Stadt.

Nun, auch das Ernst wird am 31. Dezember schließen, wenn auch erst 2024. Ein geschickter Schachzug, so steht es für die kommenden 14 Monate verlässlich auf der To-do-Liste der Fine-Dining-affinen Berlin-Reisenden. Er habe Lust etwas Neues zu machen, Abende, die lockerer seien oder einen dezidierten Workshop-Charakter haben. Weg vom kulinarischen Frontalunterricht. Richtig ist aber auch, dass dieser Schritt schwerer gefallen wäre, wäre der hinter einer grauen Fassade versteckte Gastraum weiterhin über Monate ausgebucht.

Das Ernst hat, in zwei Seatings, gerade einmal acht Plätze am offenen Küchentresen. Bleiben also nur zwei Gäste am Abend aus, stimmt die Kalkulation nicht mehr.

Krise des Fine Dining: Die Kalkulation stimmt nicht mehr

Für die gute Berliner Gastronomie muss gesagt werden: Die Kalkulation stimmt ganz generell nicht mehr. Da war eine Pandemie, die vielen von uns das zuhause Bleiben, das zuhause Kochen gelehrt hat. Da ist eine Inflation, da sind die manifesten Krisen dieser Tage. Und da ist auch eine kulinarische Landschaft, die, sagt Lode van Zylen, „vielleicht etwas zu schnell gewachsen ist. Als wir damals angefangen haben, gab es das Industry Standard, das Nobelhart, natürlich einen Tim Raue. Aber sonst war da wenig, was ich etwa mit einer Stadt wie Stockholm, in der ich ja lange gekocht hatte, vergleichen konnte.“

Mid-Week-Menü für 129 Euro, sehr viel Geld und doch auch ein Schnäppchen: Sebastian Frank vor dem Restaurant Horváth. Foto: Clemens Niedenthal

Das Horváth am Paul-Lincke-Ufer gab es damals schon. Und doch hat es Sebastian Frank mit seiner radikal biografischen Produktküche zu einem ganz anderen Ort gemacht, zwei Michelin-Sterne inklusive. Der in Salzteig gegarte Sellerie ist ein Signaturgericht. Der Leberknödel, der aber aus Pilzen gemacht wird, auch. Das kann man von nun an mittwochs und donnerstags im „Quick’n’Dirty“ getauften viergängigen Tasting-Menü erleben. Für das man sogar ganz spontan vorbeikommen kann.  129 Euro kostet dieses einmalige Erlebnis. Im Horváth wendet man sich mit dem durchaus drastischen Hashtag #DineorDie an die kulinarische Stadtgesellschaft.

Diese ist gerade jetzt so wichtig, weil Berlin noch immer inmitten einer Tourismuskrise steckt. „Wenn Easyjet die Berlinflotte von 34 auf 22 Flieger reduziert, merken wir das direkt im Lokal“, sagt Lode van Zuylen. Und auch Jonathan Kartenberg vom Irma La Douce in der Potsdamer Straße merkt an: „Wir haben uns vor drei Jahren bewusst für ein international verständliches, weltläufiges Konzept entschieden. Nur fehlt diese Welt der Stadt gerade sehr.“

Die Zukunft des Fine Dining: Es braucht mehr Selbstverständlichkeit

Auch Jonathan Kartenberg hat reagiert. Ein neuer Koch, der großartige Francesco Contiero, den man noch aus dem Richard kennen könnte, steht für eine geradlinigere, auch intuitivere Küche. Keine Teller mehr, die allzu laut nach Aufmerksamkeit schreien. Es sei dabei nicht einmal nur darum gegangen, günstiger zu werden, sondern auch verständlicher. „Vielleicht“, so Kartenberg, „war vieles, was in der Berliner Gastronomie in den letzten Jahren passiert ist, zu sehr an ein dezidiertes Food-Publikum adressiert.“ Uns zumindest hat das (dezent) neue Konzept noch einmal besser gefallen.

Hans Richard, von dem eben schon die Rede war, hat ganz ähnlich reagiert. Und hat sein, wie das Irma La Douce mit einem Michelin-Stern ausgezeichnetes, Restaurant um ein begeisterndes Richard Bistro erweitert, von Sonntag bis Mittwoch gibt es jetzt eine französisch grundierte Wirtshausküche. Kurzum: mehr Selbstverständlichkeit. Und auch keinen Menü-Zwang mehr.

Letzteres wird auch für jene Gastro-Bar in der Großen Hamburger Straße gelten, die irgendwann im kommenden Jahr auf das Cordo folgen wird. Auch dieses mit einem Michelin-Stern prämierte Restaurant schließt zum 31. Dezember. Gudrun und Christof Ellinghaus und Küchenchef Yannik Stockhausen wollen aber mit einem neuen lässigen Konzept weitermachen. Nicht weiter macht derweil das The NOname auf der Oranienburger Straße. Tim Tanneberger hatte dort erst im Frühjahr die begehrte Auszeichnung erkocht. Schon jetzt steht also fest: Berlin wird bald weniger Sterne haben.

Bleiben noch wir Gäste. Und die banale Feststellung, dass wir uns später nicht aufregen müssen, wenn die gastronomische Stadt in Scherben liegt. Noch einmal Lode van Zuylen: „Frank Weggun, ein Freund von mir, ist Demeter-Bauer in Brandenburg und auch Holländer. Dem geht es auch gerade nicht gut, der Einzelhandel drückt die Preise, die Gastronomie bestellt weniger. Also sagt er zu mir, ‚Weißt du Lode, was ich mache, wenn es mir schlecht geht, ich packe die Familie ins Auto und wir gehen essen.‘  Diese Einstellung ist den Deutschen definitiv fremd.“

  • Lode & Stijn Lausitzer Str. 25, Kreuzberg, online
  • Remi Torst. 48, Mitte, online
  • Ernst Gerichtstr. 54, Wedding, online
  • Horváth Paul-Lincke-Ufer 44a, Kreuzberg, online
  • Richard Bistro Köpenicker Str. 174, Kreuzberg, online
  • Cordo Große Hamburger Str. 32, Mitte, online
  • The NOname Oranienburger Str. 32, Mitte, online
  • Irma la Douce Potsdamer Str. 102, Tiergarten, online

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Fine Dining in Berlin: Berlins Sterne-Restaurants stellen wir hier vor. Spannender fast als die Verleihung der Michelin-Sterne 2023 waren die Spekulationen innerhalb der Berliner Gastro-Szene, schreibt unser Autor Clemens Niedenthal. Wir lieben nicht nur die Sterne-Restaurants: Die besten Imbisse in Berlin. Gehobene Küche, vergleichsweise moderate Preise: Das zeichnet Bib-Gourmand-Preisträger aus. Diese Berliner Restaurants sind prämiert. Immer die besten Tipps für exzellentes Essen und vorzügliche Gastronomie findet ihr in unserer Rubrik Essen und Trinken.

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