Berlinale 2022

„So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ von Hong Sang-soo: Liebeserklärung an die Kunst

Mittlerweile 27 Spielfilme hat der koreanische Regisseur Hong Sang-soo seit 1996 gedreht, inklusive seines jüngsten Werks „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ („The Novelist’s Film“), das jetzt im Wettbewerb der Berlinale 2022 seine Premiere feiert. Unaufhörlich und mit bewundernswerter Konsequenz strickt Hong darin an seinem poetischen Gesamtkunstwerk weiter, in dem es um immer die gleichen Fragen geht: Wie können Männer und Frauen zusammenkommen? Wie soll man überhaupt leben? Und wie können künstlerisch tätige Personen etwas Wahrhaftiges schaffen, ohne große Kompromisse eingehen zu müssen? tipBerlin-Filmredakteur Lars Penning hat sich die überraschend offenherzige Liebeserklärung an die Kunst und die Schauspielerinnen angesehen.

Die Schauspielerin und die Schriftstellerin bereden ein gemeinsames Projekt in „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ Foto: Jeonwonsa Film Co. Production

Künstlerische Fragen im Mittelpunkt von „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“

Der Fokus verschiebt sich innerhalb dieses Themenkreises in jedem Hong-Film aufs Neue: Standen anfangs noch bequeme, immer etwas selbstmitleidige Männer im Zentrum, kamen in späteren Werken vor allem Frauen zum Zuge, in diesen gänzlich unspektakulären Geschichten, in denen es trotzdem irgendwie immer ums Ganze geht. In den letzten Jahren hat Hong immer wieder mit denselben Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht, und auch, wenn sie nicht in denselben Rollen auftreten, sind sich die Figuren doch oft so ähnlich, dass man das Gefühl einer Familiarität bekommt – als ob man eine ewig währende Serie anguckt.

In „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ („The Novelist’s Film“) stehen nunmehr keine Beziehungsprobleme, sondern ganz klar die künstlerischen Fragen im Mittelpunkt: Eine berühmte Schriftstellerin besucht in einem Außenbezirk von Seoul eine Kollegin, die das Schreiben jedoch vollkommen aufgegeben hat, um einen Buchladen zu führen. In einer typischen Hong-Konversation – wie immer in langen, starren Einstellungen in Schwarzweiß gefilmt – reden die beiden eine Weile um den heißen Brei herum, ehe irgendwann deutlich wird, dass die Buchladeninhaberin das letzte Werk der Schriftstellerin zwar gelesen, sich dazu aber nie geäußert hat. Was die Autorin jedoch erwartet hätte – zumal irgendwann klar wird, dass sie gerade unter einer Schreibhemmung leidet.

Kim Min-hee in „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“ Foto: Jeonwonsa Film Co. Production

Verquickung von Leben und Arbeit in „So-seol-ga-ui Yeong-hwa“

In einer zweiten Begegnung kommt ein weiterer Tiefschlag zur Sprache: Die Schriftstellerin trifft einen Regisseur, der einst ein Buch von ihr verfilmen wollte – doch aus dem Projekt wurde nie etwas. Er schiebt die Schuld auf die Finanziers, sie wirft ihm vor, nur an Ruhm und Geld interessiert zu sein. Bei einem Spaziergang im Park begegnen die beiden einer berühmten Filmschauspielerin (Kim Min-hee), die sich ihrerseits gerade in einer Schaffenskrise befindet. Die Schriftstellerin schlägt ihr ein gemeinsames Kurzfilmprojekt vor. In der Beschreibung ihrer Ideen – sie möchte Personen in Alltagssituationen filmen, in denen zwischen den Figuren eine wahrhafte Beziehung deutlich wird, ohne dass es sich dabei um einen Dokumentarfilm handelt – wird deutlich, dass Hong hier im Grunde seine eigenen Ideen vorstellt.

Zumal eine Szene aus dem fiktiven Film schließlich Kim Min-hee (seit einigen Jahren auch Hongs Lebensgefährtin) beim Blumensammeln im Park zeigt: Dann wird der Film für einige Bilder farbig und derjenige, der Kim gerade filmt (also tatsächlich Hong selbst), sagt ihr aus dem Off: „Ich liebe dich.“  Es ist die bislang offenherzigste autobiografische Verquickung von Leben und Arbeit in einem Hong-Film – völlig überraschend und anrührend zugleich. Und sie macht neugierig, wohin die Reise der Geschichten um Leben und Kunst in kommenden Filmen wohl gehen mag.


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