Berlinale 2024

„Sterben“ mit Eidinger und Harfouch: An die letzte Grenze

„Sterben“, so heißt Matthias Glasners Film, der im Berlinale-Wettbewerb 2024 lief und nun in die Kinos kommt. Der Regisseur geht mit Erfahrungen von Familie an die letzte Grenze. Mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch sind Stars in den Hauptrollen zu sehen – doch den ambitionierten dreistündigen Film bewertet tipBerlin-Filmkritiker Michael Meyns eher zwiespältig.

Filmkritik zu „Sterben“ von Matthias Glasner: Corinna Harfouch und Lars Eidinger auf hohem Niveau. Foto: Jakub Bejnarowicz / Port au Prince, Schwarzweiss, Senator

„Sterben“: Brutale, ehrliche Szenen mit Eidinger und Harfouch

„Du warst ja ein Unfall“ sagt die Mutter zu ihrem Sohn, kurz darauf bestätigen sich beide, dass sie sich eigentlich nie gemocht haben. Eine brutale, vor allem auch brutal ehrliche Szene, in der Corinna Harfouch und Lars Eidinger aufeinandertreffen, ganz ruhig an einem Tisch sitzend, und dabei Dinge aussprechend, die meist ungesagt bleiben. Aber das hier ist ein Film von Matthias Glasner, der nicht davor zurückschreckt, von Dingen zu erzählen, Menschen zu zeigen, Wahrheiten aussprechen zu lassen, die im Kino und besonders im oft allzu bequemen deutschen Kino meist außen vor bleiben.

In „Der freie Wille“ fragte er, inwieweit ein Vergewaltiger wirklich für seine Taten verantwortlich ist, in „Gnade“ ging es um einen Autounfall, bei dem ein Kind starb, um Schuld, Sühne und Vergebung. Zwölf Jahre später ist Glasner mit „Sterben“ nun erneut im Berlinale-Wettbewerb zu Gast, mit einem dreistündigen Drama, unterteilt in fünf Kapitel und einen Epilog, mit deutscher Starbesetzung (Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld, Robert Gwisdek), mit großer Geste und Ambition, die er nur bedingt einlösen kann.

Anderthalb Stunden bewegt sich „Sterben“ auf hohem Niveau, getragen von Lars Eidinger und Corinna Harfouch, die gleich in der ersten Szenen buchstäblich in der Scheiße sitzt, denn ihr Mann hat Parkinson, läuft schon mal halbnackt aus dem Haus und landet bald im Heim. Im fernen Berlin lebt derweil der Sohn, Tom, ein Dirigent, dessen Ex-Freundin gerade ein Kind bekommen hat, als dessen Ersatz-Vater Tom nun agiert, während seine Affäre sich fragt, woran sie ist. Um Familien geht es, um moderne Formen des Patchworks, Kinder, die mal mehr, mal weniger gewollt sind, um das Verhältnis zu den Eltern und damit unweigerlich auch zum Sterben.

„Sterben“ entgleist nach der Hälfte

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Nach ungefähr der Hälfte des Films erlebt man mit die eingangs erwähnte Szene, die so gut, so intensiv ist, wie man es selten sieht – doch dann geht der Film noch anderthalb Stunden weiter. Vor allem wird die dritte Hauptfigur eingeführt, von der zuvor nur gesprochen wurde: Toms Schwester Ellen, gespielt von Lilith Stangenberg, eine Figur, die so klischeehaft wirkt, wie die anderen authentisch: ihren Schmerz im Alkohol ertränkend, exzessiv und exaltiert.

Mit dem Auftritt von Ellen (Lilith Stangenberg) gerät der Berlinale-Wettbewerbsfilm „Sterben“ aus der Spur. Foto: Jakub Bejnarowicz / Port au Prince, Schwarzweiss, Senator

Eine halbe Stunde muss man dieser Figur nun beim Saufen und Vögeln, Singen und Schreien zusehen, was den Film so sehr entgleisen lässt, dass auch die starken Szenen, die noch kommen, ihn nicht mehr ganz zurück in die Spur bringen. Schade, denn über weite Strecken gelingt Glasner ein Drama, das dahin geht, wo es weh tut, das oft bewusst schockiert, aber immer wieder auch pointiert und witzig von Eitelkeiten, schwierigen Familienverhältnissen und selbstverliebten Künstlern in Berlin erzählt. Ein ambitionierter Film, der seinen eigenen Ansprüchen am Ende nicht ganz gerecht wird.

  • Sterben D 2024; 182 Min.; R: Matthias Glasner; D: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg; Kinostart 25.4.

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