Berlinale 2024

„Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs)“: Variationen des Immergleichen

Über Hong Sangsoo heißt es manchmal, dass er immer denselben Film macht. Bei „„Yeohaengjaui pilyo“, internationaler Titel „A Traveler’s Needs“, ist das so, diesmal mit komödiantischem Einschlag. Ein großes Vergnügen, wie tipBerlin-Kritiker Frank Arnold in seiner Rezension zum Film mit Isabelle Huppert schreibt.

„Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs)“ mit Ha Seongguk und Isabelle Huppert: Wir besprechen den Wettbewerbsfilm. Foto: 2024 Jeonwonsa Film Co.

„Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs)“: Ist die Lässigkeit nur Fassade?

Sie liebe ihren Vater, aber es sei ihr irgendwie peinlich, dass dort an an einer Wand hinter den Sträuchern, vor denen sie gerade stehen, sein Name so groß zu lesen ist, nur weil er mehr Geld als andere, weniger betuchte Menschen, für eine Sache gespendet habe, erklärt die junge Koreanerin ihrer Französischlehrerin bei einem Spaziergang. Die zeigt sich verständnisvoll, nimmt sie in den Arm, wenn sie anfängt zu weinen, und formuliert das, was ihr Gegenüber nicht richtig in Worte fassen kann, mit einer Mischung aus Sachlichkeit und Empathie. So eine Freundin wie Iris kann man sich nur wünschen.

„Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs)“: Hong Sangsoo arbeitet zum dritten Mal mit Isabelle Huppert (l.) zusammen. Foto: 2024 Jeonwonsa Film Co.

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Oder doch nicht? Verfolgt die Fremde vielleicht zielstrebig ihre eigene Agenda, ist ihre Lässigkeit nur Fassade? Sollten wir es hier zu tun haben mit einer weiteren Variante von Pasolinis „Teorema“ (in dem ein Hausgast alle Mitglieder der Familie verführte)? Mit Bruce LaBruces „The Visitor“ läuft in diesem Jahr im Panorama bereits eine „explizite“ Variante. Demgegenüber setzt Hong Sangsoo eher auf Beiläufigkeit, der Film macht sich die Lässigkeit seiner Protagonistin zu eigen, zeigt aber auch, wie die Konflikte zwischen Eltern und Kindern durch Iris an die Oberfläche gezerrt werden, unter der sie allzulange geschlummert haben. Das kulminiert in der Szene, in der eine Mutter ihren Sohn erst warnt („Du kennst sie nicht!“) und ihn schließlich anbrüllt („ICH bin Deine Mutter!“), bevor sie ihn mit einer warmen Mahlzeit wieder für sich zu gewinnen versucht.

Iris, das ist Isabelle Huppert, nach „In Another Country“ (2012) und „La caméra de Claire“ (2017)  zum dritten Mal in einem Film von Hong Sangsoo. Ihr Alkoholkonsum kann mit dem der Männer in den früheren Filmen des Regisseurs noch nicht mithalten, dafür braucht sie regelmäßig eine Zigarettenpause.

Hong Sangsoo reflektiert, dass er oft denselben Film dreht

Drehen als Autoren eingestufte Filmemacher immer wieder denselben Film? Auf Hong Sangsoo trifft das sicherlich mehr zu als auf andere. Aber weil er das in seinen Filmen selber schon reflektiert, ist es auch immer wieder ein Vergnügen, ihm bei seinen Variationen des Immergleichen zuzusehen.

Nachdem er bei der letztjährigen Berlinale mit „In Water“ ein eher experimentelles Werk vorlegte, in dem die Bilder zunehmend in Unschärfe versanken, setzt er diesmal auf eine komödiantische Variante bekannter Topoi. Nicht unbedingt Bären-Material (wie sein 2022er Wettbewerbsbeitrag „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“, der den Preis der Jury bekam), aber wie immer ein großes Vergnügen.

Hongsangsoo dreht ja mittlerweile seine Filme in so rascher Abfolge, dass für alle drei großen Festivals (Berlin, Cannes und Venedig) etwas abfällt, der Vorgänger von „A Traveler’s Needs“ etwa hatte im vergangenen Herbst in Venedig Premiere. Bleibt zu hoffen, dass er der Berlinale auch nach dem Abgang von Carlo Chatrian (der ihn schon als Festivalleiter von Locarno gefördert hat) gewogen bleibt.


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir: Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. Bei „Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs)“ sehen wir nicht mehr als 10 Prozent. Besser sieht es da für andere aus: zum Beispiel für den iranischen Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), den Berlinale-Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ oder für „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


Wir berichten vom Berlinale-Wettbewerb 2024: Alle Filme im Überblick. Rasant, aber auch gut? „La Cocina“ in der Filmkritik. Hohes Niveau – bis zur Hälfte jedenfalls: Unsere Rezension zu „Sterben“ mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch lest ihr hier. Das Monumentale liegt dem Dokumentaristen Victor Kossakovsky – Rezension zu seinem Film „Architecton“. Auch jenseits vom Wettbewerb 2024 sind die Filmfestspiele spannend, unter anderem wegen grandioser Filme wie dem Coming-of-Age-Drama „Ellbogen“. Und manches liegt uns besonders am Herzen: Hier sind 15 Filmtipps aus den anderen Sektionen der Berlinale 2024. Das Wichtigste zum Berlinale-Programm auf einen Blick. Und damit ihr nicht leer ausgeht: Über alles Wichtige zum Berlinale-Ticketkauf – wo, wann, wie teuer – halten wir euch auf dem Laufenden. Hungrig geworden? Wir empfehlen Restaurants rund um die Berlinale-Spielorte in der City West. Und auch hier haben wir Tipps: Restaurants rund um den Potsdamer Platz. Alle Texte zum internationalen Filmfestival in der Hauptstadt findet ihr auf unserer Themenseite zur Berlinale 2024

Keine Tickets für die Berlinale bekommen? Im Kino läuft auch sonst immer etwas Gutes. Hier ist das Programm. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.

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