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Filmstarts der Woche: Vom Migrationsdrama „Borga“ bis „Online für Anfänger“

In einer Woche ohne amerikanischen Blockbuster haben einige europäische Filme eine Chance. Aus Deutschland kommt das Migrationsdrama „Borga“ über einen jungen Mann aus Ghana, die Komödie „Contra“ mit Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq; aus Frankreich kommt die Komödie „Online für Anfänger“, die das Internet-Zeitalter aufs Korn nimmt; dazu Horror aus Amerika („Antlers“), Literaturkino aus Ungarn („Die Geschichte meiner Frau“), Animation für Kinder („Ron läuft schief“) und ein Dokumentarfilm über „Wagner, Bayreuth und den Rest der Welt“. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.


Borga

Einer unserer Filme der Woche: „Borga“ von York-Fabian Raabe. Bild: Across Nations

DRAMA Sein ganzes junges Leben lang hat der Anfang 20-jährige Ghanaer Kojo auf der von giftigen Dämpfen umwehten, berüchtigten Elektronikschrott-Deponie in Agbogbloshie gearbeitet. Bis er beschließt ein „Borga“ zu werden, ein Mann, der es im deutschen Hamburg zu Wohlstand bringt. Vor Ort zerplatzen die Träume zwar böse, dennoch feiern die Drehbuchautoren York-Fabian Raabe und Toks Körner den westafrikanischen Überlebenswillen und die Ausdrucksstärke seiner Kultur. Eva Apraku

D/ GHA 2021; 104 Min.; R: York-Fabian Raabe; D: Eugene Boateng, Christiane Paul, Prince Kuhlmann, Thelma Buabeng; Kinostart: 28.10.

Unsere Kritik zum Migrationsdrama „Borga“ lest ihr hier.


Contra

Neu im Kino: „Contra“ von Sönke Wortmann. Bild: Constantin

KOMÖDIE Professor Pohl ist eine Zumutung. Ein weißer, älterer, männlicher Gelehrter, der seine intellektuelle Überlegenheit nur zu deutlich demonstriert. Ein akademischer Star, der den Stoff mit Bonmots garniert, die allerdings manchmal über die Grenze des politisch Korrekten, ach was, über die Grenze des Zumutbaren hinausgehen. Als er sich zu einer Bemerkung über eine verspätete Studentin hinreißen lässt, die deutlich rassistisch klingt, gerät Pohl sogar bei seinen Vorgesetzten unter Druck.

Er muss Buße tun, und zwar gemeinsam mit besagter Studentin. Sie heißt Naima, sie stammt aus einer Familie mit Migrationshintergrund, in der aber alles genauso ist, wie es sich sämtliche Integrationsbeauftragten der Republik wünschen würden. Naima soll von Pohl auf einen Debattenwettbewerb vorbereitet werden. Er soll sie in allen Kniffen der Rhetorik unterweisen, denn das ist es, was er aus dem Effeff beherrscht, und was ihr später eine glänzende Karriere als Anwältin eröffnen würde.

Bald zeigt sich natürlich, dass Naima die Verachtung ihres Professors gar nicht verdient hat. Denn sie ist ein Toptalent. Mit dem Film „Contra“ hat Sönke Wortmann wie schon bei „Der Vorname“ eine französische Komödie mehr oder weniger eins zu eins ins Deutsche übertragen. Christoph Maria Herbst spielt den anfangs unausstehlichen Pohl, die Rolle der Naima wurde mit Nilam Farooq, auch bekannt von Youtube, gut besetzt. „Contra“ verläuft exakt nach Schema, jedes Detail hat eine Funktion und sitzt. Der Film fährt Schlitten mit den Emotionen. Abspringen sinnlos!

Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq spielen die Hauptrollen in einer Komödie über einen arroganten Professor, der eine Studentin in der Debattierkunst unterweisen soll. Vorlage für „Contra“ ist eine französische Komödie, die Sönke Wortmann weitgehend eins zu eins übernommen hat. Alles verläuft exakt nach Plan. Eine emotionale Schlittenfahrt. Bert Rebhandl

D 2020; 120 Min.; R: Sönke Wortmann; D: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Ernst Stötzner; Kinostart: 28.10.


Online für Anfänger

„Online für Anfänger“ von Benoît Delépine und Gustave Kervern. Bild: X Verleih

KOMÖDIE Bertrand, Marie und Christine: drei Menschen, die sich beim Internet über die Zumutungen des digitalen Lebens beschweren möchten. In der absurden Komödie „Online für Anfänger“ führt der Weg des Protests zu Serverfarmen in Kalifornien und einer Bot-Frau auf Mauritius. Mit sympathischer Haltung und einigen guten Ideen nimmt das französische Komödiantenduo unsere Gegenwart aufs Korn.

Effacer l’historique (OT); F 2020; 110 Min.; R: Benoît Delépine & Gustave Kervern; D: Denis Podalydès, Blanche Gardin, Corinne Masiero; Kinostart: 28.10.

Hier gibt es das tipBerlin-Gespräch mit Benoît Delépine und Gustave Kervern, den Regisseuren von „Online für Anfänger“.


Antlers

„Antlers“ von Scott Cooper. Bild: Disney

HORROR Einst hatte sich Julia davon gemacht aus der Kleinstadt in Oregon und ihren jüngeren Bruder Paul alleine zurückgelassen in der Obhut des Mannes, der ihnen Gewalt angetan hat. Jetzt, nach dem Tod des Vaters, ist sie zurückgekehrt und hat eine Stelle als Lehrerin angenommen. Der Groll ihres Bruders, der sich damals von ihr im Stich gelassen fühlte, ist noch vorhanden. In „Antlers“ ist dies allerdings nur ein Teil der Geschichte, in deren Mittelpunkt schnell einer von Julias Schülern steht, der zwölfjährige Lucas, dessen grauenerregende Zeichnungen in seinem Schulheft auf ein gestörtes Kind mit einem entsprechenden Elternhaus schließen lassen.

In der Tat: Lucas‘ Vater, der seinen Lebensunterhalt mit Drogenherstellung bestreitet, verwandelt sich nach und nach in ein Monster mit wachsendem Appetit auf Fleisch – bald werden ihm die überfahrenen Tiere, die Lucas und sein älterer Bruder vom Straßenrand auflesen, nicht mehr genügen. Und: wird die Kellertür, hinter der er eingesperrt ist, seinen Kräften standhalten?

Währenddesssen sieht sich Paul als Sheriff immer häufiger mit grausam verstümmelten Leichenfunden konfrontiert. Dass das Monster nicht nur in der Fantasie des Jungen existiert, ist schnell klar, es handelt sich um einen Wendigo, ein hirschähnliches Tier mit großem Geweih, das in indigenen Legenden auftaucht. Das gibt Graham Greene als Vertreter der Natives einmal mehr Gelegenheit für einige knappe Erläuterungen – wehmütig erinnert sich der Zuschauer daran, dass dieser Darsteller in früheren Filmen in substantielleren Rollen zu sehen war.

Die Verbindung einer ikonischen Horrorgestalt mit dem Alltag in der amerikanischen Provinz hat durchaus etwas Einnehmendes, allerdings wird der Missbrauch von Lucas und der des Geschwisterpaares hier etwas platt thematisiert – die Schrecken der Kindheit und die Fantasietätigkeit, die sie produzieren, hat Produzent Guillermo del Toro in seinen eigenen Regiearbeiten „The Devil’s Backbone“ und „Pan’s Labyrinth“ weitaus überzeugender abgehandelt. Regisseur Scott Cooper und seinem Kameramann Florian Hoffmeister gelingen allerdings überzeugende Bilder der Tristesse einer abgehängten Region. Frank Arnold

USA 2019; 107 Min.; R: Scott Cooper; D: Keri Russell, Jesse Plemons, Jeremy T. Thomas, Graham Greene, Amy Madigan; Kinostart: 28.10.


Die Geschichte meiner Frau

„Die Geschichte meiner Frau“ von Ildikó Enyedi. Bild: Alamode Film

DRAMA Der Roman „Die Geschichte meiner Frau“ von Milan Füst zählt zu den Höhepunkten der ungarischen Literatur. Fertiggestellt wurde er während des Zweiten Weltkriegs, bald 80 Jahre später wurde er nun von der derzeit wohl wichtigsten ungarischen Filmemacherin für das Kino adaptiert: Ildikó Enyedi hat in dieses Projekt das (wohl nicht nur symbolische) Kapital investiert, das ihr der Goldene Bär bei der Berlinale  im Jahr 2017 für „Körper und Seele“ gebracht hat.

Es sind, wie der Titel schon andeutet, Szenen einer Ehe, um die es hier geht. Der Schiffskapitän Jakob Storr (Gijs Naber) hat einen nervösen Magen, für den ihm eine besondere Kur empfohlen wird: Er soll heiraten. Er nimmt den Rat beim Wort. In einem Café nimmt er sich vor, der ersten Frau einen Antrag zu machen, die den Raum betritt. Es ist die schöne Lizzy (Léa Seydoux).

Es ist also eine unwahrscheinliche Ehe, die dann aber doch lange gut geht, allerdings nicht ohne Schwierigkeiten. Denn Jakob ist oft lange weg – die Seereisen zeigt Enyedi theaterhaft, mit Stürmen, denen man bewusst das Wasserglas ansehen soll, in dem sie stattfinden. Insgesamt hält „Die Geschichte meiner Frau“ eine Balance zwischen sorgfältig ausgestattetem Historienfilm und einer verdichteten, künstlichen Vergangenheit, die erkennen lässt, dass es um keinen konkreten Moment, sondern eher um eine verflossene Welt geht. Spannung soll vor allem aus den Projektionen entstehen, die Jakob auf seine Frau richtet. Er vermutet Untreue, entfernt sich selbst von seiner Frau. Leider teilt sich dabei nie wirklich mit, was Ildikó Enyedi an Milan Füsts Buch genau interessiert hat. Bert Rebhandl

A feleségem története (OT); Ungarn 2021; 169 Min.; R: Ildiké Enyedi; D: Gijs Naber, Léa Seydoux, Louis Garrel; Kinostart: 4.11.


Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt

„Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ von Axel Brüggemann. Bild: Filmwelt

DOKU Richard Wagner ist der umstrittenste unter den großen deutschen Komponisten. Er war Antisemit, seine Musik finden aber auch Juden „himmlisch“. Vom Festspielhaus in Bayreuth hat Hitler einst begeisterten Anhängern zugewinkt, Jahrzehnte später wurde Angela Merkel Stammgast bei Wagners. Axel Brüggemann unternimmt mit „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ einen Streifzug durch alle Aspekte des Wagnerianischen.

An vielen Orten, zum Beispiel in Venedig, wo Wagner starb, reicht die Verehrung ins Religiöse. Gegen alle einseitigen Deutungen, am Ende gar als germanischer Mythos, wird hier der interkulturelle Aspekt hervorgehoben: Brüggemann besucht eine afroamerikanische Darbietung in New Jersey, lässt einen jungen Israeli in Tel Aviv das Fagott spielen, und findet Fans in Abu Dhabi und Japan.

Der bedeutende Musikhistoriker Alex Ross kommt zu Wort, wie auch Regisseure (Barrie Kosky) und Dirgenten (Christian Thielemann), wobei man auf das Geheimnis der Musik im eigentlichen Sinn durchaus noch ein wenig mehr hätte eingehen können. Volkes Stimme wird durch die Metzgersleute Rauch aus Bayreuth vertreten, bei denen das internationale Wagner-Volk jeden Sommer ein und aus geht.

Auf den grünen Hügel läuft in der Wagner-Welt alles hinaus, dort sind Karten schwer zu kriegen, und wer im Orchestergraben arbeitet, tut das oft in kurzen Hosen, denn da unten ist es eng und heiß. Auch solche Details kriegt man in „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ präsentiert. Der Film wurde vom Plattenlabel Naxos mitproduziert, ist also im Grunde gehobenes Marketing, dabei aber durchaus interessant. Bert Rebhandl

D 2021; 97 Min.; R: Axel Brüggemann; Kinostart: 28.10.


Ron läuft schief

Der Animationsfilm „Ron läuft schief“ von Sarah Smith, Jean-Philippe Vine und Octavio E. Rodriguez. Bild: Disney

ANIMATION FÜR KINDER Auch wenn der Vorspann als Vertrieb und Ko-Produzenten dieses neuen Animationsfilms groß die 20th Century-Fox (gehört heute Disney) nennt, ist die Produktionsgeschichte von „Ron läuft schief“ doch im Wesentlichen in England angesiedelt. Das Studio Locksmith Animation wurde 2014 in London gegründet, unter anderem von der Produzentin und Regisseurin Sarah Smith („Arthur Weihnachtsmann“, 2011), die bei diesem ersten abendfüllenden Spielfilm des Studios auch die Ko-Regie übernahm.

Ziel ist es offensichtlich, international konkurrenzfähige Animationsfilme für das so oft umworbene Familienpublikum herzustellen, was hier schon einmal recht ordentlich gelingt: Design, Computeranimation, Humor und Figurencharakterisierung wissen zu überzeugen.

Der europäische Einschlag der Geschichte um den Schüler Barney, der keine Freund:innen findet, weil ihn die Mitschüler:innen in Sachen Social Media und der dafür notwendigen technischen Aufrüstung komplett abgehängt haben, macht sich in dem durchaus kritischen (wenngleich nicht durchgehend konsequenten) Blick auf die Schattenseiten der schönen neuen Tech-Welt bemerkbar, in der Digitalisierungsgurus es vor allem auf unsere Daten und unser Geld abgesehen haben.

Barney, der durch Zufall an den kaputten B-Bot Ron gerät, einen Roboter, der eigentlich (natürlich komplett sozial vernetzt) dabei helfen sollte, neue Freunde zu finden, macht angesichts von Rons Fehlfunktionen jedenfalls ganz andere Erfahrungen von wahrer Freundschaft. Denn dass zig-tausend Likes auch schnell in Hohn und Spott umschlagen können, ist natürlich eine Binsenweisheit. Trotzdem lustig.  Lars Penning

Ron’s Gone Wrong (OT);  USA/GB/CDN 2021; 104 Min.; R: Sarah Smith, Jean-Philippe Vine, Octavio E. Rodriguez; Stimmen OF: Jack Dylan Grazer, Zach Galifianakis; Kinostart: 28.10.


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