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„Green Border“: Agnieszka Holland zeigt den Horror vor der eigenen Tür

Agnieszka Holland legt mit „Green Border“ wieder ihren Finger in eine Wunde: Mit verstörenden Bildern macht die preisgekrönte Regisseurin die humanitäre Katastrophe an der EU-Außengrenze sichtbar. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber findet: „Green Border“ ist kaum auszuhalten, aber gerade deshalb ein besonders wichtiger Film.

Die belarusischen wie polnischen Grenzbeamten an der „Green Border“ verschonen auch Kinder nicht vor Gewalt. Foto: Agata Kubis/Piffl Medien

Mit „Green Border“ will Agnieszka Holland die Menschen in Europa aufrütteln

Agnieszka Holland hat einen Horrorfilm gedreht. Er heißt „Green Border“ und zeigt schonungslos den Horror an der EU-Außengrenze, spezifisch der „Grünen Grenze“ zwischen Belarus und Polen. Dort spielte sich vorwiegend im Herbst 2021 eine humanitäre Katastrophe zwischen Flüchtlingen und Grenzschützern ab, die gewaltsame und als völkerrechtswidrig geltende Pushbacks durchführten.

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Dieses menschliche Drama war für die vielfach prämierte Regisseurin Anlass, die Menschen in Europa aufzurütteln. Und das tut „Green Border“ mit Wucht. Der Film beginnt mit einem Überflug über die grünen Weiten des Białowieża-Urwalds in der polnisch-belarusischen Grenzregion. Doch schon nach wenigen Sekunden werden die Bilder schwarzweiß. Wir treffen auf eine syrische Familie mit drei Kindern auf der Flucht über Belarus nach Schweden. Im Flugzeug herrscht noch eine hoffnungsvolle Stimmung, doch schon nach wenigen Minuten wird klar, dass die Familie keine einfache Flucht erwartet. Der Schleuser überlässt sie belarusischen Grenzschützern, die die Flüchtlinge aggressiv über die polnische Grenze treiben. Dort irren sie durch den Wald, bis sie von polnischen Grenzschützern aufgegriffen werden, die sie wieder zurück über die belarusische Grenze treiben. Wo sie wieder nach Polen, dann wieder nach Belarus, und endlos so weiter gehetzt werden.

Nicht nur menschliche Gewalt, auch die harschen Bedingungen im weitläufigen Białowieża-Urwald in der polnisch-belarussischen Grenzregion machen das Überleben schwer. Foto: Agata Kubis/Piffl Medien

Was dann folgt, sind drastische Szenen, die kaum auszuhalten sind. Eine Kinderleiche versinkt im Morast. Eine hochschwangere Frau wird über einen Stacheldrahtzaun geworfen. Grenzschützer mischen den Geflüchteten Glasscherben in das knappe Trinkwasser. Auch als den verstörten Menschen polnische Aktivisten zu Hilfe kommen, wird „Green Border“ nicht einfacher anzuschauen. Die Hilfsarbeit wird ihnen durch die Erklärung des Grenzgebiets zu einer Sperrzone erschwert, und Respekt oder Unterstützung von den Anwohnern bekommen sie für ihren Einsatz nicht.

Für „Green Border“ erntete Holland in Polen heftige Kritik von rechter Seite

Die darin sichtbare Kritik Hollands nicht nur an der inzwischen abgewählten rechten PiS-Regierung in Polen, sondern auch an ihren Landsleuten wird im Epilog des Films noch expliziter, in dem sie die warmherzige Aufnahme Tausender Flüchtlinge aus der Ukraine in Polen zeigt. Dieselben zuvor grausamen Grenzschützer verteilen jetzt Teddybären an ukrainische Kinder. In Polen hat man Agnieszka Holland klar gemacht, dass man diese Kritik nicht hören möchte. Präsident Duda und andere Regierungsmitglieder warfen Holland Nazi-ähnliche Propaganda vor. Der polnische Kinostart war zudem umstritten, da er in die heiße Wahlkampfphase im letzten Herbst fiel. Tatsächlich aber schaffte „Green Border“ den erfolgreichsten nationalen Kinostart in Polen 2023.

Ob sich dieser Erfolg in Deutschland wiederholen lässt, ist fraglich. Denn obwohl „Green Border“ ein enorm wichtiges filmisches Dokument der schrecklichen Zustände an der EU-Außengrenze ist und in Venedig den Spezialpreis der Jury gewonnen hat – dieser Film ist eine Zumutung. Was „Green Border“ schließlich von den meisten Horrorfilmen unterscheidet: Es geht hier nicht um Monster oder Splatter-Fantasien, sondern um Menschen, die vor den Toren Europas extreme Gewalt erfahren. Diesen Menschen gibt Agnieszka Holland ein Gesicht.

  • Zielona Granica Polen/Frankreich/Tschechien/Belgien 2023; 152 Min.; R: Agnieszka Holland; D: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai; Kinostart: 1.2

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