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Marlene Burow: „Im Film erzählt sich die Beziehung über Sexualität“

Es ist erst ihre zweite große Kinorolle: Marlene Burow spielt in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Emily Atef eine junge Frau, die sich leidenschaftlich in einen älteren Mann verliebt. Im Hintergrund: das Ende der DDR. Wir sprachen mit der Schauspielerin über ihr Verhältnis zu Ostdeutschland, Sexszenen am Set und die Berliner Kinos ihrer Jugend.

Henner (Felix Kramer) und Maria (Marlene Burow) in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“. Foto: Pandora Film/Row Pictures

„Okay, dachte ich mir, junge Frau, älterer Mann, na ja, mal schauen“

tipBerlin Frau Burow, wie kamen Sie zu der Rolle der Maria in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“?

Marlene Burow Die Regisseurin Emily Atef wusste bei dem Casting, glaube ich, gar nicht, wer ich bin. Es war das große Glück, dass die Casterin, Jacqueline Rietz, mich vorgeschlagen hat. Ich war im Urlaub und habe diese Anfrage bekommen, das war erst einmal nur eine Kurzsynopsis. Okay, dachte ich mir, junge Frau, älterer Mann, na ja, mal schauen. Ich habe ein Video eingeschickt und dann das Drehbuch gelesen, und da begriff ich schon, das muss ich unbedingt machen. Beim Casting habe ich Emily Atef und meinen Drehpartner Felix Kramer kennengelernt, und wusste sofort, ich brauche keine Angst haben, da war ein großes Vertrauen und Raum für offene Konversationen über Sorgen und Bedenken. Emily strahlt eine unglaubliche Ruhe und Liebe aus.

tipBerlin Der Film „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ beruht auf einem sehr erfolgreichen Roman von Daniela Krien.

Marlene Burow Den Roman habe ich dann auch gleich gelesen und gesehen: Da ist noch so viel mehr. Da hatte ich die ganze Gedankenwelt von Maria vor mir, und konnte sie mir parallel zum Drehbuch noch besser vertraut machen. Meine Mutter hatte Daniela Krien schon auf ihrem Nachttisch liegen, bevor ich diese Anfrage bekommen habe. Ich bin ja eher nicht erste Zielgruppe. Daniela schreibt ganz einfach und hat dennoch eine große Tiefe in ihren Worten und ganz viel Wahrheit, ein Gespür, über das Leben zu schreiben. Ihr Stil wirkt so natürlich. Sie kann sehr gut Widersprüche spiegeln in ihren Geschichten.

Marlene Burow wuchs in Köpenick auf, 2019 hatte sie in der ARD-Serie „Die Drei von der Müllabfuhr“ eine erste Rolle. Den Durchbruch schaffte sie mit „In einem Land, das es nicht mehr gibt“. Foto: Imago/Eventpress/Golejewski

„Wir versinken nicht im Drama“

tipBerlin Was zeichnet Emily Atef als Regisseurin aus?

Marlene Burow Emily – das hat sich in der Arbeit sogar noch mehr herausgestellt – hat einen Weltblick. Sie hat iranische, amerikanische, französische Wurzeln, da kommt aus allen Richtungen etwas zusammen. Sie hat die große Gabe, in der Arbeit auch einen Schritt zurückzugehen, einen Raum zu schaffen, in dem wir uns entfalten können. Sie sorgt dafür, dass man wirklich eintaucht in die Geschichte. Wir haben viel geredet und viel geprobt. Und dann hat sie auch noch diese Leichtigkeit: Wir versinken nicht im Drama. Wir haben auch viel gelacht.

tipBerlin Sie spielen eine junge Frau, die sich in einen 40 Jahre alten Mann verliebt. Eine stark erotische Beziehung beginnt. Wie erlebten Sie das bei den Dreharbeiten?

„Wir hatten drei Tage Proben in Berlin nur für die intimen Szenen“

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Marlene Burow Da war am Anfang natürlich eine Nervosität dabei. Der Umgang mit Sex vor der Kamera entwickelt sich ja immer noch, es gibt weiterhin Situationen, die Schaden hinterlassen. Deswegen ging es von Beginn an sehr offen darum: Wie reden wir darüber? Wie gehen wir an die Szenen ran? Es gab eine intimacy coordinatorin, Sarah Lee, eine ganz tolle Frau, die war immer mit dabei, da hat Emily abgegeben. Wir hatten drei Tage Proben in Berlin nur für die intimen Szenen, da waren wir angezogen, das war alles durchkoordiniert, bis zu jeder einzelnen Berührung. Wir haben auch über Dinge geredet, die wir nicht wollten, und einen Weg gesucht, diese Sexualität realistisch zu zeigen. Letztendlich ging es auch darum, eine Selbstverständlichkeit für seinen Körper und der Nacktheit zu entwickeln, sodass es beim Dreh einen ganz normalen Umgang damit gab.

tipBerlin Sexualität im Kino ist nach wie vor eine Herausforderung, ein heikles Thema.

„Mach mit mir, was du willst, sagt Maria einmal“

Marlene Burow Im Film erzählt sich auch die Beziehung über die Sexualität. Mach mit mir, was du willst, sagt Maria einmal. Die beiden Figuren haben eine Abmachung miteinander, die sie nicht aussprechen, und sie wissen auch: Die Konsequenzen sind der Preis, den man zahlt. Im Film gibt es kein Schwarz und Weiß. Marias Körper reagiert zuerst, dann erst kommt ihr Geist hinterher. Aus dem Begehren entsteht Liebe. Die Proben haben eine große Freiheit ermöglicht. Denn sonst ist es so, dass man emotional in die Szene geht, und dann ist man angespannt. Wir haben das umgedreht, wir haben total mechanisch geprobt, und auch sehr unerotisch. Als wir gedreht haben, waren wir so angstfrei, dass dann wieder Emotionen dazukommen konnten. Ich kann mich da glücklich schätzen, ich würde das nie wieder anders machen.

tipBerlin Wie war der Umgang mit dem Team am Set? Es war ja erst Ihr zweiter großer Film.

Marlene Burow in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, ihrer zweiten großen Kinorolle. Foto: Pandora Film/Row Pictures

Marlene Burow Ich wurde ganz selbstverständlich als gleichwertige Kollegin behandelt. Wir haben auf einer Augenhöhe gearbeitet, dabei war ich ja die junge Schauspielerin angesichts dieser ganzen Koryphäen. Ich habe Felix sehr bewundert in seiner Arbeit, wir konnten uns in den Szenen aber wirklich aufeinander einlassen. Er hat zwar mehr Erfahrung, aber es ist ja jedes Mal eine neue Herausforderung.

tipBerlin Nun sind Sie auf der großen Leinwand auf eine sehr verletzliche Weise zu sehen. Belastet Sie dieser Gedanke manchmal beim Drehen? Oder regt Sie das sogar eher an?

„Es ist keine gute Idee, schön gefunden werden zu wollen“

Marlene Burow Ich denk da gar nicht dran, wie ich wirken könnte, wenn ich arbeite. Während eines Drehs weiß noch niemand von diesem Film. Natürlich wollen wir als Schauspielerinnen und Schauspieler gesehen werden und den Zuschauer auf eine Art und Weise verführen, aber ich glaube, es ist keine gute Idee, für das Publikum spielen zu wollen oder schön gefunden werden zu wollen. Als ich im Kino saß, wurde mir vieles erst bewusst. Davor war ich in der Rolle aufgegangen. Ich sehe da gar nicht so richtig mich. Ich kann das gut trennen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt dem strengen Blick des Zuschauers auf mich persönlich ausgesetzt bin.

tipBerlin Die Geschichte spielt in Ostdeutschland. Emily Atef schwärmt sehr von der Landschaft im Film.

Marlene Burow Ich hatte Verwandtschaft in Thüringen. Da war wirklich nichts los, also Agrarlandschaft und Wüste. Bei den Dreharbeiten im Voigtland aber hatten wir so einen tollen Sommer, fern vom Trubel. Diese Naturgewalten zu erleben, das erdet einen, auch in der Geschichte liegt die Natur über dieser Liebe als etwas Beständiges.

tipBerlin Die Ost-Thematik ist Ihnen auch persönlich nicht fremd.

„Oft ist es ja so: Der Ostler im Westen fühlt sich nicht zugehörig“

Marlene Burow Meine Eltern kamen auch aus dem Osten. Ich hatte nicht nur den Blick der Geschichtsbücher, ich weiß von ihnen, wie individuell alle Erfahrungen von damals sind. Ich finde es schön, dass die Geschichte im Osten, auf dem Land spielt, 1990, ein paar Monate nach der Wende. Das Echo kommt da viel später erst an. Oft ist es ja so: Der Ostler im Westen fühlt sich nicht zugehörig. Das zeigen wir zwar auch, aber als die Familie das Lied von den Moorsoldaten singt, merkt eine Frau, die aus dem Westen kommt, eine Besucherin, dass da etwas ist, was sie nicht nachempfinden kann, was sie nicht erlebt hat. Vieles ist in der DDR schiefgelaufen, aber in so einer kleinen Szene kann man ein Gemeinschaftsgefühl erkennen, das es auch gegeben hat.

tipBerlin Sie haben davor in Aelrun Goettes „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ gespielt. Wie haben Sie das im Vergleich erlebt?

Marlene Burow Bei Aelrun Goette war das zum großen Teil ihre Geschichte, das hat man auch gespürt, da lag die Gewichtung ihrer persönlichen Geschichte drüber. Hier ist es Danielas Buch, sie hat mit am Drehbuch geschrieben und dann abgegeben. Dadurch hatten Emily und ich die Freiheit, eine neue Maria zu schaffen. Die Filme von Aelrun und von Emily sind unterschiedliche Genres, beide haben eine Kraft, beide haben aber unterschiedliche Blicke. Emily ist sehr nah, sie ist immer sehr intim, hat einen Blick für die stillen menschlichen Momente, sie hat Szenen, die dauern beim Drehen zwölf Minuten. Oft geht im Kino alles sehr schnell. Diese Ruhe auszuhalten war sehr schön.

tipBerlin Wie sind Sie Schauspielerin geworden?

Marlene Burow Es hat vor allem viel Zeit gebraucht, diesen Beruf zu entdecken. Zuerst war die Spiellust, wie bei vielen Kindern. Meine Eltern arbeiten nicht im künstlerischen Bereich. Mit 15 erfuhr ich von einem Casting, da habe ich zum ersten Mal reflektiert. Ich habe mich mit 17 bei meiner Agentur beworben und hatte Glück. Mit 18 habe ich das erste Mal einen Film fürs Fernsehen gedreht. Ich hatte immer so ein Selbstvertrauen, einen Drive, der wusste, das stimmt, das fühlt sich richtig an. Meine Eltern haben mich sehr behütet, sie gaben mir das Gefühl: Klar, mach das, aber mach es richtig. Sie haben mich sehr unterstützt. Dann kam bald schon von Aelrun Goette die Anfrage. Gefühlt ist es sehr schnell gegangen.

tipBerlin Hat Kino in Ihrer Familie eine Rolle gespielt?

Marlene Burow Mein Vater hatte immer eine Vorliebe für gute Filme, für Filmkunst vielleicht auch. Sehr früh habe ich „Modern Times“ von Charlie Chaplin gesehen, da hat mich das Kino auch schon berührt. Mit der Arbeit hat sich nun ein Bewusstsein entwickelt, was Schauspiel noch alles sein kann.

tipBerlin Gab es ein bestimmtes Kino in Ihrer Berliner Jugend?

Marlene Burow Ein ganz kleines Kino, das Casablanca in Adlershof, ein einziger Saal, da sind wir immer wieder hingegangen. Und das International ist natürlich ein Klassiker. Ich mag es, wenn es richtig schön ist und wenn man den Film feiert.

tipBerlin Nun studieren Sie Schauspiel in Leipzig. Was wollen Sie lernen?

Marlene Burow Meine Schauspielschule bezieht sich vor allem auf Theater. Natürlich sieht es derzeit sehr stark nach Film aus in meiner Karriere. Ich merke, dass ich im Film momentan noch mehr zu Hause bin. Bisher musste ich immer funktionieren, an der Schule habe ich nun zum ersten Mal die Möglichkeit, mich anders auszuprobieren. Aus einem Rollenbild rauskommen und sich eine Bandbreite zu schaffen. Unser Körper ist unser Instrument, das wird da ausgebildet. Das ist die Grundlage für die nächsten vierzig Jahre, hoffentlich. Mal gucken. Man weiß es immer nicht.


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