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BVG spielt Klassik in U-Bahnhöfen: Diese Songs passen besser

Die BVG testet momentan an vier U-Bahnhöfen in Berlin musikalische Untermalung mit Klassik und Lounge-Klängen. Ob das Warten durch sanfte Melodien von Mozart, Vivaldi und anderen Auf-Nummer-Sicher-Komponisten dadurch wirklich angenehmer wird, ist zu bezweifeln. Wie passen Drogen auf Bahnsteigen, Obdachlosigkeit, pöbelnde Partygruppen und „Eine kleine Nachtmusik“ zusammen? Außerdem verfügt die Stadt doch über genug U-Bahn-Hymnen, die viel besser passen. Von Karate Andi bis Juliane Werding: Hier sind 12 Songs für 12 Stationen. Klassik in Berliner U-Bahnhöfen? Wenn schon, dann richtig, findet unser Autor.


Klassik in Berliner U-Bahnhöfen: Peter Fox – „Schwarz zu Blau“ am U Kottbusser Tor

All, die in den Nullerjahren in Berlin zur Schule gegangen ist, kennen das Berlin-Epos „Stadtaffe“ von Peter Fox auswendig. Besonders die Anti-Hymne „Schwarz zu Blau“ trifft hassliebend den Nagel auf den Kopf. Der Seeed-Frontmann beschreibt einen Katermorgen nach einer durchzechten Nacht in Kreuzberg: Schonungslos und ungehemmt wie das Kottbusser Tor. „Stapf‘ durch die Kotze am Kotti, Junks sind benebelt
Atzen rotzen in die Gegend, benehmen sich daneben“. Leider wahr. Gleichzeitig nerven „Szene-Schnösel“, softe „Hooligans“ weinen und „die süße Backwarenverkäuferin“ rettet den Tag. Wenn am Ende die Sonne aufgeht, kommt die Erkenntnis: „Und ich weiß, ob ich will oder nicht, dass ich dich zum Atmen brauch“. Der erwähnte Laden Bagdads Backwaren ist allerdings am Schlesi.


Warschauer Straße: Lützenkirchen – „Drei Tage wach“

Am U-Bahnhof Warschauer Straße treffen Start-Up-Heinis auf Sonntags-Druffis. Von hier gehts ins Großraumbüro am Mercedes-Benz-Platz oder doch lieber ins Berghain, in dem ihr diese Dinge übrigens nicht machen solltet. Fans von Hugh-Grant-Liebeskomödien kommen an der Warschauer genauso auf ihre Kosten wie Zombie-Nerds. Bei Partygängern die schon „Drei Tage Wach“ sind, denkt man schnell mal an den gleichnamigen Song von Lützenkirchen. „Verpeilt und verschallert, alle verballert“. Irgendwie schön zu wissen, dass irgendwer immer feiert in Berlin.


Element of Crime – „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“ am Kurfürstendamm

Gediegener, aber auch nicht unbedingt angenehmer gehts am Ku’damm zu. Bei all den pseudoschicken Leuten bei Starbucks und grölenden Teenies auf E-Scootern kann man schon manchmal verstehen, warum Sven Regener lieber nach dem „Ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“ über die Flaniermeile spazieren würde. Eine „Gratis-Zigarre auf dem Heimweg“ schmeckt an solch einem Tag bestimmt besonders gut.


Schlesisches Tor: Ton, Steine, Scherben – „Rauch-Haus-Song“

Wann wird endlich der Heinrichplatz nach Rio Reiser benannt? Der Ton-Steine-Scherben Sänger und „König von Deutschland“ hat sich das wirklich verdient – und wer ist überhaupt Heinrich? In Kreuzberg könnte eigentlich jede Straße den Namen des legendären Musikers tragen. Beim Warten am Schlesischen Tor den „Rauch-Haus-Song“ hören, fühlt sich auf jeden Fall richtig an. Am besten geht man gleich noch auf die Suche nach Spuren der Ton Steine Scherben.


Shacke One – „Wat is schon dran an son Tach?“ am U Pankow

Shacke One kommt aus Pankow und zelebriert mit seinem Label Nordachse Cash Group stolz den Norden von Berlin. Sein 80s-Funk-Battle-Rap lässt Kindercafé-Eltern aufschrecken und liefert den Soundtrack für schummrige Kneipen, Schnaps im Park und Pöbelei in der U2. „Paar Mollen eingepackt“ und schon kann es losgehen: „Mit Vollkaracho über Pankow zum Nachtclub“, denn „Wat is schon dran an son Tach?“


Friedrichstraße: Reinhard Mey – „Friedrichstraße“

Reinhard Mey spaziert die Friedrichstraße entlang und denkt über all die Friedriche nach, nach denen der Prachtboulevard benannt sein könnte. Vielleicht nach dem Soldatenkönig? „Ein geiz’ger Militärkopp, bekannt für seine Kunst des Schröpfens“, lieber nicht. Oder nach seinem Sohn, dem Großen? Ne, der hatte „nichts im Kopf außer seinen Hunden und seinem Militär“, findet der Liedermacher. Wie wärs mit Kaiser Wilhelm? „Ein übler Judenhasser, der die Rüstungstrommel rührte, und Deutschland mit Hurrah in den ersten Weltkrieg führte“ – um Gottes Willen. Reinhard Mey verzichtet gerne auf eine Straße mit seinem Namen. Vielleicht freut er sich aber, wenn seine Abrechnung mit Friedrichen beim Warten auf die U6 erklingt.


Haselhorst: BHZ – „Halb Vier Interlude“

Die Jungs von BHZ gehören momentan zu den spannendsten Berliner Hip-Hop-Acts. In ihren Songs feiert die Gruppe meist ihren Heimatbezirk Schöneberg, im „Halb Vier Interlude“ verschlägt es die Rap-Crew aber mit der U7 nach Spandau. Im Partyrausch wird auch die Fahrt in den Randbezirk zum Vergnügen. Im Sommer 2021 fanden in Haselhorst sogar Raves statt, es ist also kein Zufall, dass das wohl groovigste Interlude des Jahres mit der U-Bahnmelodie und den Worten der Roboterstimme ausklingt: „Dudumm, Haselhorst…“


Juliane Werding – „Am Tag als Conny Kramer starb“ am U Schönleinstraße

Der U-Bahnhof Schönleinstraße gilt als Drogen-Hotspot. Hier lässt sich Heroin- und Crackkonsum teilweise nur schwer ignorieren, wenn sich Menschen auf dem Bahnsteig einen Schuss setzen oder Pfeife rauchen. Harte Schicksale bündeln sich hier im Untergrund, während oberhalb an der Grenze von Neukölln und Kreuzberg die Gentrifizierung voranschreitet. Heitere Klassik an diesem Ort zu spielen wirkt nicht weniger zynisch als Juliane Werdings Klagelied über den Drogentoten Conny Kramer.


Oranienburger Tor: Juju – „Winter in Berlin“

Bei der Berliner Rapperin Juju klingt Berlin wie San Andreas aus GTA. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Allerdings treffen es ihre Beschreibungen von Berliner Orten schon ganz gut: „Am Görli kannst du Gras kaufen“, klar; „U7 kannst du Crack kaufen“, ah, in diese Richtung geht es also; „U8 Heroin, Probleme einfach wegsaufen“, schon sind wir wieder an der Schönleinstraße“; und ein weiterer Klassiker: „Oranienburger Straße dein Geld gegen Sex tauschen“. Die Frage ist echt, ob man bei all den Horrorstorys noch Lust drauf hat. Den Song am U-Bahnhof zu spielen, wäre zumindest ehrlich.


Olympia-Stadion: Frank Zander – „Nur nach Hause“

Ach, nach der hundertsten Niederlage der alten Dame spendet immerhin Frank Zanders Hertha-Hymne „Nur nach Hause“ Trost. Lieber noch ein bisschen durch die Straßen ziehen, in der Wohnung lauert ja doch meistens nur das Urteil der Sportschau. Da trinkt man lieber noch ein Bier in einer Charlottenburger Jahrhundertkneipe und freut sich dann trotz allem auf den nächsten Spieltag.


Karate Andi – „Big Trouble At Little Hermannplatz“ am Hermannplatz

Wer kennt nicht den Adrenalinkick, wenn die Kontrolleure plötzlich in die U-Bahn steigen und man lieber schnell die Fliege macht. Karate Andi offenbart in „Big Trouble At Little Hermannplatz“ seine Schwarzfahrer-Professionalität. Das geht aber nicht immer gut: „Die BVG schreibt mir so oft, wir könnten Brieffreunde sein“. Die BVG gibt sich ja gerne selbstironisch. Warum dann nicht einfach Karate Andi am Hermannplatz pumpen? Der Rapper wird aber wahrscheinlich nicht mal dann Fan: „Über die BVG kann man sich nur aufregen, selbst wenn ich das Geld hätte, würde ich’s für sie nicht ausgeben“.


Potsdamer Platz: David Bowie – „Heroes“

Während David Bowie in den Hansa Studios an seiner Berlin Trilogie arbeitete, blickte der Jahrhundertmusiker auf die Mauer-Tristesse des Potsdamer Platzes. Die Eindrücke sind in „Heroes“ verewigt. „And the guns, shot above our heads (over our heads),and we kissed, as though nothing could fall“. Heute sieht der Potsdamer Platz zwar ganz anders aus, Bowies Worte hallen jedoch „für immer und immer“ vom Himmel – sogar über dem Sony Center.


Und Pankow? Natürlich Udos Sonderzug

Marketing ist alles: Im Jahr 2015 spielte Udo Lindenberg ein Unplugged-Konzert in einer U-Bahn. Wohin die fuhr? Überraschung! Nach Pankow. Foto: Imago/Future Image

Gut, kreativ muss man nicht sein, um ein Wartelied für die Station Pankow zu finden. Udo Lindenbergs Sonderzug eben dorthin gehört zu den bekannteren Berlin-Songs. Wobei, eigentlich ergibt es in Pankow gar keinen Sinn mehr, noch in den Sonderzug mit diesem Ziel zu steigen. Vielleicht einfach alle anderen Stationen der U2 damit bespielen? Kann man machen. Muss man aber auch nicht.


Mehr zum Thema

Unsere Kollegin Eva Apraku hat in einem Kommentar erklärt, warum sich die BVG statt auf Musik lieber auf andere Dinge konzentrieren sollte. Auch wenn viel schief läuft, gibt es immerhin diese 12 Berliner U-Bahnhöfe, die besonders schön sind. Im Internet wird ja alles bewertet – auch Berliner Bahnhöfe und Stationen. Nicht immer schneiden sie gut ab. „Postapokalytisch“: Berliner Bahnhöfe und ihre Google-Bewertungen. Mehr Nahverkehrs-Themen haben wir hier für euch.

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