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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Würzburg nach Berlin: Idylle ist ja auch kein Zustand

Würzburg ist eine Uni-Stadt, wie sie im Buche steht. Einer dieser Orte, an dem Generationen von Student:innen Semester um Semester Geschichten schreiben, die sie noch ihren Enkelkindern erzählen werden – ein wenig idealisiert vielleicht. Auch unsere Autorin erwischt sich selbst dabei, obwohl sie schon 2019 aus Franken in die Hauptstadt gekommen ist. Und trotzdem möchte sie nach ihrem Umzug von Würzburg nach Berlin nicht mehr weg von hier.

Spätsommer am Landwehrkanal. Für unsere Autorin der beste Beweis für Berlins schöne Seite. Foto: Imago/Jürgen Held

Studentenleben in Würzburg: Klingt nach Klischee, ist aber keins

Knapp 130.000 Seelen zählt Würzburg, mehr als jede:r vierte davon ist an der Uni eingeschrieben. Man kennt sich. Alle Bars, die Rang und Namen haben, säumen eine einzige Straße, wo auch unter der Woche bis spät in die Nacht laute Gespräche über das Kopfsteinpflaster hallen. Dort, wo wir im Sommer auf den ausrangierten Straßenbahnschienen saßen und mitlitten, während Deutschland bei der EM scheiterte.

Nicht zu vergessen auch der obligatorische Imbissladen, der sich unser ewiges Andenken allein dadurch verdient hat, dass er uns Mal für Mal vor dem Feiern fettige Pizza-Stücke als zuverlässige Kater-Prophylaxe lieferte. Unsere Antwort auf Döner, Kebap und Lahmacun in Berlin quasi.

Hat hier jemand Idylle gesagt? Am Mainufer soll schon die ein oder andere Vorlesung geschwänzt worden sein. Foto: Imago/Ralph Peters

So sehr ich Berlin für mein jetziges Leben liebe, so wenig kann ich mir vorstellen, in einer so unübersichtlichen Stadt studiert zu haben. Wobei immerhin der Part mit dem Saufen in Berlin natürlich mindestens genauso gut funktioniert. Tatsächlich hätte ich früher im Traum nicht daran gedacht, einmal hier zu leben: Mein Bild dieser Stadt speiste sich aus zweitklassigen Filmen, die ich irgendwann in den 2000er- Jahren auf den Öffentlich-Rechtlichen aufgeschnappt hatte.

Zugegeben: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich mich frei nach Kraftklubs „Ich will nicht nach Berlin“ später hier wiederfand – und mich Business-mäßig noch nicht ganz festgelegt hatte, irgendwas im Creative-Bereich?

Clubkultur von Würzburg bis Berlin: David gegen Goliath

Die Musikszene in Würzburg mit Berlins besten Clubs für Techno und Electro zu vergleichen, käme wohl einem Kampf von David gegen Goliath gleich. Und doch hatte unsere Clubkultur in Würzburg ihren ganz eigenen Charakter.

Da waren die typischen HipHop/R’n’B-Schuppen, besonders berüchtigt für ihre berühmten Erasmus-Partys. Die schicken Läden, in denen das Konzept von Tanzen in Sneakern noch nicht so recht angekommen war, weswegen sie von uns konsequent gemieden wurden. Und tatsächlich auch der eine oder andere Techno-Club, der in Würzburg in die Kategorie „Subkultur“ fiel.

Später sollte ich in Berlin glühender Verfechter des Sisyphos und seiner langen sonntäglichen Sommernachmittage werden. Denn wer ihn sucht, findet ihn jedes Wochenende in den Berliner Clubs: Den Gegenentwurf zu allem, was draußen geschehen mag. Einen Ort, an dem nur das Hier und jetzt eine Rolle spielt, ein Safe Space inmitten der Millionenstadt, wenn man so möchte.

Und all das, im Gegensatz zu vielen anderen Berliner Techno-Clubs, nicht einmal in gedecktem Schwarz, sondern ganz in Bunt, am besten mit Glitzer am gesamten Körper. Wäre eigentlich insgesamt eine gute Lebenseinstellung, oder? Und ganz nebenbei vermutlich auch das beste Rezept gegen den Winter in Berlin.

Raus aus Würzburg – und einmal Berlin auf Probe, bitte

Wie jede Phase hatte auch die in Würzburg ein Ablaufdatum. Während die Straßen in den Semesterferien bis auf einige Senioren und Familien ausgestorben waren, saß ich an einem dieser Sommertage vor dem Laptop in meinem WG-Zimmer und schaute, wohin es mich treiben würde.

Die Bezeichnung „Anfängerglück“ fühlte sich untertrieben an, als ich innerhalb von drei Tagen neben einem Praktikum in einer Berliner Filmproduktion auch ein einigermaßen bezahlbares WG-Zimmer ergatterte. Mit Stuck, eigenem Balkon und, natürlich, 10 Minuten U-Bahn-Fahrt von meiner späteren Arbeitsstelle entfernt. Was kostet die Welt?

Nach einem langen Sommer mit ersten Ausflügen in die Clubs und Clubkultur in Berlin, ging es für mich ein letztes Mal zurück nach Würzburg. Eine Bachelorarbeit wollte geschrieben, die letzten Prüfungen absolviert, letzte Partys mit Freund:innen gefeiert werden.

Warum ich den Umzug von Würzburg nach Berlin nie bereut habe

Ich muss mein Anfängerglück wohl zu schnell verbraucht haben. Jedenfalls folgte auf meinen endgültigen Umzug eine dieser typischen Berliner Miet-Odysseen: mit vier Umzügen in zwei Jahren. Empfehlenswert für alle, die eine annähernde Idee von verschiedenen Kiezen bekommen und auf dem Weg die ein oder andere länger andauernde Freundschaft finden möchten. Insgesamt kann ich mich in dem Punkt aber doch nur zu drei von fünf Sternen durchringen. Dafür ist Umziehen in Berlin zu anstrengend.

Der Umzug nach Pankow war für die Autorin hoffentlich für eine Weile der letzte. Foto: Imago/Zoonar

Auch sonst hat Berlin nicht daran gespart, mich auf die Probe zu stellen, inklusive Corona. „If you can make it in Berlin, you can make it anywhere“ habe ich einmal bei einer Frau auf einem Jutebeutel gelesen. Ein wenig pathetisch vielleicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nirgends so sehr mit sich selbst konfrontiert sein kann wie in einer Millionenstadt. Das muss man wollen.

Angekommen bin jetzt ich, fürs Erste, in Pankow. Wer sich im Bürgerpark Pankow einmal an die eklatant hohe Kinderwagen-Dichte gewöhnt hat, bekommt beim Joggen in der angrenzenden Schönholzer Heide dafür eine zugehörige Portion Waldbaden mit dazu. Auch sonst lässt es sich hier recht ruhig leben – und vor allem schnell nach Prenzlauer Berg, Wedding und Mitte kommen. Mehr los ist dann nur im Frühling, wenn sich rund um die Bornholmer Straße einer der besten Spots für die Kirschblüte in Berlin finden lässt.

Und dennoch: Außerhalb der polierteren Stadtteile gilt „Das muss man wollen“ bei aller Liebe auch für all den Lärm und Dreck und Wahnsinn. Und vielleicht sucht man sich Berlin auch gar nicht aus, sondern umgekehrt. Doch wer hier einmal die richtigen Menschen gefunden hat und seine Prioritäten kennt, den bringt auch der ganz normale Wahnsinn nicht mehr ins Schlingern. Es ist wie so oft im Leben: Wer Sicherheit gegen Freiheit tauscht, wird meistens belohnt. Da kann einem schon mal ein „Berlin, ick liebe dir!“ über die Lippen rutschen.


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Egal woher man kommt – wir finden, dass sich ein Umzug nach Berlin alleine schon wegen des lebendigen Stadtlebens ohnehin immer lohnt. Wer sich erst einmal einen Überblick über die Stadt verschaffen möchte, ist bei den begehbaren Dächer in Berlin sicher an der richtigen Adresse und kann sich noch einmal das jetzige Stadtbild einprägen. Es gibt nämlich einige Bauprojekte, die Berlin verändern werden. Stattdessen lieber ein paar weitere Umzugsstorys gefällig? Unsere Autor:innen erzählen von einem Umzug aus der Schweiz nach Berlin und einem Umzug von London nach Berlin. Gemeinsam haben sie wohl alle die Dinge, an die sich Zugezogene in Berlin gewöhnen müssen.

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