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Corona-Spaziergänge: Mitte – unterwegs durch das verwaiste Zentrum der Stadt

Es sind die kurzen Blicke. Dieses einerseits leicht Verbindliche: „Wir sind hier, beide, zumindest das eint uns.“ Aber auch das Kritische: „Musst du hier sein? Wirklich?“ Begegnungen mit anderen Menschen beim Corona-Spaziergang Mitte. Zwischen Mitgehangen, mitgefangen – und Missgunst.

Es ist mein Morgenspaziergang durch Mitte, vom Rosenthaler Platz zur Friedrichstraße. Eineinhalb Jahre lang war das mein Arbeitsweg, und noch vor Corona habe ich den Orthopäden-Termin vereinbart, zu dem mich mein Weg heute führt.

Corona-Spaziergang Mitte: Die Friedrichstraße ist in großen Teilen verwaist,
Corona-Spaziergang Mitte: Die Friedrichstraße ist in großen Teilen verwaist. Foto: Sebastian Scherer

An jeder Ampel und an jeder Kreuzung sind auch an diesem Morgen Menschen. Allerdings: Viel, viel weniger als sonst. Nicht einmal ein Bruchteil. Und doch, oder gerade deshalb, reagiert fast jeder mit einem Blick. Zumindest die, die fern sind, auf der anderen Straßenseite. Jene, die mir direkt entgegenlaufen, drehen wie ich den Kopf weg. Man will sich nicht aus der Nähe betrachten. Nachher hustet noch einer.

Netter Gruß vom geschlossenen Floristen. Bleiben Sie gesund. Foto: Sebastian Scherer

Das ist ein Detail, aber es dominiert, das bewusste Wegschauen. Vor allem aber beeindruckt die Leere.

Corona-Spaziergang Mitte: Keine Druffis aus dem Club, keine übereifrigen Eltern

Denn je weiter ich fahre, umso mehr bemerke ich, wie viel weniger Menschen es sind, hier draußen. Vor den Cafés und Bäckereien rückt keiner die Stühle zurecht. An der Linienstraße stehen keine Eltern mit Stopp-Kelle im Verkehrsdienst, die sichergehen wollen, dass die Grundschüler heil zur Schule kommen – und mich, wenn ich mit dem Rad unterwegs war, manchmal im Übereifer fast zu Fall brachten, weil sie der Meinung waren, auch auf regennasser Fahrbahn könnten sie unvermittelt vor mich springen, nur weil 300 Meter entfernt ein Kind auftauchte, das noch mindestens 20 Sekunden bis zur Straße gebraucht hätte. Es gibt derzeit keine Schulkinder im Stadtbild.

Auch keine Club-Leichen, die manchmal an Montagen umherirrten, noch druff, noch drüber, noch was-auch-immer. Und keine Grüppchen von Touristen, die von der Ebertbrücke die aufgehende Sonne hinter dem Bode-Museum fotografierten.

Apotheke an der Brunnenstraße: Bitte nur drei Personen gleichzeitig. Foto: Sebastian Scherer

Dafür hängt an fast jeder Geschäftstür ein Zettel. „Geschlossen“ in den verschiedensten Ausführungen. Vor allem an der Friedrichstraße, sonst auch vor acht schon gut gefüllt mit Geschäftsleuten und mit allerlei anderen Menschen, ist es recht still. Wobei. Müllautos kreuzen meinen Weg, Polizeiautos, (halbleere) Straßenbahnen. Auf der Kreuzung Unter den Linden und Friedrichstraße halte ich kurz inne. Nein, ruhig ist Berlin noch lange nicht, eigentlich machen die Baustelle da drüben und der Transporter-Fahrer dort und der eine Mann, der etwas von Corona und Krieg brüllt, ganz schön viel Krach.

Corona-Spaziergang in Mitte: Checkpoint Charlie mal ohne Touristen.
Corona-Spaziergang in Mitte: Checkpoint Charlie mal ohne Touristen. Foto: Sebastian Scherer

Kein Grundrauschen, keine Kollegen beim Corona-Spaziergang Mitte

Aber es fehlt das geschäftige Grundrauschen. Vor den Hotels keine Taxen, weniger Lieferverkehr. Es wird auch psychologisch sein: Dort, wo sonst die meisten Menschen zusammenkommen, blicke ich plötzlich in leere Straßenfluchten. Es ist skurril.

Gravis hat ein Schild aufgestellt, man nehme Reparaturen an, allerdings müsse man auf Einlass warten und nicht einfach in den Laden stürmen. Vor meinem alten Büro vergesse ich kurz, dass dies hier derzeit ein anderes Berlin ist, als das als ich hier noch arbeitete und meinen Arzttermin machte.

Ich will klingeln bei meinen alten Kollegen, schauen, wer den Frühdienst hat, vielleicht Christine, vielleicht Monika. Hallo sagen. Es ist ein kurzer Anfall, ein frommer Wunsch in Zeiten der Corona. Auch sie sind im Home Office. Und wären sie es nicht, sollte ich trotzdem nicht rein. Unnötige soziale Kontakte meiden. Ich gehe weiter durch die leere Mitte.

Im McDonalds am Checkpoint Charlie herrscht gähnende Leere, wo sich sonst auch morgens schon Reisende ein schnelles Frühstück eintüten. Dann erreiche ich die Praxis. Ein langer Weg durch die Kälte, im Sprechzimmer halte ich Sicherheitsabstand.

Auf Distanz in der Arztpraxis: Wartezimmer in Zeiten des Corona.-Virus.
Auf Distanz in der Arztpraxis: Wartezimmer in Zeiten des Corona.-Virus. Foto: Sebastian Scherer

Und erfahre, dass dieser Morgen vor allem eine Erfahrung war. Mein Arzt ist krank. Wohl kein Corona. Ich soll nachmittags zu einem Kollegen wiederkommen. Die Rückkehr in ein ruhiges Berlin. Es wird ein weiterer ruhiger Ausflug.


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Hier geht es zum ersten Corona-Spaziergang quer durch Friedrichshain und zum zweiten durch Kreuzberg.


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