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Frauen in der Berliner Foodszene: Zwischen Leidenschaft und Vereinbarkeit

Ein Thema, das spätestens zum Weltfrauentag immer wieder aufkommt: Die Gastronomie ist noch immer eine allzu männlich dominierte Szene. Geschlechtsbezogene Vorurteile und systematische Hindernisse wie die (Un-)Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen oft dazu, dass Frauen früher oder später aus der Branche ausscheiden; meistens, bevor sie Führungspositionen überhaupt erreichen können. Wer sich als Frau dennoch durchsetzen will, muss sich umso härter beweisen. In vielen Küchen herrscht noch immer ein harscher Ton, Ellbogen und Ego gehen über Kollegialität und Gemeinschaft.

Gastronomie im ehemaligen Frauengefängnis: Sophia Rudolph serviert im Lovis Contemporary German Cuisine mit französischen Einflüssen. Foto: Promo
Gastronomie im ehemaligen Frauengefängnis: Sophia Rudolph serviert im Lovis Contemporary German Cuisine mit französischen Einflüssen. Foto: Chris Abatzi

„In der Gastronomie gibt es zahlreiche Frauen in Führungspositionen, die jedoch oft nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen“, sagt Marie-Anne Wild

Doch es geht auch anders. Wir haben mit sechs Frauen aus der Berliner Foodszene gesprochen und sie gefragt, was es braucht, um in der Branche erfolgreich zu sein, welche strukturellen Hindernisse es noch immer gibt und was sie weiblichem Nachwuchs mit auf den Weg geben.

Marie-Anne Wild ist Co-Inhaberin und Geschäftsführerin des Restaurant Tim Raue und setzt sich mit ihrem Podcast „Auf ein Glas Champagner mit Marie-Anne“ für die Sichtbarkeit von Frauen in der Gastronomie ein. Alexandra Dauch-Visentin ist Weinhändlerin bei Passion Vin in Kreuzberg, Sara Hallmann wurde im Juni 2023 im Gault Millau als Gastronomin des Jahres ausgezeichnet; ihre Küche und ihr Team im Neuköllner Hallmann & Klee erhielten drei Hauben im Gault & Millau. Jeannine Frank ist Geschäftsführerin im Restaurant Horváth, Sophia Rudolph serviert im Lovis Contemporary German Cuisine mit französischen Einflüssen in einem ehemaligen Frauengefängnis. Zita Sándor war bis Februar 2024 Chef de Cuisine im Kopps, der ersten veganen Fine-Dining-Adresse Berlins. Nach der Schließung des Restaurants plant sie aktuell ein eigenes Lokal mit gehobener veganer Küche. Nancy Großmann gestaltet die Weinkarte im Rutz und wurde 2023 vom Weinguide Deutschland als Sommelière des Jahres ausgezeichnet.

Marie-Anne Wild, Geschäftsführerin des Restaurant Tim Raue, setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen in der Gastronomie ein. In ihrem Podcast "Auf ein Glas Champagner mit Marie-Anne" gibt sie den führenden Frauen der Gastronomie im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme. Foto: Nils Hasenau
Marie-Anne Wild, Geschäftsführerin des Restaurant Tim Raue, setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen in der Gastronomie ein. In ihrem Podcast „Auf ein Glas Champagner mit Marie-Anne“ gibt sie den führenden Frauen der Gastronomie im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme. Foto: Nils Hasenau

Warum sind immer noch so wenige Frauen innerhalb der Branche in Führungspositionen zu finden?

Marie-Anne Wild: In der Gastronomie gibt es zahlreiche Frauen in Führungspositionen, die jedoch oft nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen. In meinem Podcast stelle ich immer wieder Frauen vor, die in verschiedenen Bereichen der Branche führende Positionen innehaben. Viele von ihnen berichten jedoch, dass sie im Alltag immer noch nach dem (männlichen) Chef gefragt werden, was zeigt, dass die Wahrnehmung und Anerkennung für weibliche Führungskräfte weiterhin gestärkt werden muss.

Alexandra Dauch-Visentin: Für Frauen im Weinverkauf: Sehr gute Wein-Kenntnisse, ausgezeichnete sensorische Fähigkeiten (Wein blind erkennen) und Selbstsicherheit. Das Etikett „weiblich“ in Weinbeschreibungen und generell in der Weinwelt sollte verschwinden! 

Zita Sándor: Es gibt immer noch zu wenige Frauen in diesem Bereich, der immer noch als männlich gilt. Es gibt systematische Hindernisse wie Geschlechtsvorurteile und eine „männliche Umgebung“, die sich manchmal entwickeln kann, die Vereinbarkeit von Kindererziehung führt oft dazu, dass Frauen früher oder später aus dem Team oder der Branche ausscheiden. Viele scheiden aus, bevor sie Führungspositionen erreichen können.

Sara Hallmann: Es ist wichtig, sich selbst treu zu bleiben. Nur so kann man auch andere von sich und seiner Vision überzeugen.

Jeannine Frank: Die Arbeit in der Gastronomie kann sehr herausfordernd sein, aber Frauen bringen eine einzigartige Mischung aus Stärke, Empathievermögen und Kreativität mit, die sie zu unverzichtbaren Akteurinnen in der Hospitality machen. Es ist an der Zeit, diese Vielfalt anzuerkennen und zu fördern! 

Nancy Großmann gestaltet die Weinkarte im Rutz. Die 38-jährige in Steglitz aufgewachsene Weinexpertin führte es als eine der ersten Frauen an die Deutsche Weinschule Berlin. 

Welche Eigenschaften muss man als Frau mitbringen, um sich in der Branche durchzusetzen – und welche Strukturen müssen sich ändern? 

Alexandra Dauch-Visentin: Viele Weinanbaugebiete und Weine aus aller Welt kennenlernen, reichlich Erfahrungen und Weinproben sammeln, um selbstbewusst zu sein, neugierig bleiben und dann eine Spezialität entwickeln (zum Beispiel deutsche Weine, französische Weine oder Naturweine). Authentisch sein, eine leidenschaftliche Verbindung zum Wein bewahren und dabei stets bescheiden bleiben. Und niemals Moden oder Trends folgen.

Zita Sándor: Thick skin! Durchhaltevermögen, Leidenschaft, Demut, gute körperliche Fitness und mentale Stabilität – die Kombination dieser Eigenschaften ist entscheidend für den Erfolg.

Marie-Anne Wild: Passion, Willenskraft und starke Nerven. Außerdem braucht man ein gewisses Organisationstalent, um Familie und Karriere in der Gastronomie dauerhaft zu vereinen. Strukturell muss sich der Staat mehr einbringen und sollte flexiblere und längere Kita-Zeiten anbieten, um Schichtdienste für Eltern – nicht nur in der Gastronomie – zu ermöglichen.

Jeannine Frank: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt hierbei die größte Herausforderung für viele dar. An dieser Problematik kämpft sich unser Berufszweig schon viele Jahre ab und verliert dadurch zahlreiche weibliche Talente. Die Kombination aus flexibleren Betriebsstrukturen, gleichberechtigter Care-Arbeit und einer gezielten Unterstützung von Frauen in den Unternehmen könnte dazu beitragen, diese Situation zu verbessern.

Nancy Großmann: In Zukunft wird es wichtig sein, dass unsere Branche es schafft, das Besondere an unserem Beruf zu transportieren und damit meine ich nicht schlechte Arbeitszeiten. Das Handwerk, die Empathie und das Fingerspitzengefühl, Menschen einen unvergesslichen Abend zu bereiten – was viel mehr ist als ein Aushilfsjob, sondern ein vielseitiger, spannender Ausbildungsberuf.

Das Team im Kopps kurz vor der Schließung Ende Februar. Küchenchefin Zita Sándor plant gemeinsam mit Barchef Jannick Stillger (links) und Restaurantleiter Christian Liesendahl ein neues Restaurant. Foto: Marit Blossey

Welchen Rat geben Sie weiblichem Branchen-Nachwuchs?

Marie-Anne Wild: Sich vernetzen und verbinden hilft enorm, sowie aktiv nach Mentorinnen oder zumindest nach Austausch zu suchen. Und natürlich die kulinarische Leidenschaft pflegen und dieser nachgehen. Ich reise unglaublich viel und erkunde nicht nur Essenskulturen auf der ganzen Welt, sondern trete damit auch weltweit mit Kolleg:innen in Kontakt. Dadurch schöpfe ich sowohl persönlich als auch beruflich eine Menge Inspiration und Energie!

Sara Hallmann: Authentisch, ehrlich, emotional bleiben. Genau das fehlt der Branche.

Zita Sándor: Bleib auf dem Laufenden mit den Trends, wohin die Gastronomie sich entwickelt, und was Zukunftspotenzial hat. Lerne so viele Küchen wie möglich kennen. Suche nach einem professionellen Mentor und baue deine Netzwerke auf. Bevor du dich festlegst, absolviere mehrere Probearbeitstage, um einen besseren Einblick zu erhalten, wo und was du möchtest. Nutze jede Gelegenheit, auch wenn es nicht sofort klar ist, welchen Nutzen du daraus ziehst. Hör nach dem Abschluss der Schule nicht auf zu lernen.

Jeannine Frank: Die Gastronomie braucht mehr Frauen! Wir brauchen eure Einzigartigkeit! Habt Vertrauen in eure Fähigkeiten und fordert euer Umfeld stets dazu auf dies anzuerkennen, zu fördern und entsprechend zu honorieren. Seid mutig und innovativ. Engagiert euch in euren Betrieben unermüdlich für Themen wie Gender-Pay-Gap, Diversitäts-Management und einen respektvollen Umgang, um einen Wandel herbeizuführen. Vor allem aber: Lasst euch nicht entmutigen, denn ihr habt einen verdienten und wichtigen Platz in der Gastronomie.

Sophie Rudolph: Egal, ob Frau oder Mann, um in der Branche zu bestehen, braucht man Durchsetzungskraft, Ehrgeiz und einen Hang zum Perfektionismus. Man sollte sich gut überlegen, ob man diese Branche wählen möchte und sich über die Konsequenzen bewusst sein. Man muss große Leidenschaft mitbringen, um in dem Beruf zu bestehen.


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