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„Asteroid City“: Wes Anderson im Herz amerikanischer Träume

„Asteroid City“, so heißt der neue Film von Wes Anderson. Schauplatz ist die gleichnamige fiktionale Stadt in den USA, auf dem eigens für den Film gebauten Set entspinnt sich eine fantastische Sci-Fi-Geschichte über amerikanische Träume – mit Staraufgebot: unter anderem sind Jason Schwartzman, Scarlett Johansson und Tom Hanks dabei. Warum tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl für „Asteroid City“ fünf Sterne vergibt, lest ihr in seiner Filmbesprechung.

„Asteroid City“ von Wes Anderson. Foto: Courtesy of Pop. 87 Productions/Focus Features

Wes Andersons „Asteroid City“ ist ein großer, klarer Film über Amerika

Über Wes Anderson heißt es manchmal, dass die Welt für ihn eine große Bastelstube ist. Er hält sich auch wirklich wenig mit Außenaufnahmen auf, die Schönheiten der Natur nimmt er am liebsten aus zweiter Hand, früher hätte man gesagt: er bevorzugt das Kunstschöne. Und wenn man einmal mit dem Basteln begonnen hat, ist es nicht ganz leicht, damit wieder aufzuhören. So sind seine Filme zuletzt zunehmend labyrinthisch geworden. „The French Dispatch“ (2021) war eine gefinkelte Anordnung von ineinander geschobenen Matrjoschka-Puppen, mit denen er auch seine Liebe zu Frankreich feierte.

Sein neuer Film „Asteroid City“ treibt seine obsessiven Verschachtelungen nun zu neuen Exzessen – und ist doch ein Befreiungsschlag: ein großer, klarer Film über Amerika und den einen Moment, in dem vielleicht unsere Gegenwart begann.

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Scarlett Johansson spielt in „Asteroid City“ die melancholische Mutter von „brainiac“-Kindern. Credit: Courtesy of Pop. 87 Productions/Focus Features

Es ist auch der Moment, in dem die Menschheit Besuch von einem Wesen aus dem All bekam. Bekanntlich geschah das um 1950 in den Vereinigten Staaten, allerdings wissen das nur die Eingeweihten, die an Verschwörungen glauben. In „Asteroid City“ kommen im Jahr 1950 in einem abgelegenen Flecken in der Wüste ein paar Kinder zusammen, die halb anerkennend, halb geringschätzig als „brainiacs“ bezeichnet werden. Superkluge Kids eben, die sich lieber mit Formeln als mit Comics beschäftigen, oder am besten mit beidem. Im Schlepptau haben diese Kinder melancholische Eltern, wunderbar gespielt vor allem von Jason Schwartzman und Scarlett Johansson. Als eines Abends alle ehrfürchtig nach oben blicken, um eine Himmelserscheinung zu würdigen, gibt es eine epochale Überraschung.

Wes Andersons persönliche Relativitätstheorie

Wie immer bei Wes Anderson ist auch „Asteroid City“ eine Starparade, man kann Matt Dillon in einer Nebenrolle sehen wie auch den unvermeidlichen Adrien Brody, und sogar Tom Hanks gesellt sich dieses Mal zur großen Familie des New Yorker Kino-Exzentrikers. Und natürlich geht es im Kern wie immer um dieses Thema: um zerbrochene Familien, und um die Möglichkeit, sich durch Kultivierung eigenwilliger Interessen aus der Melancholie zu befreien.

Das alles bettet Anderson in ein medienarchäologisches Multiversum ein: Broadway-Theater, frühes Fernsehen und großes Studiokino gehen ineinander über. Einmal öffnet Matt Dillon eine Tür und steht in einer ganz anderen Welt Margot Robbie gegenüber – es ist eine der größten Szenen, die Wes Anderson für seine persönliche künstlerische Relativitätstheorie jemals erdacht hat, und man könnte sie beinahe übersehen.

Von links: Jake Ryan, Jason Schwartzman und Tom Hanks in „Asteroid City“. Foto: Courtesy of Pop. 87 Productions/Focus Features

Dass Nerds die Welt retten werden, das ist die politische Hoffnung, auf die Anderson mehr denn je setzt. Normalerweise würde man unterstellen, dass die feingeistigen Wesen, von denen er erzählt, zu zart für die harten Realitäten sind. Dieses Mal aber geht er ins Herz des amerikanischen Traums, an den Ursprung der atomaren Supermacht, an den Moment, in dem sich Folkgejodel so zieht, dass es nur noch in Rock’n’Roll umschlagen kann. Wie jemand vom „Grand Budapest Hotel“ nach „Asteroid City“ gelangen kann, bleibt dabei immer noch ein Rätsel, mit dem wir uns nun aber als Kosmologen des großen Werks herumschlagen dürfen, das aus dem Kopf (und dem Herz) des „brainiac“ Wes Anderson entspringt. Bert Rebhandl

  • Asteroid City USA 2023; 104 Min.; R: Wes Anderson; D: Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks; Kinostart: 15.6.

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