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Zeitreise

„Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“: Darum solltet ihr die Ausstellung sehen

Im Jüdischen Museum Berlin startet am 8. September 2023 die neue Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ . Unser Autor Max Stolz hat sich die Schau angesehen – und mag vor allem die vielen Details, mit denen die Ausstellungsmacher:innen eine Tiefe in die Thematik gebracht haben, ohne dabei die großen Erzählbögen zu vergessen. Sein Urteil: Unbedingt hingehen!

Die neue Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin ist der jüdischen Alltagsgeschichte in der DDR gewidmet. Foto: Imago / epd

Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“: Alltagsgeschichte im Fokus

Klick. Klick. Klick. Dieses Geräusch gibt es heute kaum mehr zu hören. Im Jüdischen Museum Berlin markiert eine Diashow den Auftakt zu einer Zeitreise, auf die die Besucher:innen der neuen Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ eingeladen werden. Auf der Leinwand erscheinen im Sekundentakt Bilder aus der Zeit der deutschen Teilung.

Es sind Familienaufnahmen. Fotos von Menschen, die in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später in der DDR lebten – als Jüdinnen und Juden waren sie in der absoluten Minderheit. In Zeiten der SBZ und erst Recht am Wendepunkt, nachdem die Gemeinden durch vier Jahrzehnte Realsozialismus und aufgrund von Abwanderung sowie Flucht immer weiter zusammengeschrumpft waren.

Dennoch war es noch immer da: das jüdische Leben. Jüdinnen und Juden konnten in der DDR alles sein: säkular und gläubig, Parteigänger und Dissidenten. Ihnen allen ist die große neue Ausstellung gewidmet, die am 8. September startet und bis Januar 2024, unterstützt von einem umfangreichen Begleitprogramm (u. a. einem Podcast mit Marion und Lena Brasch), in Kreuzberg zu sehen sein wird.

Ein bewegendes Stück Stoff ist die blaue Fahne mit weißem Davidstern (hinten), den Theresienstadt-Überlebende an den Bus hingen, der sie zurück nach Erfurt brachte. Foto: IMAGO / epd

Sequenzen aus dem DEFA-Archiv bei der Ausstellung zu jüdischem Leben in der DDR im Jüdischen Museum Berlin

Die Besucher:innen erwartet eine vollumfängliche und erstaunlich facettenreiche Ausstellung, für die allerhand zusammengetragen wurde. Gezeigt werden persönliche Objekte sowie Erinnerungsstücke von Zeitzeug:innen: darunter Kleines und Großes, Wichtiges und zunächst unbedeutend Erscheinendes. An den Wänden hängen Kunstwerke prominenter Religionsvertreter. Es gibt (zeitgenössische) Installationen und (historische) Filmsequenzen, teils auch aus dem DEFA-Archiv.

In den einzelnen Themenräumen geht es um das große Ganze. Um das Gemeindeleben in den acht jüdischen Gemeinden der DDR von Rostock bis Karl-Marx-Stadt. Es geht um die Beziehung zwischen sozialistischem Staat und jüdischen Bürger:innen. Und um die staatlich verordnete Erinnerungskultur, in der Jüdinnen und Juden als Imageträger für den Antifaschimus dienen mussten, ohne dabei Anspruch auf ein eigenes Narrativ zu haben.

Im Schnelldurchlauf taucht man ein in die Geschichte der DDR und in die der im sozialistischen Staat lebenden Jüdinnen und Juden. Das ist gut gemacht. Eine besondere Stärke sind allerdings die Details, für die Besucher:innen sich unbedingt Zeit nehmen sollten.

So gab es in der DDR – und zwar in Berlin, wo auch die größte Gemeinde beheimatet war – die einzige koschere Fleischerei des Landes an der Eberswalder Straße. Wer dort einkaufen wollte, brauchte einen Bezugsschein der Gemeindeleitung. Ein solcher der Familie Sosnowski aus dem Jahr 1958 wird in einer Vitrine ausgestellt. Daneben liegt das Schächtmesser des Ungarn Karoly Timar, der die jüdischen DDR-Bürger mit koscherem Fleisch versorgte.

Ein bewegendes Stück Stoff ist auch die blaue Fahne mit weißem Davidstern, den Theresienstadt-Überlebende an den Bus hingen, der sie zurück nach Erfurt brachte.

Interessant ist, dass auch Prominente Einblicke in ihre Familiengeschichte bieten. Neu ist das bei Marion Brasch, Autorin von „Und jetzt ist Schluss“, ihrem Erstling, in dem sie die Familiengeschichte aufschrieb, nicht. Weniger bekannt sind aber die Fotos, die ihre jugendliche Begegnung mit Jassir Arafat zeigen. Die DDR lehnte nach ihrer Verbrüderung mit den arabischen Nationen das israelische Staatsprojekt ab. Arafat als DDR-Freund war ein gern gesehener Gast in Ost-Berlin.

Fotograf Mathias Brauner ergründete im September 1987 die Synagogen-Ruine an der Oranienburger Straße. Foto: IMAGO / epd

Ein ganzer Raum ist der Neuen Synagoge gewidmet. Der Fotograf Mathias Brauner ergründete im September 1987 die Ruine an der Oranienburger Straße. Es sind beeindruckende Bilder, die die Dimensionen eines Gotteshauses zeigen, das einst der ganze Stolz der Berliner Jüdischen Gemeinde war, ehe die Nazis diesem vielfältigen Leben ein radikales Ende setzten. Von der Neuen Synagoge ist heute nur noch das restaurierte Portal übrig, der Rest ist eine umfangreiche Rekonstruktion aus den 1980er-Jahren. Ein Projekt, das in der DDR angestoßen wurde, um (vergeblich) die Beziehungen zu den USA zu verbessern.

Man könnte jetzt noch viel schreiben. Über die jüdische Prominenz, die in einzelnen Stationen gewürdigt wird. Ebenso wie über die künstlerischen Positionen, die einen Bezug zur Gegenwart herzustellen versuchen. Am besten ist es jedoch, selbst hinzugehen und sich in diese besondere DDR-Geschichte hineinziehen zu lassen. Klick für Klick für Klick.

  • Jüdisches Museum Berlin Lindenstraße 9-14, Kreuzberg, 8.9.2023–14.1.2024, tägl. 10–19 Uhrm Karten: 8, erm. 3 Euro, Tickets bekommt ihr auch online

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