Berlin verstehen

Verschwundene Straßen in Berlin – umbenannt, überbaut und vergessen

Wer kennt die Adlerstraße, den Braunen Weg oder die Padden­gasse? Kaum jemand, denn es gibt sie nicht mehr. Selbst die mondäne Siegesallee, ein Lieblingsprojekt des letzten deutschen Kaisers, ist längst Geschichte. Straßen werden umbenannt, überbaut oder verschwinden. Sie fallen Kriegszerstörungen, ambitionierten Neubauprojekten, radikaler Stadtplanung oder dem Zahn der Zeit zum Opfer. Vor allem in Mitte, im historischen Zentrum der Stadt, aber nicht nur dort. Ein Blick auf verschwundene Straßen in Berlin.

Verschwundene Straßen in Berlin: Wer "bis in die Puppen ging" kam durch die Siegesallee. Foto: Imago/Arkivi
Wer „bis in die Puppen ging“ kam durch die Siegesallee. Foto: Imago/Arkivi

Verschwundene Straßen in Berlin: Die Siegesallee

Der deutscher Kaiser hat sie sich erträumt, die Siegesallee, jenen Prachtboulevard, der durch den östlichen Tiergarten führte, gesäumt mit den Büsten sämtlicher Markgrafen und Fürsten von Brandenburg. Ein preußischer Traum des Hohenzollern-Herrschers, den das Volk alsbald in die „Puppenallee“ umtaufte. Wer sich nach einem zünftigen Gelage im Scheunenviertel oder rund um die Friedrichstraße und Unter den Linden bis dorthin verirrte, der ging dann „bis in die Puppen“.

Am Kneipentresen hat sich der Spruch gehalten, doch die Siegesallee gibt es nicht mehr, sie ist nun ein Fußweg im Tiergarten, und die Skulpturen ruhen neben Lenins Haupt und anderen ausgedienten Skulpturen in der Zitadelle Spandau, Berlins eigenem Friedhof der Geschichte. So wie die Siegesallee verschwinden immerzu Straßen aus dem urbanen Geflecht. Erst die allerältesten, die mittelalterlichen Überbleibsel der Stadt, wie die Laufgasse, ein Weg, der früher zwischen der Linienstraße und dem Rosentaler Tor verlief und im 19. Jahrhundert der modernen Stadtentwicklung weichen musste, wie so viele andere Gassen auch. Lehmgasse, Padden­gasse, Mauer­manns-Gasse, Nagelgasse oder Leitergasse.

Sie heute zu suchen, wäre Unsinn …

Das Mittelalter war im 19. Jahrhundert längst vorbei, Berlin mauserte sich langsam, aber sicher zu einer Weltmetropole, da hatten Gassen keinen Platz mehr. Sie heute zu suchen, wäre Unsinn. Nichts erinnert an die unbefestigten, schmalen und fürs Fußvolk bestimmten Wege, die in einer immer größer und schneller werdenden Großstadt ihren Sinn verloren haben. Straßen ersetzten die Gassen, Straßen mit Rinnsteinen und Trottoirs, breit und gepflastert, so dass die Kutschen, Pferdedroschken und Leiterwagen Platz hatten. Und bald schon die Automobile.

Andere Straßen verschwanden im Krieg, unter Trümmern, die Sieberstraße etwa, die bis 1945 die Klosterstraße mit der Jüdenstraße verband, die Schlacht um Berlin, deren Spuren sich mancherorts bis heute finden, jedoch nicht überstand. Oder die Splittgerber­gasse, wo sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Freimaurer in der Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ trafen: Sie hörte 1969 auf zu existieren, die DDR-Stadtplaner hatten anderes vor auf dem Areal.

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Die verschwundene Adlerstraße in Mitte, Aufnahme um 1910. Foto: Imago/Piemags

Und die Adlerstraße? Auch ihre Geschichte reicht weit zurück. Ende des 17. Jahrhunderts wurde sie im alten Stadtkern von Berlin-Mitte angelegt und erhielt ihren Namen nach den mächtigen Greifvögeln, die Friedrich Wilhelm in der unweit gelegenen Jägerstraße hielt. Umgeben war sie von anderen Straßen, die es nicht mehr gibt, der Holzgarten­straße zum Beispiel. Wer sich die Gegend anschauen will, muss die Unterwasserstraße und die Kurstraße suchen, die gibt es immerhin noch. Finden wird man aber von der Adlerstraße nichts mehr. Bis 1935 standen dort 15 Häuser in Hufeisenform, dann wurde sie mit dem mächtigen Haus am Werderschen Markt überbaut. Ein markanter Bau, in den erst die Reichsbank einzog, dann das DDR-Finanzministerium und heute ist das Haus Teil des Auswärtigen Amts.

So überlagert sich Schicht um Schicht die Stadt und unter dem Pflaster liegt ein anderes Pflaster. Nicht alle Straßen verschwinden vollständig, so wie die Adlerstraße, manche werden umbenannt, weil sich die Zeiten ändern. Politische Ideologien sorgen für einen regen Betrieb auf den Stadtplänen: Stalinallee, Horst-Wessel-Platz, Leninplatz oder die Dimitroffstraße sind aus guten Gründen umbenannt worden.

Nach Nazis und Kommunisten verschwinden nach und nach auch die kolonialen Verbrecher als Namenspaten von Straßen. So wurde etwa aus der Neuköllner Wissmannstraße, benannt nach dem brutalen Kolonialbeamten Hermann von Wissmann, unlängst die Lucy-Lameck-Straße. Und 2024 folgte noch eine ganz andere Umbenennung, die man wohl der kapitalistischen Logik zuschreiben muss. Aus dem Mercedes-Benz-Platz, übrigens vormals O2-Platz, wird der Uber-Platz. Benannt nach dem Mobilitäts-Dienstleistungsunternehmen aus San Francisco.

„Namen sind Schall und Rauch“, heißt es in Goethes „Faust“. Auch Straßennamen. Wie vergessene Verbindungslinien, die irgendwann einmal nur noch in den Archiven nachvollzogen werden können, zieht sich ein unsichtbares Geflecht aus verschwunden Straßen durch Berlin.


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