Interview

Sternekoch Björn Swanson übers Jord: „Abendbrot ist die emotionalste Mahlzeit“

Björn Swanson serviert jetzt Abendbrot im Jord in der Brunnenstraße. Swanson ist im kulinarischen Berlin angekommen und hat sich in der Pandemie neu erfunden. Er hat im 2020 eröffneten Faelt in Schöneberg, schon nach wenigen Wochen einen Michelin-Stern erkocht, mit seinem ersten eigenen Laden. Hier lest ihr unser Gespräch über Erinnerungen, Erwartungen – und den Mann mit der Pinzette.

Sternekoch Björn Swanson hat ein zweites Lokal eröffnet: das Ford.
Jord in Mitte: Abendbrot à la Björn Swanson. Der 38-jährige Berliner hat mit dem Jord einen zweiten eigenen, gastronomischen Raum geschaffen. Jord Foto: xxxxx The Mind Behind

Björn Swanson: „Wir müssen uns mit Personalmangel auseinandersetzen“

tipBerlin Björn Swanson, wir sitzen hier im Jord, Ihrem zweiten Berliner Restaurant. Woher kommt Ihre neue Liebe zur kleinen Form?

Björn Swanson Wir müssen uns nunmal mit Personalmangel auseinandersetzen. Dieses Thema ist gekommen, um zu bleiben. Wie schon das Faelt ist auch das Jord deshalb ein klar strukturiertes Konzept, das ich mit wenigen, aber zentralen Mitarbeiter:innen umsetzen kann.

tipBerlin Steht die Gastronomie also aktuell vor den größten strukturellen Veränderungen ihrer jüngeren Geschichte?

Björn Swanson Ziemlich sicher ja. Man hatte all die Jahre einfach sehr viele Menschen, die horrende Stunden geschrubbt haben und dafür schlecht bezahlt worden sind. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe diese Ochsentour ja selbst mitgemacht. So etwas ist, und zwar aus guten Gründen, heute nicht mehr abbildbar.

tipBerlin Auch sie kommen ja aus Restaurants, in denen ganze Küchenbrigaden an Tellern gepuzzelt haben. Am Pass stand dann der Typ mit der Pinzette und arrangierte mit großer Geste jedes einzelne Blatt. Was haben Sie geändert, bevor Sie im Faelt aus dem Stand einen Stern erkocht haben?

Björn Swansons Restaurant das Faelt hat einen Michelin-Stern.
Das Sternerestaurant Faelt dank Björn Swanson: nordisch grundiert, aber eigenständig gut. Foto: Faelt/Kirchgasser Photography

„Im Golvet hatte ich Teller, die bedurften vielleicht 16 Handgriffen“

Björn Swanson Als erstes wurde der Typ mit der Pinzette gestrichen (lacht). Im Golvet hatte ich Teller, die bedurften vielleicht 16 Handgriffen. Jetzt im Faelt sind es vier Handgriffe und dennoch habe wir die gleichen Auszeichnungen und, das behaupte ich jetzt einfach mal, die glücklicheren Gäste.

tipBerlin Weil sich die Erwartungen des kulinarischen Publikums gewandelt haben?

Björn Swanson ist Koch in Berlin, Trier und auf Mallorca.
Björn Swanson. Foto: Faelt

Björn Swanson Die Leute draußen haben doch auch mitbekommen, dass sich die Zeiten geändert haben. Da wirkt der Aufwand, der im klassischen Fine Dining noch immer behauptet und auch betrieben wird, zunehmend befremdlich. Im Faelt kochen wir zu zweit und wo früher ein großes Stück Fleisch liegen musste, gibt es im aktuellen Menü eine vegetarische Kohlroulade, einzig der Kalbsjus dazu ist noch tierischen Ursprungs. Wir müssen das unseren Gästen nicht einmal erklären, sie scheinen darauf gewartet zu haben.

tipBerlin Was wäre also Ihre zeitgemäße Definition von Fine Dining?

Björn Swanson Produktfokussiert, schnörkellos – mit viel Geschmack.

„Zu wenig Salz, zu wenig Schärfe, zu wenig Mut.“

tipBerlin Ist es nicht grotesk, dass geradezu betont werden muss, wenn es in der gehobenen Gastronomie vollmundig oder gar lecker schmeckt?

Björn Swanson Wichtiger Punkt. Ich war zuletzt häufiger Gast in der deutschen Sterne- und Spitzengastronomie und hatte exakt den gleichen Eindruck: zu wenig Salz, zu wenig Schärfe, zu wenig Mut. Am Ende sitzt du ratlos vor aufwendig gebauten Tellern und fragst dich, warum alles so langweilig ist. Die Antwort unisono: Weil unsere Klientel das so erwartet. Dem mag so sein, weil die heute 60- oder 70-Jährigen über Jahrzehnte gelernt haben, dass eine Gourmetküche vorhersehbar, risikolos abgeschmeckt und frei von Überraschungen ist.

tipBerlin Ein Urteil, das für die guten und besten Restaurants Berlins so nicht passt.

Wie geschmiert – einfach Abendbrot im neuen Jord von Björn Swanson. Foto: xxxxx The Mind Behind

„Was Raue fürs Fine Dining geleistet hat, kann nicht hoch genug bewertet werden“

Björn Swanson Tim Raue und ich werden in diesem Leben keine besten Freunde mehr, aber das, was Raue fürs Fine Dining geleistet hat, kann nicht hoch genug bewertet werden. Er war der erste, der gesagt hat: Ich haue euch mit meinem Geschmack in die Fresse. Das war neu und ist in vielen Ecken des Landes noch immer unerhört. Am Ende kommen die Gäste, zumal die jüngeren bis mittelalten, aber wegen des Geschmacks, der Atmosphäre und des Erlebnisses in ein Restaurant. Wer 200 Euro für einen Abend bezahlt, der will eine gute Zeit haben. Dass alle zwei Minuten eine servile Servicekraft in seinem Rücken auftaucht, steht wahrscheinlich nicht auf seiner Prioritätenliste.

tipBerlin Berlin ist also noch immer besonders?

Björn Swanson Kulinarisch betrachtet mehr denn je. Hier wollen die Leute authentische Orte. Gerade im Fine Dining haben wir das ja erlebt: Internationale Namen wie Paco Pérez im Hotel Das Stue oder Pierre Garnier im Waldorf Astoria sind krachend gescheitert. In anderen Städten würde sich das genussaffine Publikum danach vermutlich die Finger lecken.

„Das Abendbrot ist die emotionalste und vielleicht auch typischste deutsche Mahlzeit“

tipBerlin Weshalb Sie sich im Jord einem sehr Berliner Thema widmen: dem Abendbrot.

Björn Swanson Die Geschichte geht ein wenig anders. Eigentlich hatten wir bereits den Mietvertrag für ein bekannteres Restaurant unterzeichnet, unser Vormieter hat aber doch noch seine Mietschulden bezahlt. Weil die Vermieterin dann ein schlechtes Gewissen hatte, hat sie uns diesen Laden angeboten. Der Haken: keine Chance auf eine richtige Gastro-Küche.

tipBerlin Und so schmieren Sie nun Brote …

Björn Swanson Wir haben das sofort im Team gemerkt: Ich musste nur das Wort Abendbrot in die Runde werfen und schon sprudelte es nur so an Erinnerungen und Assoziationen. Das Abendbrot ist die emotionalste und vielleicht auch typischste deutsche Mahlzeit.

  • Faelt Vorbergstraße 10a, Schöneberg, tgl. ab 18 Uhr, letzte Bestellannahme 21 Uhr, Tel. 0160/93 27 74 62, online
  • Jord Brunennstraße 172, Mitte, Mo–Sa 16–0 Uhr, Abendbrot ab 18 Uhr, Tel. 0160/93 27 74 62, online

Mehr Genuss

Wie geschmiert: Unseren Artikel über das Jord findet ihr hier. Begeisternde Spielfreude: Über Swansons Restaurant Faelt lest ihr hier mehr. Wir sehen den Sternenhimmel: Berlins Sterne-Restaurants: Das feinste Fine Dining der Stadt. Björn Swanson zählt zu Berlins Köchen der neuen Art. Moderne deutsche Küche in Berlin: die besten Adressen – hier essen wir besonders gern. Lust auf Gebäck? Wir zeigen euch die besten Patisserien in Berlin.

Noch mehr News aus der Berliner Gastro-Welt gibt es in der Rubrik Restaurants. Ihr wollt auswärts essen, aber wisst nicht, was und wo? Dann holt euch die Berlin Food App von tipBerlin und findet immer das passende Restaurant.

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