Berlinale 2024

„Hors du temps“: Beschwingte Komödie über die Covid-Ära

„Suspended Time“, der französische Originaltitel lautet “Hors du temps“, ist Olivier Assayas’ erster Film im Wettbewerb der Berlinale: eine Komödie über eine Familienzusammenkunft in den ersten Lockdown-Wochen, im April 2020. Und ganz einfach ist das für zwei Brüder und ihre Partnerinnen eben nicht. tipBerlin-Kritikerin Pamela Jahn hat den Film auf der Berlinale 2024 gesehen.

„Hors du temps (Suspended Time)“ spielt größtenteils in einem Landhaus mit Garten. Foto: Carole Bethuel
„Hors du temps (Suspended Time)“ spielt größtenteils in einem Landhaus mit Garten. Foto: Carole Bethuel

„Hors du temps (Suspended Time)“: Harmonisch im Lockdown

Man kann es auch übertreiben. Etienne (Vincent Macaigne) ist so ein Typ. In der Covid-Isolation angekommen, ist sein neuer Alltag von Regeln und Vorsichtsmaßnahmen bestimmt. Jeden Morgen liegt ein neues Amazon-Paket vor der Tür. Ob Socken oder Kochtöpfe, er bestellt alles, was man im Lockdown gebrauchen kann, im großen Stil. Seine Hände wäscht er sich akribisch nach Anleitung eines YouTube-Tutorials. Und falls er doch einmal das Grundstück verlässt, trägt er eine Maske, wie es sich gehört.

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Sein Bruder Paul (Micha Lescot) sieht das alles nicht so streng. Aber auch er hat seine Macken, liebt es, Omeletts zu braten, oder einfach nichts zu tun. Die Geschwister verbringen den ersten Lockdown 2020 gemeinsam auf dem Anwesen ihrer Eltern in der französischen Provinz. Ihre Partnerinnen Morgane (Nine D’Urso) und Carole (Nora Hamzawi) haben sie auch dabei. Alles scheint recht harmonisch, zumindest auf den ersten Blick.

„Hors du temps (Suspended Time)“ von Olivier Assayas. Im Bild: Micha Lescot und Nora Hamzawi. Foto: Carole Bethuel
„Hors du temps (Suspended Time)“ von Olivier Assayas. Im Bild: Micha Lescot und Nora Hamzawi. Foto: Carole Bethuel

Aber der Ort ist nicht nur mit ihren Kindheitserinnerungen überschattet. Paul, ein Musikjournalist, und Etienne, ein Filmregisseur, haben sich im Erwachsenendasein weitestgehend auseinandergelebt. Dass die Welt um sie herum immer beunruhigender wird, macht sie Sache nicht einfacher. Etienne hat schon genug mit seinen eigenen Neurosen zu tun. Bei gemeinsamen Essen, im Alltag und der Einöde der Isolation müssen er und Paul sich nun miteinander arrangieren, so gut es eben geht.

Olivier Assayas liegt die Leichtigkeit, so auch in seinem Film „Hors du Temps“

Olivier Assayas, der mit „Hors du temps (Suspended Time)“ zum ersten Mal mit einem Film im Berlinale-Wettbewerb vertreten ist, hat eine beschwingte Komödie über die Covid-Ära inszeniert. Dem französischen Regisseur liegt das Leichte, die Dialoge gingen ihm sichtlich leicht von der Hand: „Ich schrieb Szenen ohne wirklichen Zweck“, sagt er selbst im Interview. „Sie kamen einfach zu mir. Ich habe nicht nach dem Drehbuch gesucht, es ist mir eher passiert, als dass ich es verursacht hätte.“

Macaigne, der bereits in Assayas‘ Serienprojekt „Irma Vep“ das Alter Ego des Regisseurs gespielt hat, verkörpert Etienne mit einer ähnlichen Unbeschwertheit, egal wie verschroben seine Figur auf den ersten Blick ist. Er scheint über die Zeit eine Art Symbiose mit dem Filmemacher einzugehen, die sich mit jedem gemeinsame Projekt organischer anfühlt.

„Hors du Temps“ zieht den Reiz aus der Flüchtigkeit

„Hors du Temps (Suspended Time)“ ist ein Wettbewerbsbeitrag, der keine großen Spuren hinterlässt, der vielleicht seinen ganzen Reiz gerade aus seiner Flüchtigkeit zieht. Allein das Voice-over, das Auszügen aus einer fiktiven Biografie nachempfunden scheint, gibt dem Film eine gewisse Bodenständigkeit. Aber auch eine Poesie, die ihn vor der Mittelmäßigkeit schützt.


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir: Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. Im Fall von „Hors du Temps (Suspended Time)“ steht es bei 30 Prozent. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


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