Altmeister Ridley Scott hat aus dem Leben des französischen Feldherren eine beeindruckende Bilderschlacht gemacht. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl findet, „Napoleon“ taugt vor allem für die kulturhistorischen Schauwerte und weniger für kluge Charakterentwicklung.
„Napoleon“: Alles läuft auf Waterloo zu
„Wir wissen ja schon, wie es ausgeht.“ Einer der ältesten Scherze über Filme wie „Napoleon“, den ein Kollege neulich machte, ist auch einer der zutreffendsten. Biografien über große Männer können nicht eben einmal etwas erfinden. Sie müssen Stationen absolvieren. Und bei Napoleon Bonaparte, dem französischen Feldherren, läuft alles auf eine Station zu, die selbst historisch Ungebildete irgendwie verstehen: Waterloo ist ein Name, den man nicht mit Erfolg assoziiert – obwohl Napoleons Gegner, darunter Preußen mit General Blücher wie in Blücherstraße, in dieser Schlacht erfolgreich waren.
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Ridley Scott hat jetzt für Apple das Leben von Napoleon noch einmal neu erzählt. Zweieinhalb Stunden kommen ins Kino, auf der Streaming-Plattform sollen es später viereinhalb Stunden Director’s Cut sein. Eine Geschichtsstunde, in der vor allem rüberkommt, dass vor knapp zweihundert Jahren noch sehr andere Sitten und Gebräuche in Europa herrschten.
Scott beginnt mit einem Ende des höfischen Zeitalters: Die Königin Marie Antoinette (wir kennen sie, wenn, dann am ehesten aus dem Film von Sofia Coppola) wird geköpft. In Frankreich ist seit 1789 Revolution, und Napoleon nutzt das Chaos dieser Jahre für seinen eigenen Aufstieg. Er schlägt in Toulon die Engländer, wird Konsul (nach dem Vorbild der alten Römer), zieht nach Ägypten, seine Macht wächst, im Jahr 1804 krönt er sich zum Kaiser. Die Revolution hat einem Königspaar die Köpfe abgeschlagen, und schon ein paar Jahre später sorgt sie wieder für einen monarchischen Herrscher. Dann geht es weiter mit den Kampagnen, Höhepunkt ist der desaströse Zug nach Russland, von dem sich später auch Hitler nicht abschrecken ließ.
„Napoleon“ hetzt von Motiv zu Motiv
Während Napoleon quer durch die Welt reitet und meist im Zelt lebt, hat er eine Beziehung mit Joséphine de Beauharnais, von der er sich einen Erben erhofft. Denn ein König oder Kaiser braucht einen Nachfolger, aus dem eigenen Blut, so war es lange Brauch in Europa, bis ins frühe 20. Jahrhundert. Napoleon verbindet mit Joséphine etwas sehr Intimes, das in Ridley Scotts Film allerdings nicht sehr deutlich wird, weil einfach nicht genug Zeit ist, das alles zu entwickeln. So hetzt „Napoleon“ von Schauplatz zu Schauplatz, von Motiv zu Motiv.
Und ist dabei immer gut anzuschauen. Wenn Ridley Scott etwas kann, dann ist es die Herstellung attraktiver Bilder. In diesem Fall hat er die Kunstgeschichte geplündert, und so hat man das Gefühl, durch alle Museen dieser Welt zu fegen, wobei man kein Bild lange genug anschauen kann, um herauszufinden, ob es echt oder fake ist, ob es genau nachgestellt oder frivol zitiert wurde. Ridley Scott wirft einfach alles in einen großen Topf, und achtet dabei darauf, dass sowohl das große Panorama wie auch die bezeichnenden Details nicht zu kurz kommen. Ägypten mit den Pyramiden und der Sphinx ist bei ihm so spektakulär wie schon lange nicht im Kino, und dann trifft Napoleon auch noch einen von seinem Kaliber, einen ehemaligen Pharao, nun eine Mumie. In diesem Moment wird etwas vom Schicksal in dieser Welt erkennbar: übrig bleiben Postkartenansichten und präparierte Leichen.
Joaquin Phoenix als Napoleon wirkt seltsam routiniert
In der Geschichte Europas sorgte Napoleon für einen wichtigen Übergang: mit seinen imperialen Feldzügen brachte er das Gleichgewicht so durcheinander, dass es danach neu geschaffen werden musste, und zwar so gründlich, dass das 19. Jahrhundert relativ stabil an Industrialisierung und Fortschritt (und sogar allmählicher Demokratisierung) arbeiten konnte – 1815 bis 1914 war nicht die schlechteste Periode zwischen Berlin und London, allerdings erreichte damals auch der Kolonialismus neue grausame Höhepunkte. Von diesen politischen Implikationen macht Scotts „Napoleon“ nicht das geringste Aufheben. Der große Herrscher interessiert hier nur als Figur mit einem großen Namen. Selbst Joaquin Phoenix, der bisher noch aus jeder seiner Rollen etwas Denkwürdiges gemacht hat, wirkt hier seltsam routiniert – einen Joker der Weltgeschichte findet er an Napoleon nicht. Es wäre auch falsch gewesen.
So wird man sich „Napoleon“ wohl vor allem wegen der kulturhistorischen Schauwerte ansehen. Schlösser, Fresken, Kanonenkugeln, Rösser, der berühmte breitkrempige Hut, komplizierte Kleider, und ungustiöse französische Politiker. Das reicht auf jeden Fall, dass einem zweieinhalb Stunden nicht langweilig werden, und mancher abrupte Schnitt weckt sogar Neugierde auf die längere Fassung. Wann die kommt, ist noch nicht heraus, und hängt wohl auch davon ab, ob Menschen wegen diesem „Napoleon“ ins Kino gehen, und ob bei den Oscars etwas herausspringt.
- Napoleon USA 2023; 158 Min.; R: Ridley Scott; D: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim; Kinostart: 23. 11.
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