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Zeiten ändern sich

12 Berlin-Erfahrungen, die Zugezogene heute nicht mehr machen können

Frisch in die Hauptstadt gezogen für die echte, die ultimative Berlin-Erfahrung? Tut uns leid, euch enttäuschen zu müssen. Es gibt etliche Erlebnisse, die nur noch als Gerüchte, Mythen und Geschichten von damals überleben. Wer heute nach Berlin zieht, findet eine andere Stadt vor. Hier kommen 12 Dinge, die mal total Berlin waren, aber heute einfach längst nicht mehr so sind: Erfahrungen eben, die Zugezogene in Berlin einfach nicht mehr machen können. Wenigstens bleibt uns die Nostalgie.


Die ganze Nacht vor dem Späti hängen

Keine Bänke mehr vor den Spätis. Foto: Imago/Wolfgang Maria Weber

Die Berliner Spätikultur, die gibt es in dieser Form wirklich nur in Berlin. Leider gibt es aber auch das Ordnungsamt: Seit einiger Zeit müssen die meisten Spätis ab 22 Uhr die Bänke draußen reinräumen – Lärmschutz. Überhaupt wird es Spätis gern schwer gemacht: Schanklizenzen sind schwer zu kriegen und es müssen ständig allerhand skurrile Regeln beachtet werden, um Bier verkaufen zu dürfen. Die Berliner Spätikultur lebt, aber definitiv nicht mehr so, wie es mal war. Richtig gute Spätis zeigen wir euch natürlich gerne.


Wirklich billig essen? Diese Berlin-Erfahrung machen Zugezogene heute nicht mehr

Auch der bekannteste Döner Berlins hat seine Preise erhöht. Foto: Imago/Schöning

Okay, im Vergleich ist das Essen gehen in Berlin immer noch günstig. Aber eben nur noch im Vergleich. Ein Döner kostet hier mittlerweile trotzdem schon sechs Euro. Das sind eindeutig nicht mehr die Lebenskünstler-freundlichen Preise, für die Berlin mal bekannt war. Man denke nur an den vielerorts heißgeliebten Dönerstag, an dem es Döner für – sage und schreibe – 2,50 Euro gab! Auch die Falafel-Sandwiches waren mal wesentlich billiger als heute, und spottbillige Angebote zur Neueröffnung diverser Buden gehören auch der Vergangenheit an. Wer heute nach Berlin zieht, macht solche Erfahrungen nicht mehr – und wir denken sehnsüchtig daran zurück.


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Den Kiez zum Festivalgelände umfunktionieren

Beim MyFest verwandelte sich Kreuzberg in ein riesiges Festival. Foto: Imago/Mike Wolff/tagesspiegel

In Berlin ist immer etwas los. In den vielen Parks wird eigentlich immer getanzt, zur Fête de la Musique musiziert die ganze Stadt, und beim Karneval der Kulturen ziehen tausende kostümierte Performance-Gruppen durch die Straßen. Trotzdem hat sich einiges verändert. Jedes Fest bringt Beschwerden mit sich. Die Nachbarschaften haben oftmals keine Lust mehr auf Trubel, Lärm und Menschenmassen vor der eigenen Haustür. Die Polizei kommt, bevor der erste Gitarrenakkord erklingt. Auch Feste, die jahrzehntelang fest zur DNA der Stadt gehörten, lösen sich nach und nach auf oder finden nur noch in stark abgespeckten und streng kontrollierten Versionen statt.

Auf dem MyFest in der Oranienstraße bei Coretex zu Hardcore pogen und Köfte von der türkischen Familie nebenan probieren: vorbei. Das traditionelle Riesenevent am 1. Mai tobte 2019 zum letzten Mal. Auch der anschließende Mega-Rave im Görlitzer Park ist längst Geschichte. Oder die Dub-Walpurgisnacht im Mauerpark, irgendwelche Raves auf Parkplätzen und Brachflächen. Zu viel Müll, zu viel Lärm, zu viele Leute, zu viel Anarchie. Berlin ist immer noch eine Stadt der Möglichkeiten und ja, es gibt immer noch unglaublich viele Partys, Konzerte und Feste. Alles halt nur etwas ruhiger.


Der einzige Mensch bei einer Wohnungsbesichtigung sein

Berlin-Erfahrungen, die Zugezogene heute nicht mehr machen können: Allein so eine Wohnung besichtigen – und dann ablehnen. Foto: Imago/Schöning
Berlin-Erfahrungen, die Zugezogene heute nicht mehr machen können: Allein so eine Wohnung besichtigen – und dann ablehnen. Foto: Imago/Schöning

Früher, da hingen im Prenzlauer Berg Zettel in den Fenstern: „Wohnung zu vermieten, bitte unter folgender Nummer melden“. Ganz in Ruhe und ganz allein durfte man sich die Wohnung anschauen und dann entscheiden, ob der Grundriss wohl zu den eigenen Bedürfnissen passt, anstatt sich bei einer Massenbesichtigung zu überlegen, mit welchem Trick man bei der Hausverwaltung in Erinnerung bleibt. Man konnte das sogar relativ spontan erledigen und einige Tage vor dem geplanten Umzug entspannt mit der Wohnungssuche beginnen – und dabei Erfolg haben.

Heute sorgen solche Geschichten für Schmunzler auf der Familienfeier und für ungläubiges Kopfschütteln bei den Jüngeren, denn natürlich ist das längst unvorstellbar. Frisch Zugezogene dürften hingegen ganz andere Erfahrungen mit Berlin gemacht haben. Und da gerät man auch weniger in nostalgische Stimmung, sondern wird wütend, denn die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist dramatisch.


Die Wohnungssuche auf einen Stadtteil begrenzen

Bevorzugte Stadtteile? Vergiss es! Screenshot: tipBerlin-Redaktion

Überhaupt, das leidige Thema Wohnungsnot: Es ist kaum möglich, Instagram zu öffnen, ohne eine Story mit einem Gesuch hereingespült zu bekommen. Normalerweise sind diese wie folgt aufgebaut: „Ich suche eine Wohnung/WG-Zimmer in Berlin – bis maximal 600 Euro – in Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln.“ Mittlerweile möchte man die Leute schütteln und sie anschreien: „Die Zeiten sind vorbei! Du kannst dir nicht mehr aussuchen, in welchem Bezirk du wohnen möchtest! Du kannst froh sein, wenn du überhaupt irgendetwas findest, und sei es im Falkenhagener Feld, obwohl du in Rummelsburg arbeitest, oder in Buch, selbst wenn du an der FU studierst.“ Präferenzen angeben bei der Wohnungssuche? Leider, leider wirklich total 2012.


Aufs Dach gehen

Vom Berlins Altbaudächern lässt sich erstaunlich weit gucken. Foto: Imago/David Weyand

Einfach ab auf den Dachboden und aus dem Fenster oder der Luke aufs Dach klettern und von da den ganzen Block ablaufen? Früher ganz normal und einer der besten Orte, um runterzukommen und das Treiben der Stadt von oben zu beobachten. Mittlerweile sind wohl die meisten Dachgeschosse so Wohnungen ausgebaut und auf den Dächern befinden sich Dachterrassen. Selbst wenn man also noch einen Zugang auf ein Berliner Dach findet, kommt man von dort nicht mehr weit. Schade.


Häuser besetzen

Die Rigaer Straße 94 ist eines der letzten besetzten Häuser in Berlin. Foto: Imago/Schöning

Spätestens seit den frühen 1870er-Jahren gehörten besetzte Häuser in Berlin zum Stadtbild dazu. In Kreuzberg, wo der sogenannte Häuserkampf stattfand, wurden so etliche leerstehende Altbauten vor dem Verfall und Abriss bewahrt. In den 1980er-Jahren kam es zu regelrechten Straßenschlachten zwischen der Hausbesetzerszene und der Polizei. An die Räumung der Mainzer Straße 1990 erinnern wir uns zum Beispiel hier. In den besetzten Häusern selbst brodelten dafür aufregende Labore für alternative Lebensformen.

Heute tauchen besetzte Häuser in Berlin noch immer gelegentlich in den Nachrichten auf, dann jedoch meist, weil sie geräumt werden. Die Rigaer Straße 94 im Friedrichshainer Nordkiez gehört wohl zu den letzten noch umkämpften Häusern in Berlin.


Eine Kneipe eröffnen, die sich schon mit einem halben Dutzend Stammgästen rentiert

Der Traum der eigenen kleinen Kneipe? Früher klein Problem. Leerstehendes Gewerbe suchen, den Bekanntenkreis einladen und die Schichten hinter der Bar einfach selber schmeißen. Was für eine romantische Vorstellung! Für die Zugezogenen heute ist das aber schlicht undenkbar. Zu hoch die Mieten, die Energiepreise, die Einkaufspreise. Ja, wir wiederholen uns. Aber die Miet- und Preisentwicklung ist nun mal der Ursprung der meisten üblen Veränderungen in Berlin. Und das heißt auch, dass die neue Kneipe nicht mehr ohne soliden Businessplan auskommen kann.


Mit dem Flugzeug in der Stadt landen

Manch einer vermisst ihn, manch einer eher nicht: der ehemalige Flughafen Tegel. Foto: Imago/Reiner Zensen

Wer nicht gerade in der Einflugschneise gewohnt hat, fand es vielleicht gar nicht so schlecht, nur eine halbe Stunde zum Flughafen zu brauchen. Gar nicht so wenige Berliner:innen waren traurig, als Tegel geschlossen wurde – auch unser Redakteur ist beim Ende von Tegel wehmütig geworden. Aber wir sind es ja gewohnt, immerhin hat Berlin doch so einige Flughafengeschichten hinter sich. Die Chancen, dass ihr mal in Gatow gelandet seid, sind zwar gering, aber an den 2008 geschlossenen Flughafen Tempelhof haben manche sicher noch Erinnerungen, auch wenn wir das Tempelhofer Feld nicht missen wollen. Schönefeld vermissen wir vielleicht eher weniger, aber der BER ist ja nicht weit entfernt – nur bis in die Innenstadt ist es von dort eben ein ganzes Stück. Weinen wir deswegen der Landung auf dem Flughafen Tempelhof Tränen nach? Naja, Easyjet-Tourismus ist kein gutes Modell für die Zukunft.


Radiohead auf einem Annenmaykantereit-Festival live sehen

Radiohead beim Lollapalooza Festival 2016. Foto: Imago/Martin Müller

Kaum zu glauben, aber das Lollapalooza Berlin hatte mal Musiklegenden und Pop-Innovatoren im Line-up. Radiohead zum Beispiel, Kraftwerk, New Order, Billie Eilish, Rita Ora, The Weeknd. Heute fühlt sich das größte Festival Berlins eher an wie eine sichere Bank – ohne Mut zum Risiko. Die Headliner 2023: Imagine Dragons, Mumford & Sons, Macklemore, David Guetta – alle schon zum zweiten Mal beim Lollapalooza und alle weiße Männer. Da muss doch einfach mehr Diversität und mehr Überraschung drin sein.


Frank-Castorf-Mammutinszenierungen

Das Wahrzeichen der Berliner Volksbühne: das Räuberrad. Foto: Imago/epd/Rolf Zöllner

Bis 2017 war er der Intendant der Volksbühne, ein Vierteljahrhundert hat er diesen Theaterort geprägt: Frank Castorf. Und wer in dieser Zeit in Berlin gelebt hat, wird den ein oder anderen Abend auf irgendeine Weise mit einer seiner Mammutinszenierungen verbracht haben. Die Theaterstücke erreichten oftmals Längen von weit mehr als sechs Stunden, aber auf mehr als eine 15-minütige Pause durfte man nicht hoffen. Für viele ist die Flucht in der Pause dann die prägende Castorf-Erfahrung gewesen, während andere den Exodus ausnutzten, um für umme in der zweiten Hälfte reinzuschleichen. Seither hat sich viel getan in der Berliner Theaterlandschaft. Und Stücke, die in etwa die Länge der „Herr der Ringe“-Filmtrilogie erreichen, sind längst nicht mehr an der Tagesordnung. Was auf den Bühnen läuft, steht hier im Spielplan.


Im Friedrichshain auf Brachflächen an der Spree skaten, sprühen, rumhängen

Zwischen Ostbahnhof und Warschauer sitzen heute Zalando und Amazon. Früher mal aber war dort rund um die O2-Arena (heute Mercedes-Benz Arena nichts als Brachland – was wir Berliner:innen ja lieben.) Da konnte man skaten, sprayen oder einfach nur rumhängen. Jetzt, nun ja, kann man dort shoppen, bowlen oder arbeiten. Generell verschwinden die letzten Freiräume in der Stadt. Meistens werden die Lieblingsplätze der Jugend eher von Bauprojekten mit deutlich weniger Aufenthaltsqualität verdrängt. Ein Blick auf die Betonkolosse und Berlin, wie es mal war, wirkt plötzlich lange, lange her.


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Noch mehr Berlin Nostalgie gewünscht? Hier gibt es Fotos aus Kreuzberg in den 1960er Jahren. Zugezogen und lost? Hier gibt es Berlinerische Begriffe, die ihr kennen solltet. Die wichtigsten Antworten auf die meistgestellen Berlin-Fragen bei Google: „Warum ist Berlin so …?“. Ihr wollt mehr entdecken? Diese Lost Places erzählen Stadtgeschichte. Außerdem kennen wir 12 Orte, die Berlin-Touristen oft nicht besuchen – es aber sollten.

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