Berlinale 2024

„Architecton“: Viktor Kossakovskys monumentale Doku übers Bauen

Victor Kossakovsky macht Dokumentarfilme mit einem Hang ins Monumentale. Zum Glück sitzt ihm meistens der Schalk im Nacken, so bleibt alles immer ganz gut in der Balance: tiefer Ernst und heitere Zurückhaltung. Mit „Architecton“ hat er sich jetzt ein großes Thema vorgenommen: das menschliche Bauen. tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl hat den Film des großen Dokumentaristen gesehen, der im Berlinale-Wettbewerb ein Kuriosum ist.

„Architecton“ läuft im Wettbewerb der Berlinale. Victor Kossakovsky neigt zum Monumentalen. Foto: Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH/Point du Jour/Les Films du Balibari

„Architecton“ hat aufregende Bilder und einen herausragenden Soundtrack

Beton ist einer der größten Klimafaktoren. Beton ist überall. Früher bauten die Menschen ohne Beton. Darüber denkt Victor Kossakovsky nach. Er begibt sich nach Baalbek im Libanon, wo man sehen kann, warum die Bauwerke der Antike sich so gut gehalten haben. Er sieht dem italienischen Architekten Michele De Lucchi dabei zu, wie der in seinem Garten einen Steinkreis errichten lässt – eine Einzäunung, die den Menschen ausschließen soll.

Kossakovsky findet wie immer aufregende Bilder, und Evgueni Galperine hat sie zum Teil mit einem herausragenden Soundtrack versehen. Immer wieder bekommen wir spektakuläre Verfremdungen zu sehen, von denen zwar nicht ganz klar ist, wie sie in Kossakovskys Argument passen, die aber unerhörte visuelle Sensationen präsentieren, zum Beispiel eine Gesteinslawine in Größtaufnahmen.

Kossakovsky will der Architektur ein naturhistorisches Zeitmaß nahelegen

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Kossakovsky will aber mehr als nur mit Geologie zu beeindrucken. Er will der Architektur ein naturhistorisches Zeitmaß nahelegen. Dies umso dringlicher, als er in einem Prolog auch auf die Zerstörungen der Bausubstanz in der Ukraine durch den Krieg der Russischen Föderation eingeht. „Architecton“ arbeitet sich an verschiedenen Dingen gleichzeitig ab: an den Wunden, die Gewalt auch an architektonischen Körpern ständig hinterlässt; an den kurzfristigen Zyklen der modernen Immobilienwirtschaft, die zwar Wohnungen baut, vor allem aber Schutt und Abraum produziert.

So richtig kriegt Kossakovsky seine Anliegen dabei nicht auf die Reihe – die Montage von „Architecton“ wirkt immer wieder ein wenig willkürlich. Nur dort, wo Bild und Ton eine starke Allianz eingehen, also in den Passagen, in denen Kossakovsky eher seinem Hang zum Monumentalen nachgibt, wird der Film spannend, weil er auf indirekte Botschaften verzichtet.

Pech für die Berlinale: Ein nicht so überzeugendes Werk von einem großen Dokumentaristen

Am besten wäre es vielleicht gewesen, Kossakovsky hätte sich einfach ausführlich mit der Kamera mit der Art von Architektur beschäftigt, die er zu einem Vorbild erklären will. Die Haptik dieser alten Gebäude, häufig heilige Orte, ist faszinierend und beschäftigt Auge und Hirn. Im Wettbewerb der 74. Berlinale ist „Architecton“ eher ein Kuriosum. Oder man könnte auch sagen: Das Festival hatte das Pech, einen der größten lebenden Dokumentaristen bei einem nicht ganz so überzeugenden Werk zu treffen.


Bei der Berlinale 2024 spekulieren wir: Das tipBerlin-Bärometer ist die Chancen-Prognose für den Goldenen Bären. Bei „Architecton“ sehen wir die Chancen auf den Hauptpreis bei 40 Prozent. Besser sieht es da für andere aus: zum Beispiel für den iranischen Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“ (zur Kritik), den Berlinale-Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ oder für „In Liebe, Eure Hilde“ mit der famosen Liv Lisa Fries. Gewonnen hat den Goldenen Bären dann am Ende der Dokumentarfilm „Dahomey“. Unsere Rezension zum Siegerfilm der Berlinale 2024.


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