Interview

Charly Hübner über „Sophia, der Tod und ich“, Wacken und Buckow

Charly Hübner stand immer wieder vor der Kamera, nun führt er zum ersten Mal Regie bei einem Spielfilm: Er hat Thees Uhlmanns Roman „Sophia, der Tod und ich“ verfilmt. In den Hauptrollen: Anna Maria Mühe und Dimitrij Schaad, den der Tod (Marc Hosemann) holen will – woraufhin stattdessen ein Road Trip beginnt. tipBerlin-Autor Frank Arnold hat sich mit Charly Hübner zum Gespräch über Regie-Vorbilder, Arbeit am Set und kommende Projekte getroffen.

Charly Hübner hat „Sophia, der Tod und ich“ verfilmt. Es ist das Debüt des Schauspielers als Spielfilmregisseur. Foto: DCM/Stephan Rabold

Charly Hübner: In dem Moment, wo du nicht weißt, was du tun sollst, spielst du um dein Überleben, auch in einer Komödie“

tipBerlin Herr Hübner, wenn Schauspieler ins Regiefach wechseln, nimmt man an, sie arbeiten dann mit ihren ehemaligen Kollegen auf eine sehr vertraute und zugewandte Art, also etwa mit vielen Proben. Stimmt das?

Charly Hübner Naja, das ist in dem Fall natürlich so gewesen, zudem ich fast alle auch schon aus persönlichen Zusammenarbeiten kannte, aber auf einer anderen Seite interessieren mich schon immer formale Wege und methodische Ansätze, und ich hatte Glück, dass ich in den letzten 15 Jahren in der Arbeit einige große Regisseure und Regisseurinnen erleben durfte. Und als klar war, dass das mit der Regie zustande kommt (das hat ja doch lange gedauert), habe ich doch genau hingesehen: wie macht Matti Geschonneck das? Wie führt Andi Dresen ein Set, wie führt er die Schauspieler? Wie macht Thomas Stuber das? Das ist ein strenger Regisseur, aber die Spieler werden immer leicht geführt. Wie arbeitet Castorf? Karin Henkel? Was alle eint, ist diese erste Runde. Die lassen sie den Spielern. Und danach erst fangen sie an, zu sortieren. Und da habe ich mich auch als Spieler am meisten wohl gefühlt.

Also habe ich gesagt, wir machen es hier auch so: Wir lassen die erste Runde den Spielerinnen und Spielern, und danach kennen wir die Szene und sortieren oder ändern. Du lernst die Szene als Spieler besser kennen, wenn du sie ernst nimmst. In dem Moment, wo du nicht weißt, was du tun sollst, spielst du um dein Überleben, auch in einer Komödie. Also haben wir in allen Szenen uns nur die Spielräume angeschaut und gleich gedreht. Nicht geprobt und in den folgenden Takes dann verfeinert. Dadurch haben wir hier ganz früh gewusst, worum es geht und worum es nicht geht. 

tipBerlin Hatten Sie den Roman von Thees Uhlmann schon gelesen, als das Angebot von DCM kam?

Charly Hübner Das lag genau übereinander. Ich bin ein Fan von Thees und auch seiner Band Tomte. Ich habe mir das Buch gekauft, und zwei Tage später hat die DCM angerufen und mir das angeboten. Das fand ich lustig, ich habe die erste Szene gelesen, habe an die Marx Brothers denken müssen, habe sofort Marc Hosemann gesehen, weil der auch in der Aura der Marx Brothers agiert, und gedacht, allein wegen der Szene müssen wir den Film machen. Am nächsten Tag habe ich dann zugesagt. Natürlich habe ich mich damit weit aus dem Fenster gelehnt.

Von links: Johanna Gastdorf, Dimitrij Schaad, Anna Maria Mühe und Marc Hosemann in Charly Hübners Film „Sophia, der Tod und ich“. Foto: DCM/Mike Krueger

tipBerlin Wie weit mussten Sie Sich von der Romanvorlage entfernen, damit das Ganze filmisch funktionierte?

„Sophia, der Tod und ich“: Die Aura von Thees soll erhalten bleiben

Charly Hübner Das Wichtigste war mir, dass die Aura von Thees erhalten bleibt, die Lässigkeit seiner Erzählung und seiner Art zu erzählen. Die ganze Familiengeschichte von Sophia, auch wie sie und Reiner als Liebespaar waren, fiel raus. Wir mussten uns irgendwann auf diese einfache Reise konzentrieren. 

tipBerlin Viel hängt an der Balance zwischen tragischen und komischen Elementen.

Charly Hübner Bei Morten, also der von Marc Hosemann gespielten Figur des Todesboten, habe ich, wie gesagt, sofort an die Marx Brothers gedacht. Die Figur der Sophia und auch die Mutter haben eine ganz andere Aura. Und auch die Melancholie von Reiner ist verkapselt, der ist Protagonist und Antagonist in einer Figur – und ich muss den ganzen Film dafür nutzen, dass er das Empfinden wieder zulässt. Das ist seine eigentliche Reise, das ist die Herausforderung. Genau wie bei Sophia, dass die aus dieser Härte herauskommt – und bei der Mutter, dass sie nicht immer die Welt in ‚ja‘ oder ’nein‘ einteilt. Alle lernen fühlen, sogar Morten.

tipBerlin In Jan Gregor Schüttes Produktionen, „Klassentreffen“ oder „Das Begräbnis“, haben Sie nach dessen Impro-Methode gearbeitet. Hat die bei „Sophia, der Tod und ich“ eine Rolle gespielt?

„Wo geht es um genaues Timing und wo ist die Leine lässig?“

Charly Hübner Nein, hier ging es um diese Mischung: wo geht es um genaues Timing und wo ist die Leine lässig? Die einzigen, die hier improvisiert haben, sind Lina Beckmann als Erzengel und Josef Ostendorf als G. zum Ende ihrer gemeinsamen Szenen, so wie klassische Shakespeare-Clowns: „Ich hab‘ die Pointe!“ – “Nein, ich hab die Pointe!“ Diese Szenen sind alle deutlich länger improvisiert, als sie jetzt im Film sind.

tipBerlin Gibt es schon Nachfolgeprojekte?

Charly Hübner Eine ganze Liste. Mal sehen, wer es bezahlt. (lacht). Also es gibt nichts Konkretes, aber ein Suchen. Zum Beispiel bin ich seit einer Weile im Gespräch mit Lutz Seiler zu seinem „Stern 111“.

Charly Hübner: „Element of Crime sind immer noch da und schenken ihre Lieder“

tipBerlin Sie planen aktuell einen Film über die Band ‚Element of Crime’…

Charly Hübner Der ist fast finanziert, der muss auch gedreht werden, weil die Band jetzt auf Tournee geht. Wir nehmen auf jeden Fall die fünf Konzerte hier in Berlin mit, das ist die Hauptachse, und für den Rest will ich – wie schon bei ‚Feine Sahne Fischfilet‘ – sehen, was diese Tage ergeben. Was machen die, wenn die Lichter ausgehen? Die haben sich gegründet, als Berlin noch diese ‚Schwarzweiß Frontstadt‘ war, das war eine Zeit, da gab es die Ärzte, Einstürzende Neubauten, Rainbirds, Inga Humpe, und dann haben sie einfach eine Platte nach der nächsten gemacht und nun sind fast vierzig Jahre rum, Berlin war Rave-Hauptstadt und ist heute ein anderer Ort als einst, und Element of Crime sind immer noch da und schenken ihre Lieder. 

tipBerlin Ich sehe eine große musikalische Affinität bei Ihnen: Thees Uhlmann, Sven Regener (auf dessen Roman der Film „Magical Mystery“ basiert), Ihr eigener Film „Wildes Herz“, kürzlich Ihre Rolle als einer beiden Festivalgründer in „Legend of Wacken“. Haben Sie mal eine Karriere als Musiker angestrebt?

Charly Hübner Nie richtig angefangen! Das Thema war immer da, ich habe mir mit 15 Jahren Gitarre spielen beigebracht, damals hörte ich Metalpunk, alles, was mit Verstärker und Gitarre war. Es war aber Anfang der 1990er-Jahre nicht so einfach. Nach dem Abitur habe ich als Regieassistent am Theater angefangen und habe parallel immer Songs geschrieben, hatte auch eine kleine Band, hab in einer anderen Band Bass gespielt, aber es gab keine technischen Möglichkeiten, ein Demoband aufzunehmen, ich fand in Mecklenburg keine Kompagnons, keiner wollte sich hinter das Schlagzeug setzen, die machten alle Rave oder Elektronik. Schließlich dachte ich: Schauspielerei – vielleicht klappt das schneller. Als ich später in Zürich am Theater war, habe ich mir wieder eine E-Gitarre gekauft. Ich spiele jeden Tag Gitarre zuhause, aber allein.

tipBerlin Auch jemand wie Sven Regener konnte Sie nicht für ein gemeinsames musikalisches Projekt gewinnen?

Charly Hübner Bis jetzt noch nicht. Mit Rocko Schamoni haben wir mal eines angedacht, aber das ist erst mal an der Zeit gescheitert; gerade habe ich mit Aurel Manthei, der in der „Wacken“-Serie den anderen Gründer des Festivals verkörpert, überlegt: eigentlich wäre das doch geil, einmal noch bis zur Rente eine Metal-Platte zu machen. Das würde mich am meisten interessieren.

tipBerlin Ihren Namen verbinden viele mit dem Rostocker „Polizeiruf 110“, in dem Sie über zwölf Jahre in 24 Folgen mitwirkten. War das jetzt für Sie auserzählt, dass Sie damit aufgehört haben?

„Ich muss aus dieser sich in mir verfestigenden Buckow-Figur raus und woanders hin“

Charly Hübner Anneke Kim Sarnau und ich haben uns ganz früh gefragt, ob das jetzt Lebensrollen werden oder nur ein Stück Zeit. Wir waren gespannt, was uns erwartet, und uns erwarteten diese ganzen guten Geschichten, wo ich dachte: cool – wir schaffen es, durch dieses Format in gesellschaftliche Bereiche hineinzukommen, die die Figuren auch erschüttern. Irgendwann blieb das dann so ein bisschen aus, es setzte eine Liebesgeschichte ein, das war für mich aber eigentlich nie das Thema.

Die Idee, wie ich es für mich interpretiert hatte, und so war es auch gemeint eingangs: wir erzählen Korruption. Und wir erzählen diese Schwierigkeit von zwei Figuren, die sehr gegensätzlich strukturiert sind. Du kommst – auch in einer Kleinstadt wie Rostock, wo es maximal zwei ungeklärte Todesfälle pro Jahr gibt – um diese Grenze zwischen Gesetz und Nicht-Gesetz nicht herum, du musst dich täglich damit befassen – was macht das mit einem Menschen? Zudem habe ich auch gemerkt, wenn ich andere Figuren spiele, muss ich aus dieser sich in mir verfestigenden Buckow-Figur raus und woanders hin. Mir ist das wichtig, den Körper immer neutral zu kriegen, bevor ich eine andere Rolle anfange, weil jede Rolle ja auch ihre eigene Lautstärke hat. Die Figur in „Mittagsstunde“ etwa ist ein völlig leiser Mann.

  • Sophia, der Tod und ich Kinostart 31.8.2023

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