Kultband

Tocotronic in Berlin: Eine Bilderreise durch 20 Jahre

Tocotronic sind vor allem als Hamburger Band bekannt. Spätestens seit dem Abschluss ihrer Berlin Trilogie, an der sie zwischen 2004 und 2010 in der Hauptstadt arbeiteten, können sie jedoch längst in einem Atemzug mit den wichtigsten Berliner Bands genannt werden. Die Veröffentlichung ihres dreizehnten Studioalbums „Nie wieder Krieg“ am 28. Januar und das dazugehörige Livestream-Konzert aus dem SO 36 möchten wir daher mit einer musikalischen Bilderreise zelebrieren. Von 2002 bis 2022, zwischen Plattenbauten, Tonstudios, Bühnen und Comics: 20 Jahre Tocotronic in Berlin.


Tocotronic in Berlin: Hi Plattenbauromantiker

Tocotronic zwischen Plattenbauten in Berlin. Foto: Imago/Götz Schleser

„Hi Freaks“, willkommen in Berlin. Bei einem Fotoshooting 2002 posiert die Hamburger Band vor verschiedenen gewöhnungsbedürftigen Kulissen. Besonders kühle Plattenbauästhetik scheint es Jan Müller, Dirk von Lowtzow und Arne Zank angetan zu haben. Im selben Jahr erscheint ihr sechstes Studioalbum „Tocotronic“, das aufgrund der Selbstbetitelung, der minimalistischen Gestaltung und der Beatles-Hommage oft als „Weißes Album“ bezeichnet wird. Songs wie „This Boy is Tocotronic“ oder „Hi Freaks“ werden zu Hits.


Hochkultur meets Popkultur auf der Museumsinsel

Tocotronic in Berlin: Angemessenes Ambiente: Tocotronic beim Radio1-Sommerfest auf der Museumsinsel. Foto: Imago/POP-EYE/Bilan

Ein Open-Air-Konzert auf der Museumsinsel lässt man sich normalerweise nicht entgehen, besonders dann nicht, wenn es vom Lieblingsradiosender organisiert wird. 2003 ist Tocotronic daher selbstverständlich bei der „großen radio EINS-Sommerparty“ dabei und lässt gemeinsam mit Patrice und P.R. Kantante Hochkultur und Popkultur vor der Alten Nationalgalerie, die natürlich zu den wichtigsten Berliner Museen gehört, verschmelzen.


Tocotronic in Berlin: „Kapitulation“ im Neuköllner Tonstudio

Tocotronic im Neuköllner Tonstudio Chèz Cherie. Foto: Imago/BRIGANI-ART/HEINRICH

2007 erscheint mit „Kapitulation“ eines der wichtigsten Alben der Band Tocotronic. Ein Jahr nach der Weltmeisterschaft in Deutschland soll die Platte mit dem weinenden Mann auf dem Cover laut Dirk von Lowtzow einen Gegenentwurf zur nationalistischen Aufbruchsstimmung darstellen. Die Songs sind angriffslustig, radikal, direkt oder kapitulierend pessimistisch, was nicht zuletzt an der Live-Einspielung und der krachigen Produktion von Moses Schneider liegt. Das Album entstand zum größten Teil im Neuköllner Studio Chèz Cherie.


Augenschmaus in der Volksbühne

Tocotronic in Berlin: Konzert in der Volksbühne. Foto: Imago/BRIGANI-ART/Bartilla

Tocotronic und die Berliner Volksbühne, das passt einfach zusammen. 2007 präsentierte die Band ihr achtes Studioalbum „Kapitulation“ in einer exklusiven Show in dem legendären Theater am Rosa-Luxemburg-Platz. Auch zum neuen Album „Nie wieder Krieg“, das am 28. Januar erscheint, sollte eine Release-Party in der Volksbühne stattfinden, das leider aufgrund der Infektionslage abgesagt werden musste. Stattdessen gibt es ein Live-Stream-Konzert aus dem SO 36, das auf YouTube und radioeins übertragen wird. Tocotronic wird in Zukunft aber sicherlich wieder die Volksbühne bespielen.


Tocotronic in Berlin: Pogo-Party im SO 36

Punk-Action im SO 36. Foto: Imago/POP-EYE/Christina Kratsch

Es ist mal wieder soweit: Der erste Mai in Kreuzberg: Punk, Protest, Poilzei, Pöbelei, Party und Pogo. Für den Pogo sorgt 2015 tatsächlich die „Intellektuellen“-Band Tocotronic und das, obwohl sie eigentlich ihr sanftes Liebes-Album, das von Fans und Feuilleton als „Rotes Album“ bezeichnet wird, vorstellen wollen. Die Energie im SO 36 und das vor der Haustür tobende Myfest verwandeln die Romanzen in Pogo-Perlen. Band und Publikum tanzen sich in Ektase. Zweifelsohne ein legendäres Konzert.


Dirk, mach kein Theater

Tootronic in Berlin: Dirk von Lowtzow macht 2015 auch Oper. Foto: Imago/Bresadola/drama-berlin.de

Im selben Jahr liefert Dirk von Lowtzow einen ordentlichen Kontrast zur 1.-Mai-Eskalation im SO 36 und dem romantischen roten Konzeptalbum ab. Gemeinsam mit dem Regisseur René Pollesch hat der Tocotronic-Sänger eine Oper geschrieben. „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ heißt das Werk, das in der Volksbühne aufgeführt wird. Von einer Oper im herkömmlichen Sinn kann man nicht sprechen, auch nicht von komplexer Gentrifizierungskritik, wie es der Titel vermuten lässt. Das abgedrehte Stück rund um einen Killerwahl macht trotzdem Spaß.


Friede, Freude, Eierkuchen beim Lollapalooza im Treptower Park

Live beim Lollapalooza Festival im Treptower Park. Foto: Imago/Martin Müller

Auf dem Lollapalooza 2016, zwischen Henna-Tattoos, H&M-Kollektionen, Food-Trucks und Friede, Freude, Eierkuchen, steht plötzlich Tocotronic auf der Bühne im Treptower Park zwischen Ehrenmal und Spreeufer . Dirk von Lowtzow macht eine Ansage: „Dieses Lied ist gegen alle Chauvinisten und Nationalisten.“ Die Menge jubelt und die repetitive Urgewalt „Aber hier leben, nein danke“ beschert unserem Autor seinen ersten unvergesslichen Tocotronic-Moment.


Tocotronic in Berlin: Roadmovie mit Dirk

Dirk von Lowtzow bei der Premiere von Fatih Akins „Tschick“ im Kino International. Foto: Imago/POP-EYE/Christina Kratsch

Fatih Akins Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ war ein großes Ereignis. Der gefeierte Berlin-Roman, in dem zwei unbeliebte Außenseiter in einem gestohlenem Lada durch Ostdeutschland reisen, liefert den perfekten Kinostoff. Neben den beiden wunderbaren Jungschauspielern trägt, wie es sich für ein gutes Roadmovie gehört, auch der passende Soundtrack zur tollen Stimmung des Films bei. Auch Dirk von Lowtzow und die Beatsteaks sind mit einer gemeinsamen Coverversion des Stereolab-Klassikers „French Disco“ mit von der Partie.


Rick McPhail spielt auf seiner Lego-Gitarre

Tocotronic in Berlin: Rick McPhail spielt in der Waldbühne auf einer Gitarre aus Lego-Steinen. Foto: Imago/Martin Müller

Der gebürtige US-Amerikaner Rick McPhail ist seit 2004 offizielles Tocotronic-Mitglied. Bereits vorher hatte er die Band als Roadie und Musiker unterstützt. Besonders sein markantes Gitarrenspiel gehört inzwischen zu den wichtigsten Stilmerkmalen von Tocotronic. Immer wieder entlockt Rick McPhail seinen außergewöhnlichen Gitarren unverwechselbare Sounds. Besonders abgefahren ist seine rot-weiße Gitarre aus echten Lego-Steinen, die er unter anderem bei einem großen Auftritt in der Waldbühne präsentiert.


Tocotronic in Berlin: Sommerspaß in der Waldbühne

Tocotronic spielen ein Sommerkonzert mit den Beatsteaks in der Waldbühne. Foto: Imago/POP-EYE/Christian Behring

Die Waldbühne gehört zweifelsohne zu Berlins schönsten Open-Air-Bühnen. Im Sommer 2018 spielt die Berliner Lieblingsband Beatsteaks ein ausverkauftes Konzert vor 22.000 Fans. Als Vorband für diesen feierlichen Anlass steht Tocotronic auf der riesigen Bühne. Danach heizen die Beatsteaks ordentlich ein und schütteln noch so einige Überraschungen aus dem Ärmel: Neben Gastauftritten von Dirk von Lowtzow, der gemeinsam mit Arnim Teutoburg-Weiß „French Disko“ singt, und den Partygaranten von Deichkind kehrt mit den Ärzten, die die Berliner Musikgeschichte prägten, sogar „die beste Band der Welt“ zurück. Was für ein Live-Spektakel!


Comic-Kunst für Comic-Fans

Tocotronics „Warte auf mich auf dem Grund des Swimming-Pools“ von Julia Bernhard. Foto: Ventil Verlag

Die Mitglieder von Tocotronic sind bekennende Comic-Fans. Auf das Songcomic „Sie wollen uns erzählen“ sind sie daher sicherlich besonders stolz. Es handelt sich dabei um einen großartigen Band mit zehn Comic-Adaptionen von zehn Tocotronic-Titeln. Jim Avignons „Digital ist besser“– der Berliner Künstler hat übrigens einige tip-Cover entworfen – kommt als bunt-expressionistischer Streifzug daher. Tine Fetz hat „Der schönste Tag in meinem Leben“ als melancholischen Spaziergang in klaren Schwarz-Weiß-Bildern gezeichnet.

„Aber hier leben, nein danke“ von Eva Feuchtner ist eine visuelle Impression aus Schwarz, Weiß und Orange und Philip Waechters „Electric Guitar“ eine im Stil von Underground-Comics gehaltene Coming-of-Age-Story. Zu jedem Song hat Dirk von Lowtzow kurze Texte verfasst, die mal anekdotisch und mal reflektierend die Entstehungsgeschichte beschreiben. Ein wunderbares Zusammenspiel von Musik, Bandgeschichte, Eigeninterpretation und Comic-Kunst.


Tocotronic in Berlin: Wohnzimmer-Pazifismus

Tocotronic kurz vor der Premiere ihres 13. Studioalbums „Nie wieder Krieg“. Foto: Gloria Endres de Oliveira

Tocotronic blicken auf eine lange Bandgeschichte zurück. Die Haare sind teilweise grau geworden, die kultigen Trainingsjacken wurden gegen feinen Zwirn eingetauscht. Doch auch nach fast 30 Jahren Bandgeschichte ist noch lange nicht Schluss. Ihr neues Werk „Nie wieder Krieg“, das am 28. Januar erscheint, ist bereits das 13. Studioalbum von Tocotronic. Wir freuen uns auf die neue Platte und auf viele weitere Jahre…


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