Politik

Symbolkraft: Wie am Brandenburger Tor Politik inszeniert wird

Am 19. September besprühten Aktivist:innen der „Letzten Generation“ die Säulen des Brandenburger Tors mit Farbe. Nicht zum ersten Mal wurde das Wahrzeichen Berlins als Ort der politischen Inszenierung genutzt. In dieser Bilderstrecke zeigen wir euch die vielen Verwandlungen des Langhans’schen Bauwerks. Das Brandenburger Tor und seine „Gestaltungen“: Vom 18. Jahrhundert bis heute.

Das Brandenburger Tor mit den von Aktivist:innen der letzten Generation besprühten Säulen. Foto: Imago/STPP

1792: Ein „Friedensthor“ am Tiergarten

1792 wird das Brandenburger Tor ohne pompöse Zeremonie eingeweiht. Selbst der damalige Preußische König, Friedrich Wilhelm II., schien nicht anwesend zu sein. Gewünscht hatte er sich einen prunkvollen Neubau für das alte Stadttor nach Brandenburg – entstanden ist ein Meisterwerk des Klassizismus nach einem Entwurf von Carl Gotthard Langhans. Aufgrund seines Bildprogramms wurde dem Brandenburger Tor per ministeriellem Erlass der Name „Friedensthor“ zugesprochen – eine Bezeichnung, die sich mit ihrem Pathos bei uns Berliner:innen zum Glück nie durchsetzte.


1806: Von Sieg und Schmach – Napoleons Triumphzug und die Quadriga als Kriegsbeute

Napoleons Pferde scheitern am Abtransport der Quadriga aus Berlin. Karikatur „Übermuth nahm sie – Tapferkeit bringt sie zurück“ von Daniel Berger 1814. Foto: E. Frensdorff, Public domain, via Wikimedia Commons

Erstmals im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand der klassizistische Bau 1806: Napoleon hatte die Preußen besiegt und veranstaltete (ironischerweise) den ersten Triumphzug durch das Brandenburger Tor. Als Kriegsbeute beschlagnahmte er die Quadriga und brachte sie nach Paris. Eine Schmach für den Staat der Hohenzollern.


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1813: Die Rückkehr der Quadriga und die Schaffung eines Preußischen Siegessymbols

Die Attika des Brandenburger Tors mit der Quadriga. In dem Wagen steht die geflügelte Viktoria, in ihrer linken Hand hält sie den Stab mit Eichenlaubkranz, Eisernem Kreuz und gekröntem preußischen Adler. Foto: Imago/Frank Sorge

Springen wir in das Jahr 1813: in der Völkerschlacht von Leipzig besiegt eine Koalition mit Preußen Napoleons Frankreich. Nun musste die Geschichte der Quadriga sofort wieder geradegerückt werden. Unverzüglich wurde die Quadriga auf königlichen Befehl hin gesucht, gefunden, nach Berlin gebracht und mit einem Entwurf des damaligen Star-Architekten Karl Friedrich Schinkel ergänzt. Sie stand nun mit den preußischen Insignien, dem gekrönten Adler, Eichenkranz und Eisernem Kreuz auf dem Tor. Das neue Bildprogramm wurde mit dem ersten preußischen Triumphzug durch den Bau 1814 feierlich eingeweiht und das Brandenburger Tor am heutigen Pariser Platz wurde zum Symbol für den preußischen Sieg über Frankreich.


Das Brandenburger Tor zur Zeit des Kaiserreichs: Verkleidungen und Verhängungen

Sedan – welch eine Wendung durch Gottes Führung. Das Bildprogramm des „Friedenthors“ wird von militaristischen Bannern überdeckt. Foto: Walter Stein, 1895, Scanned by Immanuel Giel, Public domain, via Wikimedia Commons

Nach den drei Einigungskriegen 1866, 1868 und 1871 (der letzte und wohl wichtigste wieder gegen Frankreich) wurde das deutsche Kaiserreich gegründet – und das Brandenburger Tor, das ja schon seit 1814 für den Sieg gegenüber Frankreich und die militärische Stärke Preußens stand, wurde zu einem der wichtigsten Wahrzeichen des Deutschen Kaiserreichs. Bei Triumphzügen, wie zum 25. Jahrestag der Schlacht bei Sedan am 1. September 1895 wurde das Tor prunkvoll verkleidet und ausgeleuchtet. An das „Friedensthor“ von 1792 erinnerte kaum noch etwas.


1928: Ein modernes Berlin vergisst den Kaiser und öffnet das Brandenburger Tor

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte sich viel in Berlin. Die goldenen Zwanziger machten auch vor dem Brandenburger Tor nicht halt – da die Monarchie nun nicht mehr existierte, wurde der mittlere Durchgang für alle Berliner:innen geöffnet. Bis zur Abdankung Friedrich Wilhelms II. 1918 war der mittlere Durchgang nur Angehörigen der Kaiserlichen Familie und ihren Besucher:innen vorbehalten. Passend, dass von da an auch der Tourismusverband Berlins das Brandenburger Tor für Werbezwecke nutzte – aber in einer vereinfachten Form, in der die preußischen Insignien der Quadriga nicht mehr erkennbar sind.


1933: Der Fackelmarsch der Nationalsozialisten und die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler

Die Nationalsozialisten banden das Tor in ihre propangandistischen Zwecke ein. Foto: Imago/Arkivi

Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, zogen uniformierte Nationalsozialisten der SA, der SS und des Stahlhelms mit Fackeln durch das Brandenburger Tor. Das Tor wurde wieder als Symbol militärischer Stärke Preußens (bzw. Deutschlands) heraufbeschworen und für propagandistische Zwecke inszeniert. So etwa im Januar 1936, als die Nationalsozialisten den Fackelzug vom 30. Januar 1933 für einen Propagandafilm nachstellten. Dann natürlich mit viel mehr Fackelträgern.


1958: Was hält Viktoria in ihrer Hand? Das Brandenburger Tor zwischen Ost und West

Die Quadriga wird nach Entfernung der preußischen Militärsymbole auf dem Brandenburger Tor angebracht. Foto: Bundesarchiv, Horst Sturm, Attribution-ShareAlike 3.0 Germany (CC BY-SA 3.0 DE)

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Berlin in Trümmern und auch das Brandenburger Tor ist beschädigt. Der Grundbau ist zwar noch einigermaßen erhalten, doch die Quadriga ist zerstört. Erst 1958 wird das Wahrzeichen vollständig rekonstruiert, dabei kommt es zum Eklat: Angelegt als Gemeinschaftsprojekt zwischen Ost und West, wurden der Quadriga, die im Westen gegossen wurde, bei ihrer Installation im Osten das Eiserne Kreuz und der gekrönte preußische Adler entfernt. Ein Skandal in West-Berlin. Stattdessen thronte die Flagge der DDR über dem Kopf der Viktoria.


1963: Zugebaut und Zugehängt: John F. Kennedy darf keinen Blick nach Osten werfen

Das verhängte Brandenburger Tor am Besuch John F. Kennedys 26.06.1963. Foto: Robert Knudsen. White House Photographs. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston KN-C29207, Public domain, via Wikimedia Commons

Es war ein skurriles Bild: Ein offenes Tor wurde durch eine Mauer zugebaut. Doch noch konnte zumindest ein Blick durch den Bau geworfen werden. Als John F. Kennedy 1963 Berlin besuchte, stand neben einer Rede vor dem Rathaus Schöneberg auch ein Besuch der Ost-West-Grenze am Brandenburger Tor auf dem Programm. Zu diesem Anlass wurde von der DDR-Führung ein Geschenk vorbereitet: die Durchgänge des Tores wurden von riesigen Tüchern mit DDR-Wappen verhängt – selbst mit Blicken durfte die DDR nicht betreten werden.


Silvester 1990 am Brandenburger Tor: Ein Symbol für Einheit, Frieden und Freiheit & Graffiti im Freudentaumel

Die erste deutsch-deutsche Silvesterfeier am Brandenburger Tor, damals noch ohne Bühne, dafür mit Menschen auf dem Dach. Foto: Imago/Jochen Tack

„Mr Gorbatchev, open this Gate“, forderte der amerikanische Präsident Ronald Reagan im Juni 1987. Zwei Jahre später wurde die Forderung Realität, die Mauer fiel und Berlin befand sich im Freudentaumel. Das angesoffene Lebensgefühl hatte auch seine Auswirkungen auf das Brandenburger Tor, in der Silvesternacht wurde nicht nur davor gefeiert (eine Tradition, die bis heute anhält), sondern auch darauf. Mit Böllern wurde die Quadriga so stark beschädigt, dass sie nochmals neu angefertigt werden musste (seitdem trägt sie wieder die preußischen Insignien mit Kreuz und Adler) und bis heute sind im Gebälk des Baus Graffitispuren erkennbar. Erinnerungen an eine beseelte Nacht.


2008: Krumm und schief auf den U-Bahn Fenstern – und aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken

Eine verhunzte Darstellung des Brandenburger Tors in einem Fenster auf der Linie U1. Mittlerweile haben wir uns an den schiefen Charme gewöhnt. Foto: Imago/Hohlfeldt

Im Jahr 2008 entschied sich die BVG für das Brandenburger Tor als Motiv auf den Kratzschutzfolien der U-Bahn-Fenster. Wieso sie allerdings das Berliner Wahrzeichen krumm und schief darstellten, bleibt bis heute unklar. War da der Praktikant am Werk? Auf jeden Fall begleitet uns das Tor seitdem fast jeden Tag auf unseren zahlreichen Wegen mit der Berliner U-Bahn.


Heute: Das Brandenburger Tor ist ein Symbol mit Internationaler Reichweite

Als Nationales Wahrzeichen wird das Brandenburger Tor immer wieder angestrahlt. So etwa am 24.02.2023 anlässlich des Jahrestags des Russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Foto: Imago/Olaf Schuelke

Heute ist das Brandenburger Tor eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt Berlin und auch Deutschlands. Deshalb wird es immer wieder medienwirksam in Szene gesetzt und etwa in den Farben der ukrainischen Landesflagge angestrahlt, um Solidarität zur Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg zu bekunden.


September 2023: Die „Letzte Generation“ der politischen Inszenierung am Brandenburger Tor?

Das Brandenburger Tor hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen überstanden. Foto: Imago/Achille Abboud

Ob die Protestaktion der „Letzten Generation“ vom 19. September 2023 in den Schatz der öffentlichen Erinnerung eingehen wird, bleibt an dieser Stelle offen. Sicher ist aber: Mit der Farb-Besprühung des Tors reihen sie sich in eine lange Reihe der politischen Inszenierung des mehr als 200 Jahre alten Baus ein.


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