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Zukunft deutsches Kino: Notizen vom Filmfest München

Über den aktuellen Stand des deutschen Films kann man anlässlich vieler Festivals informieren, vor allem auch beim Filmfest München, das 2023 sein 40-jähriges Jubiläum feierte. Mit insgesamt 70.000 Euro Preisgeld in vier Kategorien ist die Reihe Neues Deutsches Kino für Filmemacher allemal attraktiv. tipBerlin-Filmkritiker Frank Arnold war vor Ort und benennt die besten Titel.

„Monster im Kopf“ von Christina Ebelt: Der Film wurde auf dem Filmfest München gezeigt. Foto: FFM

Differenzen zum Clashen bringen beim Filmfest München

Der Nachwuchs ist beim Filmfest München durchaus vertreten, in diesem Jahr mit gleich drei Filmen, die in Zusammenarbeit mit der Münchener Filmhochschule HFF entstanden, zwei davon als Abschlussarbeiten. Merle Grimme begibt sich in „Clashing Differences“ auf Konfrontationskurs, zwischen traditionellen Feministinnen (älter und weiß) und eher jüngeren diversen und PoC, die anlässlich einer Seminarveranstaltung im Brandenburgischen aneinandergeraten. Da kollidieren ausgeprägte Egos, und jede der Beteiligten wähnt die Wahrheit auf ihrer Seite – ausgezeichnet mit dem Preis für das beste Drehbuch.

Demgegenüber verharren die jungen Protagonist:innen der anderen beiden Filme eher in ihrem eigenen Umfeld, die drei Abiturientinnen, die in „Dead Girls Dancing“ von Anna Roller (Jahrgang 1993) zu einem Italienurlaub aufbrechen, der als kleiner Horrortrip endet, die befreundeten Expats in Sylvain Cruiziats (Jahrgang 1995) dokumentarischem „Boyz“, deren (Party-)Zeit in München sich dem Ende zuneigt – Fingerübungen.

„Leere Netze“ von Behrood Karamizade. Bild: FFM

Münchner Filmfest: „Black Box“ und „More than Strangers“

Bundesdeutsche Wirklichkeit, verdichtet in einem Mikrokosmos, zeigten sowohl Asli Özges „Black Box“ (mehr darüber im August-Heft des tipBerlin) in einem Berliner Mietshaus, in dem eine großangelegte Modernisierung ansteht, auf die die Betroffenen in unterschiedlichster Weise reagieren, und Sylvie Michels „More than Strangers“ (Regiepreis) in einem Carsharing-Auto auf dem Weg nach Paris, beide intensiv erzählt, wenn man auch manchmal den Figuren mehr Freiheiten gewünscht hätte. Ebenso geht es in Erol Afsins Debütfilm „Es brennt“ (mit Kida Khodr Ramadan) um rassistische Vorurteile, doch in der Gegenüberstellung mit dem harmonischen Familienleben einer arabischen Kleinfamilie, die deren Opfer wird, verliert der Film die Dynamik seiner dramatischen Szenen.

Deutsches Kino in vielen Sprachen beim Filmfest München

Die Verbindung interessanter Figuren mit genremäßigem Suspense funktionierte  im Regiedebüt des Schauspielers Dennis Moschitto (inszeniert gemeinsam mit Daniel Rakete Siegel), „Schock – Kein weg zurück“, in dem Moschitto einen Arzt spielt, der seine Approbation verloren hat und jetzt Kriminelle und Prostituierte behandelt – alle, die nicht in ein Krankenhaus können oder wollen. Irgendwann nimmt er jedoch einen Auftrag an, der einige Nummern zu groß ist für ihn. Ebenso schnörkelloses Genrekino bot Maximilian Erlenwein in seinem dritten Langfilm „The Dive“ über zwei taucherfahrene Schwestern im Kampf mit dem Wasser und der Zeit. In englischer Sprache gedreht, zeigte sich nicht nur hier die Internationalisierung der Filmbranche.

Mit Behrooz Karamizades „Leere Netze“ lief eine deutsch-iranische Koproduktion, gedreht auf Farsi. Im Rahmen einer Romeo-und-Julia-Geschichte entfaltet sich ein weiteres Mal das im iranischen Kino so zentrale Thema von Integrität, Anpassung und Korruption, wenn der Protagonist fernab von seiner Geliebten harte Arbeit als Fischer verrichten muss und dabei nur durch illegale Zusatztätigkeiten über die Runden kommt, sich dadurch seiner Braut ebenso entfremdet wie dem Zuschauer.

Aber das traf auf viele der Protagonisten dieser Filme zu: dass sie nicht für ein Wohlfühlkino standen, sondern sich als ziemlich sperrige Identifikationsfiguren erwiesen. Am meisten gilt das für die beiden Filme, die für mich die Höhepunkte des Programms markierten: in Christina Ebelts „Monster im Kopf“ brilliert Franziska Hartmann als hochschwangere Strafgefangene, die darum kämpft, dass ihr Neugeborenes bei ihr bleiben darf. Rückblenden auf ihr Leben vor dem Knast enthüllen nach und nach, was sie damals tat, und setzen den Zuschauer einem Wechselbad der Gefühle aus.

„Fossil“ von Henning Beckhoff. Bild: FFM

Ähnlich starrköpfig ist Markus Hering in „Fossil“ von Henning Beckhoff als Tagebauarbeiter, der nach vierzig Jahren in dieser Tätigkeit nicht bereit ist, den bevorstehenden Kohleausstieg und die damit verbundene Zerstörung seiner Maschinen zu akzeptieren. Während seine Tochter mit anderen Öko-Aktivisten gegen die Umweltzerstörung demonstriert, schwankt er zwischen privaten Racheaktionen und fortwährenden Belehrungen seiner Kollegen. Für dieses eindringliche Porträt, das eine konkrete Industrielandschaft mit universellen Aspekten verband, gab es den – undotierten – Preis der Filmkritikerjury (der der Verfasser angehörte). Auf den Kinostart darf man sich freuen.


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