Politik

Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen: Geht’s jetzt los?

Die Expertenkommission zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hält die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen für rechtlich machbar. Ihr Abschlussbericht gibt juristisch grünes Licht dafür. Geht’s jetzt los?

Vergesellschaftung großer Wohnungsungternehmen? Kann losgehen, wenn man die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ fragt. Das Foto stammt von einer Demonstration gegen hohe Mieten im März 2023. Foto: Imago/Peter Homann

Expertenbericht zur Vergesellschaftung: Grünes Licht

Das ist also das Ding. Die große Verheißung. Die Vergesellschaftungs-Fibel. Das blaue Buch der Hoffnung und der Angst.

Die 13 Expert:innen, die sich seit einem Jahr mit der heiß umstrittenen Frage beschäftigt haben, ob das Land große private Wohnungskonzerne vergesellschaften darf, öffnen die Tür zu einer spektakulären Neuordnung des Berliner Wohnungsmarkts. Zumindest ist es ein großer Spalt in der Tür, die bislang ziemlich vernagelt schien. Weil die Kommission, die diese 13 Experten:innen bilden, die Vergesellschaftung tatsächlich für juristisch machbar hält.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, CDU, nahm im Roten Rathaus am Mittwoch den 153-Seiten-Bericht im blauen Buchdeckel aus den Händen der Kommissionsvorsitzenden Herta Däubler-Gmelin entgegen – mit einem breiten Lächeln, als sei dieser 28. Juni 2023 einer der schönsten Tage seiner bisherigen Amtszeit. Das darf aber getrost bezweifelt werden.

Denn der Bericht setzt den von Wegner seit Ende April geführten schwarz-roten Senat unter erheblichen Druck. Dem Volksentscheid der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, private Wohnungskonzerne ab eines Bestandes von 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften, hatten im September 2021 eine Million Berliner:innen zugestimmt, 57,6 Prozent der Abstimmenden.

Wenn ein Wählerauftrag beinahe kaum klarer sein kann, dann dieser.

Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne: Grüße aus dem Gestern

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Schöne Grüße aus dem Gestern: Die Expertenkommission zum Volksentscheid unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin war noch vom vorherigen rot-grün-roten Senat eingesetzt worden – als Reaktion der Politik auf den grandios siegreichen Volksentscheid. Schon früh warf die Initiative, die selbst drei Experten in das Gremium entsandt hatte, besonders der SPD vor, die Umsetzung des Volksentscheids mit der Einrichtung dieser Kommission verschleppen zu wollen, wie es auch kürzlich eine Sprecherin der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ im tip-Interview bekräftigte. Zumindest bei der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey war und ist dieser Vorwurf sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Aber natürlich war schon der alte Senat in der Frage der Vergesellschaftung der Wohungsunternehmen herzlich gespalten – SPD mehrheitlich dagegen, Linke mit Hurra dafür, Grüne mit Bauchschmerzen und spät im Wahlkampf herausgehadertem Okay dann auch dafür, irgendwie.

Dabei hat es durchaus Gründe, warum die 13 Expert:innen sich ein Jahr lang in die komplexe Materie vertieften, ob die Enteignung großer Wohnkonzerne nach Paragraph 15 des Grundgesetzes überhaupt möglich ist. Es ist nämlich wahrlich eine durchaus kniffelige Kiste. Sonst hätte es sich ja auch nicht gelohnt, so viele Seiten vollzuschreiben, wie Herta Däubler-Gmelin bei der Übergabe des Berichts sichtlich zufrieden feststellte. Ihre Laune sah sogar noch besser aus als die von Kai Wegner.

Der sogenannte Vergesellschaftungsartikel 15 ist in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zur Anwendung gekommen, es gibt konkret dazu noch keinerlei Rechtsprechung in 70 Jahren Grundgesetz. Auf diesem Artikel ruhen also nun die Hoffnungen der Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ – und vieler Berliner Mieterinnen und Mieter.

Schlange stehen in Berlin: Entweder am Berghain oder bei der Wohnungsbesichtigung

Denn es ist auch in der Expertenkommission unstrittig, dass der Wohnungsmarkt in Berlin außer Rand und Band ist. Was auch auch andere Fachleute wie der Immobilien-Sachverständige Christoph Trauvetter sagen. Mietsteigerungen, besonders bei Neuvermietungen, eskalierende Wohnungsknappheit, mächtige Konzerne in bester Gewinnerwartungslaune. Im bezahlbaren Sektor ist der Mietmarkt so gut wie leergefegt. Wer in Berlin so richtig Schlange stehen will, geht in Berlin zum Berghain oder aber zu einer Wohnungsbesichtigung.

Glücklich, wer eine bezahlbare Wohnung hat, mit langfristigem Mietvertrag. Jackpot. Jetzt bloß keine Modernisierung. Und schon gar keine Eigenbedarfskündigung. Wer nach Berlin zieht, hat erst Recht die Arschkarte auf dem Wohnungsmarkt. Der blanke Horror.

Jetzt sieht es so aus, als wären die Volksentscheid-Initiatoren ihrem Ziel einen großen Schritt näher gekommen. Einer der größten Unsicherheitsfaktoren, die rechtliche Umsetzbarkeit der Vergesellschaftung, scheint mit diesem Bericht ausgeräumt. Geht es jetzt los?

Da ist das Ding. Regierungsschef Wegner (3. v. rechts), links neben ihm Kommissionschefin Däubler-Gmelin und Stadtentwicklungssenator Gaebler, eingerahmt von Mitgliedern der Kommission, bei der Übergabe des Abschlussberichts der Kommission im Roten Rathaus. Foto: Erik Heier

Anders als beim Mietendeckel, der 2021 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, liegt die Kompetenz für die Vergesellschaftung dem Abschlussbericht zufolge tatsächlich bei den Ländern, da der Bund von seiner eigenen Gesetzgebungskompetenz noch keinen Gebrauch gemacht hatte – weil eben der Vergesellschaftungsparagraph 15 des Grundgesetzes noch nie eingesetzt worden war. Ins Grundgesetz war dieser Passaus 1949 auf besonderes Betreiben der SPD gekommen. Aber auch die CDU hatte damals Sympathie dafür bekundet. So ändern sich die Zeiten.

Die Expertenkommission zeigt sich in ihrem Bericht überzeugt davon, dass die Knappheit an bezahlbaren Wohnungen in Berlin gravierend sei und durch eine Vergesellschaftung abgemildert werden könne, wie Kommissionsmitglied Florian Rödl, Jura-Professor an der Freien Universität Berlin, eines ihrer Mitglieder, bei der Vorstellung des Berichts sagte. Mehrheitlich sieht die Kommission eine Enteigung als verhältnismäßig an, „wenn keine Alternative besteht, die bei gleichem Ertrag für die die Zwecke des Allgemeinwohls offensichtlich milder ist“, wie es im Bericht heißt.

Entschädigung für Wohnkonzerne: Was kostet die Welt?

Sicher ist aber auch, dass die Vergesellschaftung für das Land Berlin einiges kosten wird. Die Kommission bejaht eine Entschädigung für die zu vergesellschaftenden Unternehmen, aber anders als bei einer im Grundgesetz-Artikel 14 geregelten Enteignung – typischerweise sind das einzelne Grundstücke, die Infrastrukturmaßnahmen im Wege stehen – nicht nach dem (höheren) Verkehrswert, sondern weit darunter. Übrigens also ein Irrtum, dass eine Enteignung wirklich billiger wäre. Auch wenn das Wort natürlich mehr kracht als das bürokratische „Vergesellschaftung“.

Wie teuer wird das denn nun? Große Frage. Keine Klarheit. Vorher war von Kosten für die Vergesellschaftung der rund 100.000 bis 200.000 Wohnungen zwischen 7,3 Milliarden und 36 Milliarden Euro spekuliert worden. In jedem Fall eine Menge Holz.

Die Höhe der Entschädigung könnte die Summe der Erträge aus der gemeinnützigen Nutzung des Wohnbestandes sein, in den diese nach der Vergesellschaftung übergehen sollen. Also die Erträge nach der Vergesellschaftung, nicht davor. Ein alternativer Ansatz im Bericht leitet die Höhe der Entschädigung aus „abstrakten fiskalischen Leistbarkeitsgrenzen“ aber, was ungefähr so viel heißt wie: Die Stadt zahlt so viel, wie sie eben zahlen kann. Auch ein interessantes Modell, was es für eine Stadt sinnvoll machen könnte, gerade verdammt knapp bei Kasse zu erscheinen. Das hat Berlin locker drauf, immerhin.

Selbst der damalige grüne Finanzsenator Daniel Wesener hatte kurz vor der Wiederholungswahl im tip-Gespräch darüber spekuliert, ob eine Finanzierung des ganzen Unterfangens angesichts der derzeit hohen Zinsen überhaupt noch realistisch sein mag.

Protestdemo gegen steigende Mieten 2021: Horror der Eigenbedarfskündigung. Foto: Imago/IPON

Die Entschädigung ist eine von vier grundsätzlichen Fragen, wo eine Minderheit von bis zu drei Experten in der Kommission anderer Meinung sind als die Mehrheit und dagegen davon ausgeht, dass hier der höhere Verkehrswert fällig wird, wenn auch mit Abschlägen. Der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen setzt die Entschädigungskosten denn auch, wenig überraschend, am oberen Ende an, bei 29 bis 36 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Berliner Jahreshaushalt liegt bei ungefähr 38 Milliarden Euro. Und da ist einiges an Bundesfinanzausgleichgeld drin. Die nächsten Berlin-Kalauer des bayerischen Ministerpräsidenten-Polterers Markus Söder, CSU, schreiben sich dann quasi wie von selbst. Da hätte dann selbst Chat-GPT nicht mehr viel zu tun.

Und jetzt erst mal einen Rahmen drum

Der schwarz-rote Senat hat sich im CDU-SPD-Koalitionsvertrag darauf festgelegt, zunächst einmal ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu erarbeiten. Übrigens auch ein Vorhaben des Vorgänger-Senats. Das Gesetz solle dann zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten, damit genügend Zeit bleibt, es juristisch zu prüfen. Wann es verabschiedet wird? Noch in dieser Legislaturperiode. Das zumindest hat Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler, SPD, zugesichert, was aber auch eine freundliche Formulierung für „auf die lange Bank schieben“ sein könnte, weil die Erarbeitung eines solchen Gesetzes damit auch die gut drei Jahre ausreizen könnte, die diese Wahlperiode voraussichtlich noch dauert – aber man weiß in Berlin ja nie: Koalitionsbruch, Neuwahlen, Wahlen-Annulierung, irgendwas, auf das wir alle nie im Traum gekommen wären: Alles ist möglich.

Die Vergesellschaftungsaktivisten halten nach dem Bericht dieses Vergesellschaftungsrahmengesetz für unnötig. Für sie ist es klar: Jetzt muss es losgehen. Endlich.

Erstmal aber steht die Vergesellschaftung weiterhin als Drohkulisse im Raum. Auch kein ganz unwichtiger Nebeneffekt, wenn es um Wohnungskaufverhandlungen geht, die der Senat jetzt schon mit Konzernen führt. Und das betrifft keineswegs nur Wohnungskonzerne.

Schließlich hat in Kai Wegners Partei nun wirklich niemand Bock darauf, es sich mit der privaten Wohnungswirktschaft zu verscherzen. Interessant ist aber, dass Schwarz-Rot das Vergesellschaftungsrahmengesetz zwar auch notgedrungen für Wohnungsunternehmen ausrichten muss, es gibt ja nun mal diesen für sie ärgerlichen Volksentscheid, aber damit „alle Bereiche der Daseinsvorsorge in den Blick“ nehmen will, wie auch Stadtentwicklungssenator Gaebler sagte.

Wie bitte, die CDU will auch vergesellschaften?

Originellerweise hat auch der neue CDU-Fraktionsschef Dirk Stettner, selbst bislang noch nicht als Fanboy für sozialistisches Gedankengut aufgefallen, kürzlich in einen „Tagesspiegel“-Interview Vergesellschaftungen für denkbar befunden. Allerdings eben mitnichten im Wohnungssektor, aber etwa im Energiebereich. Das Land Berlin bemüht sich ja gerade, von Vattenfall die Fernwärmesparte zu übernehmen.

Der Treppenwitz, dass ausgerechnet die unternehmerfreundliche CDU jetzt Unternehmen vergesellschaften könnte, ist allerdings so gut, dass seine tatsächliche Verwirklichung nur unter der Einnahme starker Rauschmittel ernsthaft vorstellbar erscheint. Bei der Berliner FDP war man immerhin ob Stettners nachgeradem Volkseigentum-Votum sprachlos. Das wiederum ist kein Witz.

Der Volkswirt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), glaubt ja beispielsweise sogar, Enteignungen würden die Wohnungsnot in Berlin noch verschlimmern. Weil damit keine einzige neue Wohnung entstehe, der Neubau eher noch weiter einbrechen würde, mache er die 100.000 bis 200.000 Berliner:innen, die in den vergesellschafteten Wohnungen lebten, glücklich. Alle anderen würden jedoch um so stärker von steigenden Mieten und noch größerer Wohnungsknappheit betroffen, wie er gerade dem „Tagesspiegel“ sagte.

Man könnte auch orakeln: Wer als privater Wohnungsunternehmer bis zu 2.999 Wohnungen besitzt, kann dann schon mal den neuen Porsche ordern. Oder auch zwei.

Kommt ein neuer Volksentscheid?

Eines hat die Expertenkommission deutlich gemacht: Ihr Abschlussbericht ist eine rechtliche Bewertung, dass eine Vergesellschaftung verfassungsrechtlich möglich ist. Die politische Bewertung sei Aufgabe des Senats.

Und es ist immer noch klar, wie der Senat über diese politische Frage denkt. Aber sollte jemals jemand tatsächlich in der Landesregierung auf den Gedanken verfallen sein, die Sache mit der Enteignung weder sich irgendwann wie von Zauberhand von selbst erledigten, durch Verdrängen und Vergessen und Es-gibt-Wichtigeres-zu-tun, dürfte dieser Gedanke mittlerweile wie ein Griff ins Klo anmuten.

Wie die „taz“ im Juni berichtete, wird bei der Enteignungsinitiative über einen, neuen zweiten Volksentscheid nachgedacht. Dann könnte dann ein tatsächliches Enteignungsgesetz zur Abstimmung gestellt werden. Die Drohung ist nicht neu. Ein Entwurf liegt danach bereits in der Schublade. Der Entscheid vom September 2021 war als Aufforderung an die Politik ohne konkrete Umsetzungsanweisung formuliert worden. Würde ein konkreter Gesetzesentwurf eine Abstimmungsmehrheit unter den wählenden Berliner:innen erzielen, und das nötige Quorum, würde er in Kraft treten. Und zwar sofort, unverzüglich. Wenn es denn zum Volksentscheid kommt. Irgendwann.

Geduld ist allerdings unter Berlins Mieterinnen und Mietern und ihren Interessenvertretern eine nur noch sehr begrenzt strapazierbare Ressource.

Zumindest ein Regierungsmitglied freut sich übrigens darauf, sollte die Initiative tatsächlich einen eigenen Gesetzesentwurf zu Abstimmung stellen: Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler. „Sollen Sie doch!“, sagt er achselzuckend, da ist der Regierende Bürgermeister mit seinem neuen blauen 153-Seiten-Schmöker längst wieder in den Tiefen des Roten Rathauses verschwunden.

Denn dann wäre es an „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, ein Gesetz vorzulegen, das in Karlsruhe nicht baden geht. Und das ist eben nicht so leicht.

Wie es auch immer weitergeht: mit der tatsächlichen Vergesellschaftung von 100.000 Berliner Wohnungen auf jeden Fall noch lange nicht. Es bleibt spannend.

Und es dauert. Dauert. Dauert. Noch lange.


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