Abel Ferraras Drama um einen Mann, der die Einsamkeit sucht, zählt fraglos zu den ungewöhnlichsten, aber auch intensivsten Erlebnissen des bisherigen Berlinale Wettbewerbs
Schon in Tommaso und der Tanz der Geister, der letzten Zusammenarbeit zwischen Willem Dafoe und Abel Ferrara, hinterließ „Siberia“ Spuren. Der von Dafoe gespielte Regisseur, ein kaum verklausuliertes Alter Ego von Ferrara, träumte von dem Projekt, bekam es jedoch nicht finanziert. Als „Tommaso“ letztes Jahr in Cannes lief hatte sich das schon geändert, war „Siberia“ abgedreht und könnte kein größerer Kontrast sein. Intim der Eine, ausladend der Andere, konzentriert der Eine, wuchernd, mäandernd, ins Unbewusste reisend der Andere
Willem Dafoe spielt Clint, einen Mann, der die Einsamkeit sucht, vor allem aber sich selbst. In einer abgelegenen Berghütte, einsam und offenbar fern von jeder Zivilisation am Hang liegend, betreibt er einen Laden, eine Bar, in die sich kaum einmal ein Reisender verirrt. Dafür aber ein Bär, oder ist das auch schon ein Ausbund von Clints Phantasie? So genau ist das nicht zu sagen, denn spätestens wenn Clint in den Keller geht, dort möglicherweise durch eine Pforte sein Unterbewusstsein betritt, beginnt eine Reise durch Raum und Zeit. Mit Schlittenhunden macht er sich auf den Weg, durch eine schneebedeckte Landschaft, die bald einer Wüste weicht. Die vielfältigen Ortswechsel, die „Siberia“ strukturieren, sind ebenso abrupt, wie die Begegnungen mit Menschen kryptisch. Manche sind deutliche Vertreter aus Clints Vergangenheit – eine Ex-Frau etwa, auch sein jüngeres ich, natürlich auch der Vater, der von Dafoe selbst gespielt wird – andere sind Schamanen unterschiedlicher Couleur, beherrschen dunkle Magie oder sind einfach eine deformierte, nackte Kleinwüchsige im Rollstuhl
„Vernunft ist ein Hindernis“ heißt es einmal, ein Rat, den man wohl auch bei diesem Trip in die Psyche eines Mannes bewahrheiten sollte. Doch Willem Dafoe dabei zuzusehen, wie er von seinem Freund Abel Ferrara mit immer neuen, immer seltsameren Situationen und Charakteren konfrontiert wird, zählt fraglos zu den ungewöhnlichsten, aber auch intensivsten Erlebnissen des bisherigen Wettbewerbs. Michael Meyns
Termine: Siberia bei der Berlinale
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